Als die zwei Boeings am 11. September 2001 in das World Trade Center einschlugen, war damit die erste historische Zäsur seit dem Ende des Kalten Krieges markiert.
Blumenau Martin - Änderung nicht möglich
Provokante Antwort: Gar nicht. Eine Kultur, die den Dialog mit der Umgebung verlernt hat, kann nicht auf Entwicklungen reagieren, wie auch. Das hat nichts mit mangelnder künstlerischer Sensibilität zu tun als vielmehr mit der Ausrichtung der Popkultur in der Postmoderne. Und da ist ihre Rolle eine deutlich von kapitalistischem System determinierte: man hat für die Aufregung, den Thrill, den Spaß zu sorgen, auf breitestmöglicher Ebene. Deshalb gibt es innerhalb dieses Masterplans nichts, was einen wirklichen Einschnitt bewirken kann. Die bedachte Antwort: einiges, aber nur lokal. Klar haben alle, die in New York leben und die Einschläge körperlich gespürt haben, reagiert, direkt oder indirekt. Die Künstler, die Musiker, die Filmer, die TV-Serienproducer. Bruce Springsteen hat ein beschützendes Konzeptalbum gestaltet. Aber das sind Schritte der Verarbeitung von Trauer und Trauma, und somit auch Normalität. Und nichts was eine ganze Kultur verändert. Die Frage, die hinter dieser Frage steht lautet: Ist der Begriff „Popkultur“ überhaupt noch fassbar? Aktuell steckt da nämlich, bis auf ein paar Reservate von tribalen oder klassischen Resten, eh schon alles drin. Auch der Sänger Schrott und auch der Dalai Lama. Ein so gigantischer Komplex wie »unser aller Alltagskultur« ist nicht manövrierfähig wie es eine künstlerische Avantgarde ist, sondern ein stur vorwärts fahrender Tanker. Und wenn die Avantgarde sich dem Kunstmarkt unterwirft, und somit ihrer Fähigkeit der verblüffenden Wendung beraubt, dann gibt es nichts mehr, was das Konzept »Änderung« überhaupt auf seiner Agenda hat. Martin Blumenau, 50, ist Chief Coordinator beim österreichischen Radiosender FM4, Moderator, Autor und Blogger zu den Themen Jugendkultur, Demokratiepolitik, Medienpolitik, Musik und Fußball. http:fm4.orf.at/blumenau
Martin Lorber - Games mit historischer Verantwortung
Wie alle anderen Medien greifen auch Computerspiele das auf, was in der Welt um uns herum passiert. Computerspielen aber kommt durch die Interaktivität eine besondere Rolle zu, denn Spieler sind in diesem Medium nicht nur Zuschauer des Geschehenen, sondern stets auch Akteure. Auch eine Vielzahl historischer Großereignisse der Moderne wurde in Computerspielen aufgearbeitet, ganz gleich, ob es sich um den Zweiten Weltkrieg oder den aktuellen Afghanistaneinsatz handelt. Filmisch wurde der furchtbare Anschlag auf die Türme des World Trade Centers schon mehrfach thematisiert. Hingegen war 9/11 zwar bisher in keinem Spiel aktiver Gameplay-Bestandteil, die darauf folgenden Auslandseinsätze der USA hingegen schon. Auch wenn sich also 9/11 nicht ganz direkt im Spiel niedergeschlagen hat, so hat das Aufgreifen der damit verbundenen Thematik in Spielen dennoch – aufgrund der Wucht der Ereignisse und der globalen Folgen daraus – Computerspiele teilweise in den Mittelpunkt einer engagierten politischen, ethischen und ästhetischen Diskussion katapultiert. An dieser Debatte haben sich nicht nur Mitglieder verschiedener nationaler Regierungen persönlich beteiligt, sondern auch die Feuilletons führender Zeitungen der ganzen Welt. Was wir in vielen Spielen sehen, hat seit 9/11 mit uns Menschen auf noch mehr Ebenen zu tun als vorher. Auch aus diesem Grund kommt der thematischen Aufarbeitung solcher Ereignisse in Computerspielen aus meiner Sicht gesellschaftlich eine große Bedeutung zu. Dies gilt zunächst für die zeitnahe Verarbeitung des Geschehenen, später aber auch im Rahmen der Aufklärung für künftige Generationen. Dabei trägt der Produzent eines Werkes eine große Verantwortung. An ihm ist es, die Ereignisse angemessen und nicht geschönt darzustellen – oder aber bewusst Stilmittel wie eine Überzeichnung einzusetzen. Wie auch immer die mediale Verarbeitung aussieht, dieser Verantwortung müssen sich auch Publisher von Computerspielen stellen, denn die Darstellung historischer Ereignisse darf nicht manipulativ sein und Tatsachen dürfen nicht verdreht werden. Martin Lorber, 44, PR-Direktor bei Electronic Arts und Autor des Blogs www.spielkultur.ea.de.
