Helium, Struktur und Pop – Wenn die leibhaftige Mariah Carey, Kraftwerk und La Roux auf Pilzen in einer Echokammer eingesperrt sind, produzieren sie ein Novelty-Wunder für zwischendurch.
Populäre Genres werden oft in dem Moment für Umdeutungen interessant, wenn sie kommerziell durch sind. Zum Beispiel R’n’B. Das gestelzte Gefiepse von Christina Aguilera, Ciara und Mariah Carey ist in nur wenigen Monaten vollständig aus den Charts verschwunden – der barocke Pomp ihrer Phrasierungen, das Strass-besetzte Melisma, die ach so entrückte Stimmbeherrschung ist von Auto-Tune, David Guetta, den Ruinen und bescheideneren Zeiten aus ihrer dünnen Heimsphäre geholt worden. Grimes macht diese überholten Stilmittel wieder fruchtbar, in ganz anderem Zusammenhang. »Wenn du keine spezielle Toleranz für ihre Art von überragend geschraubten Gesang hast, wirst du vielleicht nicht allzu weit mit ihr kommen«, schreibt Resident Advisor treffend. Man könnte meinen, das trifft auf viele Stimmen zu – tut es hier aber ganz besonders. Die Kanadierin Grimes spielt mit ihrer Stimme, mit ihren Echos, Irrlichtern und ihren Spiegelungen in einem ansonsten ziemlich leer gefegten sonischen Raum. Die Technik erlaubt ihr das. Das muss jetzt nicht gleich »Post-Internet« genannt werden, wie das die Goth-Visual-Kei-Firnelfe so klug der New York Times im Interview steckte. Nur weil man wie Grimes als Digital Native nicht mehr bei einer Sache bleiben kann und immer schon alle Stile per Youtube-Klick verfügbar hatte, ist man noch nicht Post-Netz. Der sehr fokussierte Sound von »Visions« ist das diffus leuchtende Gegenbeispiel.
Cirka vier Sounds braucht Grimes pro Song, um über einfachen Strukturen, aber unkonventionellem Aufbau all ihre Stimmregister zu ziehen. Im Vergleich zu den beiden Vorgängern wurden jene New Age-Anteile deutlich zurückgedreht, auf die in Blogs, Foren und Reviews so gern verweisen wird. Dafür haben ihre zart rumpelnden Beats an Schärfe gewonnen. Grimes’ Texte sind nicht unbedingt dafür gemacht, verstanden zu werden, wodurch mit Videos und Artwork immer noch genug Identifikationspotenzial bleibt. Für ein weiteres Album aus Helium, Struktur und Pop scheint das Pulver aber erst einmal zielsicher verschossen.