Eine Methode ist das Deaktivieren von User-Kommentaren. Mit Digital Detox sich bewusst eine digitale Auszeit zu nehmen, eine andere. Hier geht es um den zunehmenden Druck im Social Media Business und wie die österreichische Bloggerszene damit umgeht.
Es sei wie mit einem Geschäft. Kurz vor Ladenschluss, kommt dieses eine A*******h, lade seinen Frust ab und behandele dich wie ein Stück Dreck. Später, zuhause, würde man nicht an die 99 guten Kunden denken, sondern nur an diesen einen schlechten. So beschrieb Madeleine Alizadeh, die mit ihrem Blog dariadaria bekannt wurde, das Problem mit dem Umgang von User-Kommentaren.
„Man wird stumpf für Anerkennung aber nicht für Hass“, ergänzt der Youtuber Michael Buchinger.
Die Bloggerin und der Youtuber sitzen mit anderen Gästen in einer Gesprächsrunde, die von T-Mobile Austria als Live-Video auf Facebook gezeigt wurde. Anfangs sprechen sie darüber, wie sehr das Smartphone ihr Leben verändert hat – und wie es in Gesprächen mitunter passiert, kam bald ein völlig anderes Thema auf: Der Umgang mit den User-Kommentaren.
Das Beantworten der Kommentare nehme sehr viel Zeit in Anspruch, so Madeleine. Erst kürzlich kündigte sie in einem ihrer Blogbeiträge an, die Kommentarfunktion auf den Kanälen, auf denen es technisch möglich ist, zu deaktivieren. Die vielen Beleidigungen, den Sexismus, den Spott wollte die Bloggerin nicht mehr auf ihren Plattformen zulassen. Zwar ist die Interaktion mit den Usern für den Aufbau einer digitalen Identität wichtig. Sie kann aber ebenso zu einer Bürde werden. Die Bloggerin fühlte sich zunehmend schlechter, bezeichnete sich als „emotional ausgehöhlt“ und „ausgebrannt“.
Madeleine schafft mit der Deaktivierung den nötigen Abstand zwischen ihr und den LeserInnen, und gleichzeitig auch mehr Freiraum für sich selbst. Dass ohne die Kommentare der Algorithmus insofern beeinflusst wird, dass sie weniger Einkünfte erzielen könnte, nimmt sie in Kauf.
Digitalisierter Stress
Eine bekannte Schwierigkeit in der Szene von Bloggern und Youtubern ist, Grenzen zwischen Privatem und Beruflichen zu ziehen. Wer im Internet arbeitet, ist im Prinzip rund um die Uhr erreichbar, hat keine fixen Bürozeiten und keinen klar gesetzten Feierabend. Man arbeitet online und ist ständig online.
„Social Media ist wie ein eifersüchtiger Freund, der echtes Leben nicht zulässt. Er frisst dich auf, will deine ungeteilte Aufmerksamkeit. 7 Tage die Woche“, so beschreibt es Madeleine auf ihrem Blog.
Einige der Symptome decken sich mit den Ergebnissen, die Wissenschaftler u.a. als Auslöser für den digitalen Stress nennen.
Pausenlose Erreichbarkeit, permanenter Datenstrom, Multitasking und Isolierung in virtuellen Welten.
Studien zufolge gibt es Zusammenhang zwischen der Nutzung digitaler Medien einerseits und dem Auftreten von Stress und Depressionen andererseits.
Diese nicht unumstrittene These war schon vor einigen Jahren im Buch „Digitale Demenz“ des Hirnforschers Manfred Spitzer veröffentlich worden. Endgeräte wie Smartphones, Tablets usw. seien demnach ein zusätzlicher Stressfaktor zum bestehenden Alltags- und Arbeitsstress. Zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar zu sein, setze immer mehr Menschen unter Druck. Peter Hensinger zufolge, würde die Zahl von Dauergestressten und Burn-Out Erkrankten steigen. In seiner Serie über die Digitalisierung des Alltags führt er u.a. die Strahlenbelastung durch Mobilfunkgeräte und WLAN als zusätzliches Problem an.
