Der Wiener geht recht gerne ins Kaffeehaus. Das weiß man auch als Tourist und deswegen sind Reiseführer voll mit Empfehlungen der Jahrhundertwende-Kaffeehäuser, die wiederum voll von Touristen sind, während sich die Künstlerwelt von heute längst woanders schart. Der literarischer Lokalführer „Wien schön trinken“ (Milena Verlag) köchelt das Klischee auf und gibt Einblick in die Juwelen echter Absteigen und Beisln.
Gleich 36 Lokale werden in „Wien schön trinken“ von Autoren, Musikern und Journalisten unter die Lupe genommen. Hauptsächlich werden dabei nur "Originale" aus dem gelb-grünlichen Schummerlicht gehoben. Weil nämlich: Fällt das Wort Kaffeehaus, fallen alle in Nostalgiestarre.
Die meisten hier versammelten Autoren betrachten ihre eigene Kaffeehauskarriere schon mit etwas Altersabstand, was den Vorteil hat, dass man die vorgestellten Institutionen tatsächlich im Wandel der Zeit erklärt bekommt. Mit persönlichem Bezug. Gleichzeitig erfahren wir von der Zeitreisefunktion der Cafés, nicht selten wird man in Ära ohne MacBook-Schriftstellertum zurückgeworfen, eine Ära, in der man gerade begann zu einem Lokal, auch Lokal zu sagen.
Der Glanz des Zeitlosen bringt auch einen hohen Grad an Abgefucktem mit sich, viele vorgestellte Legenden befinden sich schon im Zersetzungsstadium, aber das ist es, was das Flair auszumachen scheint. Denn was muffig ist, schirmt sein Publikum von der Gegenwart ab und deswegen gilt die Sphäre hinter den rauchgeselchten Spitzenvorhängen auch als zeitlos.
Die Zeilen reihen sich gefügig und geölt zwischen die Krügerl und Wodka Tonics und zeigen, wo man am besten abstürzt. In einem Säuferstübchen, dessen Blüte vorüber ist, lässt es sich schließlich viel ungenierter sinnieren. Der eine beschreibt das Mobiliar, der andere die Juke-Box-Musik und wo man als verlorene Seele lernt, wie man seinen MP3-Player wegschmeißt, um wieder Musik zu hören. Der dritte liefert eine Biographie des Personals oder ein Psychogramm der Lokalgäste. Sich "Belauschvergreifen im Cocktailparty-Effekt-Modus" nennt Markus Köhle das und bringt Gesprächsperlen in seiner näheren Trinkumgebung zutage. Inspirierend wirken der Gulaschdampf und die alten Meister – Stammgäste, die im Café Alt Wien gerahmt an den Lokalwänden thronen.
Auch noch lebend trifft man Mitgestalter des Wiener Kulturbetriebs: Beislgegerbt sind sie in konstant hoher Quote beispielsweise im Anzengruber vorzufinden. Dort muss man sich als erste Hürde, der Anzengruber’schen Bierwahlfrage stellen: Wie SPÖ oder ÖVP, katholisch oder evangelisch ist die Entscheidung zwischen Budweiser und Grieskirchner eine Glaubensfrage. Die kleinen Manien des Wirts, die Atmosphäre einer allmählich wegalternden Gaststube und die Leidenschaft gepflegten Fußballfantums können beispielsweise eine so perfekte Mischung ergeben, dass man seinem Stammlokal ewig treu bleibt.
An so einem Ort laufen dann einige Erzählstränge schicksalhafter Begegnungen zusammen und die Rührseligkeit zur Höchstform auf. Und auch das Essen kommt nicht kurz. So erklärt etwa der Austrofred, wo man Weltklassezwiebelrostbraten verschmaust.
Die Schauplatz-Reportagen werden von vergangenheitsverliebter Illustration umgeben. Der erheiternd kurzweilige Insight birgt eine Menge Sentimentalitäten, die sich in die abgeranzten Polstermöbel gesaugt haben. Für diesen hier beschworenen emotionalen Bezug muss sich jeder letztlich selbst sein Platzerl suchen, oder ganz viele. Laut Mieze Medusa ist das auch das Schöne an einer Großstadt: "Schöntrinken kann man hier multilokal."
In einem Punkt sind sich alle Autoren einig: Das gehört einfach so, das wird sich nicht ändern und darum mögen wir’s. Alles in allem: Charmestufe Rot!