Tomas Zierhofer-Kin im Porträt: Der mit dem Wolf tanzt

Vom Donaufestival zu den Wiener Festwochen – Tomas Zierhofer-Kin hat sich als unangepasster Kulturmanager im tiefschwarzen Niederösterreich bewährt. Nun wechselt er ins rote Wien. Wie er so tickt? Ein Annäherungsversuch.

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Tomas Zierhofer-Kin hat ein Problem mit dem Wikipedia-Eintrag zu seiner Person: »Da stimmt eigentlich nichts drinnen.« Aus Ärger über das dort verbreitete Halbwissen hat er sich irgendwann einmal selbst der Sache angenommen, sich Affären mit Superstars und schwierige Familienverhältnisse angedichtet – bis er von Wikipedia gesperrt worden ist. Weshalb er jetzt erst recht wieder Fragen nach dem italienischen Restaurant beantworten muss, das er 2002 eröffnet haben soll. »Ich hab damals einer guten Freundin geholfen, die ein Lokal aufmachen wollte. Das war alles. Vier Abende die Woche hab ich auch unentgeltlich dort kellneriert, und dann sogar – ich glaub, in der Presse – eine Kritik bekommen: ›der wahrscheinlich liebenswerteste, aber tollpatschigste Kellner Wiens‹.«

Für den Termin mit The Gap nimmt sich Zierhofer-Kin mehr als drei Stunden Zeit. An die 100 Fragen lässt er in seiner geräumigen, aber nicht protzigen Wohnung im vierten Bezirk über sich ergehen. Schon seit einigen Monaten wohnt er hier, fertig eingerichtet hat er mangels Zeit noch nicht. Im Wohnzimmer stehen volle Umzugskartons, manche Ecke wirkt noch etwas kahl. Die Dachterrasse ist im ausklingenden Winter dezent verwildert, im Inneren besorgt ein Luftbefeuchter das richtige Klima für die unzähligen Pflanzen – vom Zitronenbaum bis zur Bananenpalme. Zierhofer-Kin sitzt auf einem übergroßen roten Sofa, als Couchtisch dienen zwei Holzbänke. »Bei jedem Job, den man neu beginnt, ist eines sehr wichtig«, erklärt er, »diese wahnsinnige Euphorie des Anfangs, dass man einfach dieses Gefühl hat: ›Ja, ich hab da etwas vor, und das steckt alle Leute automatisch an.‹ So ein gewisser Pioniergeist: ›Wir müssen das irgendwie hinkriegen.‹« Eine Ausgangssituation, die Zierhofer-Kin aktuell natürlich auch bei den Festwochen hat: »Wien ist die Stadt, in der ich lebe und das gerne, und mit dieser Stadt etwas aufzuziehen – da ist die Euphorie natürlich ganz groß. Es geht mir schon darum, dass ich prototypisch mein Stadtfestival zeigen und zustande bringen will. Was das heute im 21. Jahrhundert können muss, auch im Sinne von gesellschaftlichem Wandel und so.«

Ambitioniert, radikal, konsequent

Mit ähnlich ambitionierten Vorstellungen ist Zierhofer-Kin 2004 als künstlerischer Leiter in Krems angetreten. Er wollte das Donaufestival als genreübergreifende Plattform für zeitgenössische Kunstformen neu aufstellen. Herausgekommen ist ein zumindest damals radikales Festivalmodell zwischen Performance-Kunst, Sub- und Popkultur, das Kolonialismus- und Kapitalismuskritik, vor allem aber auch Queer und Body Politics auf eine große Bühne hob. Zwölf Jahre später übergibt er an seinen Nachfolger Thomas Edlinger, bekannt von FM4, Ö1 und als Kurator. Es sei an der Zeit, meint Zierhofer-Kin konsequenterweise, »dass jemand anderer das Donaufestival repositioniert und mit neuen Ideen am Leben erhält«.