Renaissance der politischen Propaganda - Alois Pumhösel
Die Serie »24« rund um Antiterroragent Jack Bauer lief im November 2001 im US-Fernsehen an und traf einen Nerv der Post-9/11-Gesellschaft. Die Regierung Bush würde nach den traumatischen Ereignissen zur Tat schreiten, sie würde Kriege führen, sich über Grenzen hinwegsetzen, und Jack Bauer machte es vor: Angesichts ständiger Terror-Bedrohung war ihm jedes Mittel recht. Man konnte die Serie als klares Plädoyer für Folter verstehen. »24« war nur der Anfang einer Flut von Antiterror- und Kriegspropagandaformaten in einem Serienmarkt, der sich als schnell reagierender Spiegel politischer Verhältnisse etabliert hatte. Der US-Serienmarkt expandierte in den letzten zehn Jahren im großen Stil. Er baute seine Rolle als Kulminationspunkt popkultureller Gemeinplätze aus und traf nicht zuletzt auf biedermeierliche Rückzugsbedürfnisse angesichts allerorts kolportierter Bedrohungsszenarien. Gerade der Irakkrieg musste propagandistisch gestützt werden. Die Trinität gesellschaftlichen Zusammenhalts, die US-Produktionen grundiert – Familie als Kernzelle der Gesellschaft, Stilisierung des Präsidentenamts, Ästhetik des vollen Einsatzes für den Arbeitsplatz –, erfuhr in einschlägigen Serien wie »Over There« oder »The Unit« ihre höchste Ausprägung. Der Begriff der Ehre musste die divergierenden Interessen von Krieg und Familie wieder einmal kitten. Ein kleiner Lichtblick war »Generation Kill«: Beim Sender HBO, der ungekannte Qualität im Serienformat realisiert, hatten auch verstümmelte Zivilistenleichen, tragische Fehlbombardements und kontraproduktiver militärischer Ehrgeiz Platz. Aber auch in Produktionen, die angesichts der bedrückenden Realität von Eskapismus getragen waren, hinterließ 9/11 Spuren. Die positive Zukunftssicht der »Star Trek«-Generationen war endgültig Geschichte. In den 2000ern etablierte sich stattdessen die Stilform der Apokalypse. Aliens wurden beinahe kategorisch zu feindlichen Invasoren. Und das Zombiezeitalter brach geradezu über die Seher herein. Wie weit hier der Einfluss von 9/11 tatsächlich reicht, ist kaum zu ergründen. Und mit der Wirtschaftskrise kam schon das nächste Trauma, das es in Serienform zu verarbeiten galt. Alois Pumhösel, 35, beschäftigt sich mit Medienkritik, vornehmlich als Journalist bei der Tageszeitung Der Standard. Er twittert unter @AloisPumhoesel.
ulli
Der deutsche Rapper Curse sang fünf Tage später: »Nichts wird mehr so sein wie es war« und wie recht sollte er behalten. Historische Ereignisse wie 9/11 hinterlassen ihr Profil tief in der Gesellschaft und damit in der Kultur – ganz besonders, wenn ein gefährlich kurzsichtiger Präsident wie George W. Bush mit einem Beraterstab aus Hardlinern die adäquate Antwort geben soll. Der Bürgerrechts-feindliche Patriot Act wurde abgesegnet, mit Begriffen wie »Achse des Bösen« und »Kampf der Kulturen« wurde das gesellschaftliche Klima wie in der McCarthy-Ära auf Eiszeit gleichgeschaltet. Die Militarisierung des Alltags ging eine Allianz mit dem Credo neoliberaler Wirtschaftspolitik ein.
Die Jahre nach 9/11 sind geprägt von Heldenmythen und beschwören mit Hilfe moderner Computerpower den Geist glorreicher, aber umkämpfter Imperien (»Königreich der Himmel«, »King Arthur«, »Troja«, »300«, »Spartacus«, »Alexander«, die Serie »Rome«, etc.). Aber auch eine Reihe chinesischer Martial Arts-Filme (»House Of The Flying Daggers«, »Hero«, »Curse Of The Golden Flower«, etc.) spielen in ähnlich verfassten Großreichen mit Fragen der Ehre und sind plötzlich in westlichen Blockbuster-Kinos zu sehen. Nicht zuletzt die »Herr der Ringe«-Trilogie, aber auch »Star Wars I-III« loten die moralischen Engpässe aus, die entstehen, wenn man mit einem namenlosen Bösen konfrontiert ist. Folter ist Thema in »The Hostel«. Immer sind es westliche Welt-Touristen, die sich als Beherrscher ihrer Umgebung fühlen und ihre Grenzen von einem archaischen Etwas blutig aufgezeigt bekommen. Horrorfilme zeigen die Kehrseite der ach so hehren „Operation Freedom“. Die lässt sich wiederum in einer Reihe von Computerspielen fast ohne jede Brechung durchspielen, während andrerseits investigative Dokumentationen gleichzeitig eine ungeahnte Blüte erleben (»Fahrenheit 9/11«, »Darwin’s Nightmare«, »Eine unbequeme Wahrheit«, »The Power Of Nightmares«, etc.).
Auch die Musik ist gekennzeichnet von einem restaurativen Schock. Plötzlich ist Rock wie aus den 60er Jahren der Sound der Zeit. Soul feiert ein Comeback. Währenddessen rollen brachiale Beats wie aus dem Zentrum der Kampfzone durch den HipHop. Aber auch die Kommerzialisierung wird dort auf die Spitze getrieben. Nach der Reaktion folgt jedoch Aktion. Nur selten gab es in der Popmusik eine Politisierungswelle wie Mitte der Nuller Jahre. Green Day und Eminem nehmen angriffslustigen Protest auf, aber auch von Ska- und Reggae-Artists, die Wiederentdeckung von Post-Punk und sogar Emo können als mehr oder weniger offene Ablehnung der Politik in den Jahren des »Kriegs gegen den Terror« verstanden werden.
Natürlich gab es daneben weiterhin alltägliche Ablenkungen und zeitlose Kunst. Doch 9/11 hinterließ einen tiefen Fußabdruck – im kollektiven Gedächtnis und in der Kultur.