Sankt Pölten versus Bregenz: Eine der beiden österreichischen Städte könnte 2024 – nach Graz 2003 und Linz 2009 – europäische Kulturhauptstadt sein. Eine Riesenchance, vor allem für Sankt Pölten. Die lang unterschätzten St.Pöltener könnten endlich aus dem Wien-Schatten hervortreten.
Stellt sich natürlich die Frage, wozu der Spaß. Und ob das Konzept der europäischen Kulturhauptstädte im fortschreitenden 21. Jahrhundert überhaupt noch zeitgemäß ist. Gegenargumente gibt es immer. Als Positivbeispiele ließen sich die mittelgroßen Städte des europäischen Ostens – allen voran das rumänische Sibiu/Hermannstadt (2007 Kulturhauptstadt) – anführen, die diesen Status zum Anlass genommen haben, sich ordentlich herauszuputzen und auf der Landkarte des europäischen Bewusstseins hervorzutun. Die Frage, ob das viele Geld nicht vielleicht anders sinnvoller zum Einsatz oder unmittelbarer »der Kultur« zugute käme, ist allerdings müßig: Natürlich handelt es sich zuvorderst um eine Marketingmaßnahme. Die Kultur ist dabei immer nur Mittel zum Zweck. Repräsentationskultur, wenn man so will. Dem kann man sich verweigern. Oder man versucht, das Beste draus zu machen, das Maximum rauszuholen.
Bregenz bewirbt sich
In Vorarlberg – wo Bregenz sich im Verbund mit den Städten Dornbirn, Feldkirch und Hohenems für 2024 in Stellung bringt; wo das Land selbst gerade mit einigem Aufwand eine »Kulturstrategie« erarbeitet – bremst derzeit das Land. Eine Umfrage der dortigen »Kulturzeitschrift« zeigt zudem, dass die lokalen Kulturveranstalter dem Unterfangen skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. »Wieso sind politische Entscheidungsträger auf einmal bereit, so viel Budget aufzubringen, obwohl laufend andere Projekte und Initiativen mit hohem, gesamtgesellschaftlichem Nutzen ums Überleben kämpfen müssen?«, fragt da etwa Peter Hörburger vom Spielboden in Dornbirn. Nichtsdestotrotz haben sich die vier beteiligten Stadtvertretungen Anfang Juli dazu entschieden, eine »Bregenz 2024«-Bewerbung vorzubereiten. Profitieren würde bei einem Zuschlag wohl die Region rundum. Bregenz selbst ist mit seinen Festspielen und dem Kunsthaus (KUB) ohnehin fix im Kulturjahr verankert. Womöglich gelänge es nach 2024 jedoch, sich ganzjährig als Kulturdestination zu behaupten. Mit den Festspielen auf der (Freiluft-)Seebühne und den (größeren) Ausstellungen im KUB bleibt Bregenz bislang vor allem eine touristische Schönwetter-Kulturhauptstadt. Der Rest des Jahres ist tendenziell Saure-Gurken-Zeit.
Sankt Pölten – mehr als Wien 25
Nicht so in Sankt Pölten. Wie auch immer man sonst zum politischen Schaffen Erwin Prölls stehen mag – selbst seine Kritiker werden anerkennen müssen, dass unter seiner Regentschaft (1992ff) im Kulturbereich Unsummen investiert und dabei mitunter Unglaubliches geleistet wurde. Vom Donaufestival über Grafenegg bis zur Landeshauptstadt selbst: Seit 1992 wurden insgesamt 700 Mio. Euro in das neue Sankt Pöltener Regierungsviertel und den Kulturbezirk an der Traisen gesteckt. Seit 1986 – als sich die Niederösterreicher in einer Volksbefragung dafür entschieden hatten, die Landesregierung aus der Wiener Innenstadt nach Sankt Pölten zu verlegen – rund drei Milliarden investiert. Vom Festspielhaus St. Pölten, durch die Fachhochschule, die New Design University, vom Subkultur-Areal Lames oder zuletzt durch das in Gründung befindliche »Haus der Geschichte« im Landesmuseum gehen von der Stadt immer wieder weitreichende kulturelle Impulse aus. Dank der schneller gewordenen Westbahnanbindung sprechen manche bereits von Sankt Pölten als »Wien 25«. (In Klosterneuburg wird immer wieder darüber nachgedacht, das Bundesland zu wechseln und sich als 24. Bezirk in Wien eingemeinden zu lassen.)
Zu Unrecht wird die Stadt manchmal immer noch als »Arbeiterstadt« bezeichnet. Tatsächlich hat das beschauliche Städtchen heute mit Wien-Neubau, der Josef- oder Leopoldstadt wahrscheinlich mehr gemein als mit Favoriten oder Simmering. Wirklich wahrgenommen wird all das aber kaum – und wenn doch einmal, dann höchstens punktuell. Der Status einer europäischen Kulturhauptstadt brächte Sankt Pölten also die historische Chance, aus dem räumlich determinierten Wien-Schatten hervorzutreten. Die Kulturschaffenden selbst – formiert um Michaela Steiner, die Mitbegründerin der »Bühne am Hof« und Ehefrau des einstigen Hauptstadtplaners Norbert Steiner, und die Kulturwissenschafterin Susanne Wolfram – sehen das nicht anders. Ende Juni bekannte man sich bei einer Diskussionsveranstaltung im Gasthaus Vinzenz Pauli dazu, den Prozess bis zur Bewerbung beginnen zu wollen. Eingereicht werden müsste diese bis Jahresende bei Europäischen Union. Eindeutig dafür wären auch die Stadtoberen. »Ohne Rückendeckung und finanzielle Hilfe seitens des Landes geht das aber leider nicht«, heißt es aus dem Umfeld des sozialdemokratischen Bürgermeisters Matthias Stadler: »Sonst wäre das eine klare Sache, wir hätten uns längst beworben.« Dennoch habe man bereits versucht, einen Diskussionsprozess anzustoßen – auch um die Wachau, Krems und Grafenegg mit einzubeziehen. Woran es noch scheitert? – »Raten Sie einmal, wer in Niederösterreich die Entscheidungen trifft.«
Das letzte Wort hat also Erwin Pröll (ÖVP), in dessen nun langsam, aber sicher zu Ende gehender Amtszeit sich Sankt Pölten so prächtig entwickelt hat.
Fest steht: Großartige Neubauten oder die sonst oft für solche Anlässe aus dem Boden gestampfte Prestigearchitektur bräuchte es an der Traisen eher nicht. Diese Investitionen hat Niederösterreich alle bereits in den vergangenen Jahrzehnten getätigt. Weil einander die rote Stadt und das schwarz dominierte Regierungsviertel samt Kulturbezirk auch Jahrzehnte nach der Landeshauptstadtwerdung 1996 immer noch fremdeln, wäre es allerdings an der Zeit, auch im Wortsinn eine Brücke über die Traisen zu bauen – samt durchdachtem Belebungskonzept. Auf dass diese 2024 nicht so gottverlassen im Fluss hänge wie derzeit die »Murinsel« in Graz.
Thomas Weber, der Herausgeber von The Gap twittert hier: @th_weber.