Tomas Zierhofer-Kin: »Kolonialismus, Kapitalismus – das ist alles auf eine Spitze getrieben. Was ökologisch passiert, was an Ausbeutung passiert. Ich kann kaum noch über etwas anderes nachdenken, weil mich das so irrwitzig rasend macht.«

Was er in Niederösterreich erreicht hat, darf guten Gewissens als beeindruckend beschrieben werden: Vom internationalen Hype-Beschleuniger Pitchfork bis hin zum als konservativ bekannten Regionalblatt zollt man dem Donaufestival Tribut. Und auch das Publikum kommt nach Krems. Waren es zuerst noch große Namen aus dem Musikprogramm wie Antony And The Johnsons oder Aphex Twin, die den Ticketverkauf ankurbelten, so verzichtet man seit einiger Zeit auf solche oft teuren Headliner. Dem Erfolg hat es letztlich nicht geschadet. Zierhofer-Kin: »Es ist jetzt nicht mehr so davon abhängig, wer in Krems auftritt, sondern nur davon, dass dort Festival ist. Das ist natürlich wahnsinnig schön, weil für ein Festival in diesem Verständnis so ein Starkult auch nicht sonderlich zielführend ist.«

Dass der politische Wille in Niederösterreich da gewesen ist, auch manch schwierige Zeit gemeinsam durchzustehen, bestätigt Paul Gessl, der operative Geschäftsführer der Nöku, der NÖ Kulturwirtschaft GesmbH, der das Donaufestival mit seinen rund 1,5 Millionen Euro Landesförderung (in etwa 80 % des Gesamtbudgets) zuzurechnen ist: »Es war wirtschaftlich nie eine Frage von Sein oder Nichtsein. Es gibt ein klares Commitment der Politik zu einem Festival, das nicht auf Quote oder Erlöse, sondern auf Differenzierung und Profilierung ausgerichtet ist.« Das authentische Profil des Donaufestivals sei getragen von seinem Inhalt und somit ein Verdienst Zierhofer-Kins, den Gessl als »zielstrebigen künstlerischen Kopf, als starken Kommunikator und Teamplayer« beschreibt.

Die Gunst der Politik

Die schützende Hand Erwin Prölls – der Landeshauptmann beschwört bei der jährlichen Donaufestival-Pressekonferenz im repräsentativen Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse gerne und mit überzeugendem Nachdruck die Freiheit der Kunst – hat wohl auch dafür gesorgt, dass selbst herausforderndere Donaufestival-Aktionen wie etwa ein im Kremser Hafen affichiertes Transparent mit Wachau-Fotomotiv und dem Text »A Magical Place Where Migrants Lose Their Rights« nur vereinzelt Proteste auslösen konnten. Hinzu kommt Zierhofer-Kins von vielen betontes Kommunikationstalent: »In allen problematischen Situationen hat Tomas die Projekte mit den richtigen Argumenten geschickt verteidigt«, erinnert sich Klaus Moser, der als musikalischer Konsulent und im Marketing für das Donaufestival arbeitet. »Er hat ein gutes Gespür dafür, welche Botschaften er wann aussendet und an wen er diese adressiert.« Überdies sei man in der erfreulichen Position, dass sich die Politik nicht ins Programm des Festivals einmische, so Moser. Durchaus überraschend.

»In Unkenntnis der Lage in Niederösterreich haben mich viele Wiener Kolleginnen und Kollegen gewarnt«, erzählt Zierhofer-Kin. »›Du, da wird dir ständig irgendjemand dreinpfuschen und jemand Einfluss nehmen‹ – aber das ist einfach nicht passiert. Ganz im Gegenteil: Es gibt dann immer wahnsinnige Rückendeckung für das Festival. Egal, womit wir uns auseinandersetzen.« Sein Kontakt mit Erwin Pröll habe sich im Wesentlichen auf die gemeinsamen Auftritte bei der Pressekonferenz und zufällige Treffen bei irgendwelchen Empfängen beschränkt, so Zierhofer-Kin: »Grad in einer Zeit, als ich noch den Iro hatte, hat er da oftmals Leute stehen gelassen und ist zu mir hergekommen – was ich ganz lustig fand und was, glaub ich, auch er ganz lustig fand; manchen Spießern, von denen er da oft umgeben ist, zu zeigen: ›Ich red jetzt mal mit dem da.‹«

 

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Bild(er) © Klaus Pichler
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