Von der Pfalz nach Berlin und zurück in die 80er. Ein Interview mit Drangsal.
Geboren wurde Max Gruber alias Drangsal in den 90ern in der Pfalz, seine Musik ist aber durchdrungen von den universellen 80ern. Auf seinem Debüt "Harieschaim", dessen Titel an den ursprünglichen Namen seines Heimatdorfes, Herxheim bei Landau, angelehnt ist, verbindet er New Wave, Pop und Post-Punk mit mächtigen Gefühlen, die sich in exzentrischen Gesten äußern, wie in dem Musikvideo zu "Allan Align", in dem auch Jenny Elvers, die Schnapsdrossel der deutschsprachigen Glamourszene, zu sehen ist. Über drei Jahre hat er in Berlin an den Songs geschrieben, bis sie reif für die Außenwelt waren. Musik für die Nische zu machen, sei ihm zu einfach, denn seine Idee ist, Songs zu spielen, die für alle hörbar sind.
Warum willst du Popmusik für alle machen?
Max Gruber: Mir hat Musik gefehlt, die jeder gerne hören darf. Bands sind sehr auf ihr Publikum bedacht und darauf, dass es das gut findet, was sie selber gut finden. Das ist bei mir nicht so. Ich freu mich, wenn es überhaupt jemand gut findet. Und dann wollte ich die Brücke zwischen Mainstream und Subkultur schlagen, die beiden Hände zusammenbringen, die eigentlich nicht zusammengehören. Ich will auf beiden Hochzeiten tanzen, weil mir das heute einfach gefehlt hat.
Was macht denn für dich heute einen guten Popsong aus?
Dasselbe, was immer einen guten Popsong ausmacht. Meiner Meinung nach gibt es so viele unterschiedliche gute Popsongs. Die Misfits haben nur gute Popsongs geschrieben, aber meine Mutter hört jetzt nicht gerne Misfits. Meine Bewertungskriterien sind da sehr breit gefächert. Aber am Ende ist es vielleicht ein gutes Schlagzeug und dass du bei dem Song mitsingen kannst.
Warum sind die 80er für dich so interessant?
Ich hab keine Ahnung. Als ich mir das erste Mal keine Gedanken gemacht habe, wie meine Musik klingen soll, war der Sound plötzlich da. Das wird sich auch mit der Zeit verändern. Die meisten Songs, die auf dem Album sind, sind drei oder vier Jahre alt. Die Sachen, die ich jetzt mache, klingen schon nicht mehr ganz so nach New Wave. Die Fülle an Sachen, die in den 80ern stattgefunden hat, die hat mich enorm fasziniert. Von NDW über New Wave und No Wave bis Post-Punk. Damals gab es auch so viel allgemein gültige Musik. Die Talking Heads haben zusammen mit den Ramones gespielt. Das war einfach normal. Die Fülle an Bands ist beeindruckend. Angefangen bei The Smiths, oder ganz ganz schlimme Sachen wie Klaus Lage, den ich trotzdem geil finde. Der Sound hat mich einfach bekommen. Mittlerweile hab ich mich tot gehört daran und es gibt andere Sachen, die ich klanglich gesehen interessanter finde.
Sind es die großen Geste, die dich berühren?
Ich glaube schon. Eine gewisse Überspitzung gehört für mich dazu, sonst ist es für mich langweilig, sonst ist es wie das echte Leben.
Findet man dort auch den Ursprung deiner Exzentrik?
Mein Sozialisierungskatalog ist voller Idioten. Voller großkotziger, übertriebener Leute, die sonst keinen Output finden, außer sich auf eine Bühne zu stellen. Zum Beispiel: Marilyn Manson oder Morrissey. Ich finde und fand es auch immer schon faszinierend, dann wurde es irgendwann auch Teil der Musik für mich. Mittlerweile kann ich auch Musik gut finden, die nicht nur so ist. Als ich jünger war, war die Exzentrik auf jeden Fall ein wichtiges Bewertungskriterium, ob jemand ein Charakter ist. Mich haben immer schon interessante Leute fasziniert. Es gibt aber auch Leute, die Musik machen, von denen man gar nicht so viel weiß. Paddy McAloon, der Sänger von Prefab Sprout, der lebt irgendwo in einem Haus, hat drei Kinder, fährt ein Auto und macht Musik. Und dann gibt es eben Leute, die total schräg sind. Irgendwie findet man sich dort wieder und will dann einfach noch mehr so werden. So hat es sich aufgebauscht zu dem, was Drangsal jetzt eben ist.
