Toter Autor, lebendiges Facebook-Profil.
Unmittelbarkeit und Partizipation als zwei wichtige Säulen der Online-Welt können mehr oder minder gut von einem Buchverlag zu Marketing-Zwecken genutzt werden. Auf der Jagd nach wertvollen Leserkontakten übertrumpfen sich Buchverlage derzeit in sozialen Netzwerken. Bei der Jagd um junges netzaffines Publikum ist man bisher nur im Unterhaltungssegment erfolgreich. Passend auch aus Anlass des Hermann-Hesse-Jubiläums wurden auf der Seite "Hermann Hesse antwortet" Briefe gepostet, die Hesse einst an seine zeitgenössischen Leser geschrieben hatte. Facebook-Nutzer haben motiviert durch den Suhrkamp Verlag, "per like oder Kommentar" auf Hesses Post reagiert. Am Ende der Werbeaktion steht wiederum ein Buch.
Der Suhrkamp Verlag fand einen sinnvollen Weg Social Media geschickt zu nutzen, soviel steht mit diesem Buch fest. Ohne allzu großen Aufwand wird hier User Generated Content als Inhalt für ein Buch verwenden. Dazwischen gestreut finden sich ein paar von Hesses begnadeten Gedichten und Zitat-Sätzchen. Vielstimmig und doch soweit unisono, dass es den einzelnen Leser wie ein intimes Zweigespräch vorkommt, schreibt Hesse, wenn man den vielen Leserstimmen Glauben schenken darf.
Vor der Schullektüre ist er vielen von ihnen zum lebenslangen Begleiter geworden. Hesse stellte für Leser aus allen gesellschaftlichen Schichten den Gesellen in der Pubertät, der mitwuchs und auch später immer wieder mit Rat zur Seite stand. Das große Identifikationspotenzial half bei der Selbstfindung half schon den Hippies der 70er Jahre. Im Laufe seines Lebens erhielt Hermann Hesse tausende Zuschriften von Lesern, die nach der Lektüre seiner Bücher ein solches Vertrauen gefasst hatten, dass sie ihn um Rat zu ihren Lebensproblemen fragten. Oft waren es junge Menschen, denen die Anpassung an das Vorgegebene, die Erwartungen der Eltern und Erzieher zu schaffen machten. Aber auch Generationskonflikte, Pubertäts- und Partnerprobleme, religiöse Zweifel, Fragen der Berufswahl und der Fremdbestimmung sind durchgängige Themen dieser Briefe.
Obwohl man all diese Themen in Hesses Büchern auf überpersönliche Weise dargestellt findet, hat er nicht die Mühe gescheut, sich auch den konkreten Einzelfällen zu stellen und viele dieser Briefe individuell zu beantworten. Auf Facebook kann man nun zusätzlich über sein Hesse-Lieblingsbuch oder -gedicht abstimmen, seine erste Begegnung mit Literatur von Hesse beschreiben, zu Hesse-Briefen Kommentare abgeben und “den Pressesprecher des Autors” um Rat fragen.