47 Millionen können nicht irren. Rihanna ist populärer als alles andere – zumindest laut Facebook-Fieberthermometer. Wie ging das noch mal schnell?
„We Found Love“ hat schon wieder Rekorde gebrochen. Calvin Harris hatte Rihanna ein Stück Eurotrash gebastelt, das gerade genug, aber auch nicht zu sehr nach jener Formel klingt, mit der David Guetta seit zwei Jahren die USA terrorisiert. Das ist zwar langweilig, aber die Rave-Orgeln müssen sich ja immer weiterdrehen. Rihanna ist zu groß, um mit Formeln zu brechen und diese Formeln befüllte sie seit „Umbrella“ wie keine zweite. Der wichtigste Modus im Pop der Gegenwart ist immer noch: Party. Liebe kommt erst kurz danach. Und Rihannas neue Single hat beides. In diesen Modus von Pop wechselt ihr sechstes Album immer wieder. Rihanna bespielt aber auch Szenen, die abseits des Formatradios blühen, und zapft deren Energie an. Man könnte wohl noch Subkultur dazu sagen. „Drunk On Love“ samplet The XX – genauer „Intro“ – und stellt den gespenstischen Groove der Band ins Licht einer Discokugel. Ob sich Jamie XX damit ins Bett der Feinde gelegt hat oder doch eher froh darüber sein soll, den Mainstream ein Stück weit mit coolem Wissen besetzt zu haben, wird auch im besten Blog der Welt nicht ausdiskutiert werden. M.I.A. wird wiederum in „Cockiness“, dem explizitesten Song des Albums, äh, zitiert. „Red Lipstick“ nimmt sich Dubstep vor. Das parasitäre Verhältnis zwischen dem Top 30-Pop und seinen untergeordneten Inspirationsquellen setzt sich damit erfolgreich fort. Nur dass heute die Protagonisten dieser Szenen selbst oft eingebunden werden. Rihannas Stimme stellt dabei keine überspannten Intimitäten wie Aguilera, Carey oder Spears her oder versucht, mit barocken Verzierungen zu beeindrucken, sondern sie singt kühl und distanziert, entschlossen und mitunter aggressiv – ein Sound, der sich im Pop der letzten Jahren zusehends verbreitete (Gaga, Kesha, Minaj usw.). Sie hätte auch allen Grund dazu, wütend zu sein: die katastrophale Vaterfigur, der prügelnde Freund, der Medienmoloch – Rihanna spielt seither den verletzten und doch unverletzbaren Engel. Insbesondere mit ihren beiden vorletzten Alben tanzte sie auf der Klinge von Gewalt, Sex und Sex & Gewalt. „Rude Boy“, „S&M“ oder „Russian Roulette“ schweißten Rihannas Biografie mit ihren Songs zusammen. Fan sein bedeutete auch, dieses Wechselspiel zu bewundern. Das Drama auf der Bühne erzeugte mit dem Leben Rückkoppelungen. Und dieses Identifikationspotenzial ist auf „Talk That Talk“ ein Stück weit verschwunden. Rihanna ist zwar wieder Konsens im besten Sinn, dass auch der manchmal nicht reicht, darüber erzählt „Talk That Talk“ ein paar kurzweilige Geschichten.