Wo die Sonne untergeht
Im Jahr 2009 als Obama Hoffungsträger wurde, die Immobilienblase platzte und tausende Amerikaner ihr Zuhause verloren hatten, stellt sich Paul Auster ein Foto von einer dieser verlassenen Bruchbuden auf den Schreibtisch und beginnt erstmals einen Roman des verbitterten Realismus zu schreiben.
Erstaunlich geerdet klingt der Schriftsteller hier, obwohl es immer noch Paul Auster ist, den man für gewöhnlich experimenteller kennt. Der neue Realismus beinhaltet in seinem Fall noch immer die klassischen Auster-Protagonisten: Suchende, die sich der scheinbaren Unordnung der Welt und dem Chaos der Ereignisse ausgeliefert fühlen. In seinem jüngsten Werk behält er Surreales im Talon. Auch die angesprochene Unordnung der Welt ist wie gewöhnlich eine von den Protagonisten Erschriebene. Sie ist dem Autor näher als gedacht und wirklicher als ihm lieb: die amerikanische Wirtschaftskrise. „Aber wenn man wirklich etwas erreichen will, ganz besonders in der Kunst, muss man die Courage haben, sich an innere Orte zu begeben, die man gar nicht gern aufsucht. Orte in uns selbst, die Angst und Trauer hervorrufen”, sagte der Schriftsteller in einem Interview. Im konkreten Fall heißt das, Paul Auster spaziert von seinem hübschen Viertel Park Slope in die tristen Teile von Sunset Park hinüber. Dort ist Amerika ein Trümmerhaufen, eine Nation, die ihre Schlachten nicht nur im Irak verliert, sondern auch in der Heimat.. Die Lost Generation wird verkörpert von einer Kleingruppe Großstadtguerilleros, jeder ein Widerstandskämpfer auf seine eigene Art. Gemeinsam hausen sie in einer abbruchreifen Hütte im titelgebenden Sunset Park, einem der hoffnungsloseren Teile Brooklyns. Die Hausbesetzer sehen sich als Stellvertreter der Jugend Amerikas mit ihrer Zukunft konfrontiert, die ebenso hoffnungslos ist, wie lebendig begraben. Allesamt sind sie intelligente, engagierte, gut ausgebildete Menschen, die nicht mal die Miete zahlen können, eine chancenlose, um ihre Zukunft betrogene Generation. In schwierige Verhältnisse hineingewachsen, fehlt ihnen jede Orientierung, auch sexueller Art. Als Hoffnungsschimmer gilt die minderjährige Pilar, eine begabte Nach wie vor legt der Autor viel eigenes Gedankengut in seine Figuren, die ihm ähneln. Als allwissende Erzähler taucht er immer wieder in die Geschichten der Figuren ein. Als sich die Spannung der Haupthandlung zuspitzt, fällt der Erzählstil geschickt auf die Seite des Dramas und schreibt Regiehandlungen zum bildnerischen Verständnis. Spannung entsteht weniger durch die Handlung als durch die genaue Figurenzeichnung. Obwohl die Charaktere exakt geschildert aus dem Buch herausschlüpfen in die reale Welt, könnte man die Erzählperspektive korrekter schlichten. Die Sicht wechselt inkonsequent und wirkt an Stellen der Du-Anrede irritierend. Doch Austers Versuch, die verschiedenen Lebensgeschichten zur großen Parabel nicht nur auf den wirtschaftlichen, sondern den moralischen Bankrott der USA hochzuziehen, ist etwas überfrachtet und unscharf. Im Bemühen, die Krise durch alle Milieus durchzudeklinieren, verliert das Szenario an Kontur. Sunset Park stellt sich als ein Sammelbecken heraus, wo all der Mühsal und Schwermut, die Obdachlosen des amerikanischen Traums Unterschlupf finden. Der halboffene Schluss ist kühl und ernüchternd wie die Realität. Zugunsten des verbitterten, von seinem Land enttäuschten Realismus ist das schriftstellerische Versteckspiel früherer Werke gewichen. Postmoderne Rätselhaftigkeiten und Spiele mit Fiktion und Wirklichkeit, die für den Schriftsteller so charakteristisch waren haben ihn, sowie auch die Zuversicht für sein Land, verlassen. Paul Auster hat sich den Zorn über jüngste Entwicklungen in Amerika von der Seele geschrieben. Die Konstante auf der Amerika aufgebaut ist – die Hoffnung – zerbröckelt.