Pop muss nichts mehr. Chvrches machen ein Album ohne Überraschungen, direkt in der obersten Liga von süßem, wuchtigem Electropop.
»Meine Eltern haben mich hierher geschickt, sie haben gesagt, ich soll mein Gemüse essen und Chvrches hören.« Top-Youtube-Kommentare wie dieser sind eine echte Gefahr für den Musikjournalismus und bringen ihn langsam um. Warum Infos über eine Band recherchieren, wenn die User ohnehin schlauer und witziger sind? Wenn sie in einer einzigen Zeile die Großartigkeit und das Problem mit dieser Band zusammenfassen? Die musikalischen Einflüsse kann ein Algorithmus automatisch herausfinden. Und auf Facebook, Twitter und in ihren Videos ist die Band ohnehin viel greifbarer. Versuchen wir es eben mit ein paar Ideen zu Chvrches. Und danke für die Ausdauer.
Pop ist heute an einem eigentümlichen Punkt angekommen. Pop muss nicht mehr neu sein, Zukunft ist abgeschafft. Pop muss auch gar nicht präzise sein, musste er nie. Geschichten andeuten reicht, deine Schuld, unsere Liebe, du brauchst mich nicht, man kennt das, man will das. Pop selbst muss nichts wollen, außer diesen Moment, gerade eben jetzt. Und Pop kann natürlich immer noch die Welt retten, meistens die eigene, nicht die da draußen. Bei Chvrches ist es eine bunte Gegenwelt voller glitzernder Synths, feuchter Augen und blutender Herzen. Es ist so simpel. Kein doppelter Boden, keine Gewalt, kein Hintergedanken. Man sagt es ein bisschen vorsichtig, M83, MGMT, die frühen, oder Naked And Famous – Chvrches spielen da mit, ganz ohne Probleme, nur ohne dieses Gefühl, wir gehen da jetzt raus, tun etwas Magisches. Chvrches sind finsterer, erstaunlicherweise. Auf ihrem Debüt umhüllen sie Tragödien mit bläulicher Zuckerwatte.
Chvrches sind übrigens ein Trio, wie man auf Fotos sehen kann, der Bandname klang cool, nichts weiter. Einer von ihnen hat eine Kappe auf, die sagt, ich kenne mich auch mit anderen Beats aus. Einer hat niederschmetternden, krachenden, schottischen Pathos studiert. Und sie, Lauren Mayberry, hat vier Jahre Jus und einen Master in Journalismus am Kerbholz. Sie ist zu höflich, um dir das Schlüsselbein zu brechen, wenn du ihr sagst, sie wäre doch so irre süß, aber sie könnte es. Man möchte ihren Lidschatten haben, oder Abzüge ihrer Vampirfilmhauptdarstellerinnenlippen. Zu dritt definieren Chvrches Pop neu, weil er eben nichts mehr muss, außer einfach individuell funktionieren. Oder wie das ml0617 auf Youtube treffender sagt: »Ich habe Koks geschnupft mit Princess Bubblegum, als Chvrches lief.«