Weiter zu: Angriffsflächen, Hass und Herxheim
Nervt dich der Vorwurf, du würdest die 80er rekonstruieren?
Das geht an mir vorbei. Es war mir auch klar, dass ich nichts Neues erfinde. Wenn man nicht viel Angriffsfläche bietet, ist man allgemein nicht sehr interessant. Die Leute vergessen, dass man trotzdem die Songs schreiben und die Instrumente spielen können muss.
Apropos Angriffsfläche. Du hast den Preis für Popkultur in der Kategorie "Hoffnungsvollster Newcomer" mit den Worten "Hauptsache nicht AnnenMayKantereit" entgegengenommen.
Das war nicht geplant. Ich war viermal nominiert und da ist Chance schon hoch, einen Preis mit nach Hause zu nehmen, und ich hab mir natürlich Gedanken gemacht, was ich sagen könnte. Normalerweise sagt man allen Leuten Danke und ich bin im Kopf durchgegangen, wem ich öfters Danke sagen sollte. Als ich dann aber auf der Bühne stand dachte ich: "Ne."
Ist das Provozieren Teil von Drangsal?
Das ist nicht etwas, was ich mir vorher überlege. Wenn ich das machen würde, wäre das wahrscheinlich nicht passiert. Es ist impulsiv und nicht durchdacht. Fünf Minuten danach mache ich mir natürlich Gedanken und denk mir: "Hätte auch anders laufen können."
Fehlt dir dieser Unmut in der deutschsprachigen Popszene?
Die Leute reden nie in der Öffentlichkeit darüber, hintenrum zerreißt sich wirklich jeder über jeden das Maul, auch über Leute die, wenn sie sich sehen, total freundlich zu einander sind. Ich sehe den Unterschied nicht. Man sagt ja: "Kollegen beleidigt man nicht." Aber ich kann nur sagen, dass ich nicht jeden, der eine Gitarre in der Hand hält, automatisch als Arbeitskollegen empfinde. Wenn man in einer Fabrik arbeitet, gibt es sicher auch Kollegen, die man nicht leiden kann.
Auf deiner Brust prangt als Tattoo der Titel eines Albums von Morrissey "Viva Hate". Ist das dein Motto?
Das bezieht sich nicht speziell darauf, nein. Hass, Unmut und Ablehnung sind Themen, die für mich allgegenwärtig sind. Der Hass ist das treibendste aller Gefühle für mich.
Gab es den Hass in dir schon während deiner Zeit in Herxheim?
Wenn du im Nichts aufwächst, kommt das natürlich sehr schnell hoch. Die Leute haben mich immer schon damit beschrieben, dass ich jemand bin, der extrem viele Sachen extrem scheiße findet. Natürlich finde ich auch viele Sachen extrem gut. Die Sachen, die ich gut finde, finde ich so gut (hebt die Hand ziemlich weit nach oben) und die Sachen die ich schlecht finde, finde ich so schlecht (seine Hand berührt den Boden). Zwischendrin passiert bei mir nicht viel.
Was verbindest du jetzt noch mit Herxheim?
Heimat. Das ist natürlich ein schwieriger Begriff. Das komm ich her, da bin ich aufgewachsen, da kenn ich mich aus. Ich kenne jede Straße, jeden Zentimeter. Sobald ein Haus im Dorf einen neuen Anstrich bekommt, fällt mir das auf. Meine Eltern sind da. Das Abgeschottete mag ich sehr, dass dort nicht alles durchdringt wie in Großstädten, sondern ein sehr geregeltes, langweiliges Leben stattfindet. Das ist ein guter Zufluchtsort. Alle meine Freunde, die ich dort hatte, sind irgendwann nach Berlin oder Umgebung gezogen. Auch in Berlin häng ich in demselben Loch rum, mit denselben Leute – genau wie in Herxheim.
Du hast schon erwähnt, dass du wieder an neuen Songs arbeitest. Kannst du dazu schon etwas sagen?
Es wird langsamer und bedachter. Und diffuser. Und ich singe viel mehr Songs auf Deutsch als auf Englisch.
Die nächsten Drangsal-Konzerte in Österreich finden am 23. November (Salzburg, Rockhouse) bzw. am 24. November (Wien, B72) statt. Drangsals Debütalbum "Harieschaim" ist im April 2016 bei Caroline International erschienen.