Wundersame Ich-Welt
Im Grunde ist das ganze Leben und Erleben eine Charakterfrage. Zumindest wenn man der Protagonist in Jochen Schmidts aktueller Veröffentlichung ist.
Unlängst zwar von der Bachmann-Jury ob seines kontemplativ-wuseligen Beitrages „Weltraumtext“ mit lobenden Worten, nicht aber mit Preis bedacht, legt der in Berlin ansässige Autor Jochen Schmidt ein essayhaftes Sammelsurium vor, in dessen Zentrum sämtlichen Regeln der schriftstellerischen Introspektion folgend das Selbst des Protagonisten in alle Einzelteile zerlegt wird. Und das auf denk- und dankbar unterhaltsame Art. In wenigen Seiten kurzen Episoden mit konsequent die Themen vorgebenden Titeln wie „Meine Ängstlichkeit“, „Meine Selbstdiziplin“ oder „Meine Partyaphasie“ inszeniert Schmidt einen Charakter, der sich in emotionaler Isolationshaft befindet – eine Zustandsbekundung, die der Autor bereits am Klappentext mit lapidarem Mitgefühl vorwegnimmt: „Ich hoffe, ich habe ein Buch geschrieben, mit dem sich niemand identifizieren kann, denn ich wünsche mir, dass es meine Leser einmal besser haben als ich.“
Zumindest in Sachen Humorfähigkeit, Beobachtungsstärke und Tonalität hat es Schmidt freilich so schlecht nicht. Im Laufe seines Erzählstrudels übersteigert er die Geschichten mitunter nämlich der Art ins Absurde, dass es eine wahre Freude ist. „Etwas Gedankenstarkes für helle Momente und etwas Geradliniges, Amerikanisches, wenn mit Ablenkungen zu rechnen war“, lässt der Autor seine Figur im Einstiegstext an Literatur mit auf den Weg nehmen. Und es sind gerade Amerikaner, bei denen Schmidt auf seiner Prosa-Bildungsreise in der Vergangenheit fündig geworden zu sein scheint. In den stärksten Momenten nämlich treffen die surrealen, aber stets leicht neben der Spur liebenswerten geistigen Exkursionen eines Richard Brautigan auf die sprachliche Prägnanz Fantes und vermengen sich mit der kitschfreien Sentimentalität und dem beneidenswerten Einfühlungsvermögen von Robert Lowry. Aber so gut ist dann doch niemand über die volle Distanz. Man sollte dem Mann jedoch keinen Strick daraus drehen, dass er hier und da dem allzu krampfhaften Versuch der Eskapadenmacherei verfällt. Oder dass der Erlebnis-/Erzählhorizont eben selten über die eigene Nasenspitze hinausreicht. Die Welt ist schließlich auch, wie man sie erleben kann. Wie gut, dass deutsche Gegenwartsliteratur hier ein unverhohlen zugängliches Wörtchen mitzureden versteht.