Knapp jeder dritte Berufstätige ist "always on", also ständig erreichbar.https://t.co/qeCGBGXVYV #digitaledetox #nomophobie #onlinesucht pic.twitter.com/0xkX7exdft
— StressBook (@StressBookAG) October 14, 2016
Rund um die Uhr erreichbarsein
„Es passiert schnell, dass ich dann doch mal Twitter oder meine Mails checke und mich ohne es zu bemerken wieder total vernetze“ – Michael Buchinger
Michael Buchinger, der auf Youtube unter anderem durch seine Hass-Listen bekannt wurde, kennt die Herausforderung im digitalen Business ebenfalls. „Manchmal frage ich mich, wie es zum Beispiel wäre, einfach um 18 Uhr meinen Arbeitsplatz zu verlassen und bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr meine Ruhe zu haben, wenn ich möchte.“
Er erzählt von Kunden, denen um 23 Uhr „noch etwas einfalle“ oder von Leuten, die sich rund um die Uhr melden und gleich eine Antwort erwarten würden. Auch andere Blogger sprechen vom Druck, den sie empfinden, jeden Hashtag verfolgen zu müssen, immer online zu sein, um am Ball zu sein.
„Digitaler Stress entsteht für mich, wenn ich das Gefühl habe, auf zu vielen verschiedenen Plattformen gleichzeitig sehr präsent sein zu müssen. Als Blogger ist das heutzutage kaum vermeidbar.“ Die Wiener Bloggerin Julia Vogl veröffentlichte ebenfalls einen Beitrag über die von ihr empfundene Reizüberflutung und den Druck, den Social Media auf sie ausübt. Sie glaubt, dass man Körper und Geist damit auf Dauer „extremen Stress“ aussetzt und dass diese „ständige Reizüberflutung sogar schaden kann.“
Ausweg: Digitale Auszeit
Digital Detox nennt sich die Bewegung, die für einen bewussteren Umgang mit dem Smartphone plädiert. Sie ruft in Erinnerung, dass es auch eine „reale Welt“ neben der virtuellen gibt. Das Handy öfter auszuschalten, es zuhause zu lassen, wenn man ausgeht oder komplett einen Tag ohne Endgerät und Internet zu verbringen. Im Prinzip geht es darum, seinen Alltag selber zu gestalten und nicht gestalten zu lassen.
Ein Wochenende ohne #WiFi, ohne Smartphone, ohne Tablet. Hand aufs Herz: Ist das für uns #Smobies noch zu schaffen? pic.twitter.com/us8kBe57IN
— DW | Wissenschaft (@dw_wissenschaft) March 22, 2016
Das Smartphone durchdringt nämlich nicht nur die Arbeit, sondern auch zu großen Teilen die Freizeit. Obwohl sich viele vom eigenen Smartphone abgelenkt fühlen und eher genervt sind, von den ständigen Unterbrechungen – es ist immer dabei und griffbereit.
Vibriert das Handy, wird sofort am Bildschirm gewischt und der Nachrichtenstand gescannt.
Madeleine Alizadeh beispielsweise nimmt sich jedes Jahr für mindestens eine Woche eine digitale Auszeit. Trotz ihres Berufs als Bloggerin habe sie nicht das Gefühl, hinterherzuhinken oder etwas zu verpassen. Den wenigsten Menschen würde es überhaupt auffallen.
Auch Michael Buchinger stellte fest: „Wenn ich mal nicht erreichbar bin und in dieser Zeit zum Beispiel etwas Schlimmes in der Welt passiert, ist das natürlich tragisch. Hätte ich mein Handy oder meinen Computer bei der Hand, würde ich sämtliche Liveticker und Hashtags mitverfolgen, aber eigentlich kann ich ja das Weltgeschehen so oder so nicht beeinflussen.“
Das Handy bewusst nicht dabeizuhaben bedeutet nicht automatisch eine Isolation von der Außenwelt. Denn in Wahrheit ist es oft umgekehrt.
#Smartphone #addiction is stealing our soulshttps://t.co/cqBbVkcy95
Digitale #smombies pic.twitter.com/jAIUeIkg6t
— . (@Ready2Nerd) November 21, 2016
Gerade jetzt zur Weihnachtszeit ist es vielleicht tatsächlich eine Überlegung wert, das Handy beiseite zu legen und sich auf seine Umgebung zu konzentrieren.
Ob man wie eingangs erwähnt das Handy dabei lautlos stellt oder sich für einen Digital Detox entscheidet. Egal.
Dass es keinem auffallen wird, stimmt nicht ganz – die Familie wird es mit Sicherheit merken.