Absolute Ohrwaschelmusik

Keine neue K&D Session. Dafür eine Suite für die Gegenwart, ein Reigen aus feinsten Synths und Melodien, als wäre Wien wirklich eine Weltstadt der Musik.

Die Kontakte wären ja dagewesen?

Ja, die sind auch weiterhin gut. Flying Lotus hat mich immer gepusht, ich habe ja schon auf zwei Platten von ihm Keyboard gespielt. Das ist alles super freundschaftlich.

Kennst du auch andere Artists von Ninja Tune?

Die meisten habe ich bei der 20-Jahre-Feier in Brüssel, London, Paris kennengelernt, im kleinsten Tourbus, den man sich für sieben Leute vorstellen kann, wo Kid Koala, Daedalus usw. dabei waren. Falty DL, Machinedrum, mit solchen Leuten bin ich dann eher in einer Generation.

Und dann gibt es ja noch Affine.

Jamal, der das Label macht, war mein erster Supporter. Das ist alles aus Freundschaft entstanden. Es gab eine längere Ruhephase. Jetzt kommt wieder viel zusammen. Holy Oxygen, da kommt auch noch anderes. Ogris Debris sind Studiokollegen, die sind auch gerade mittendrin.

Es gab letztens eine Podiumsdiskussion mit der Frage, ob denn Affine das neue G-Stone in Wien ist. Das Label setzte anfangs ein paar große Statements, dann kam der Label-Sampler, es gibt noch diese Freundschaften, aber jetzt verstreut sich das doch in alle Winde.

Es braucht auch diese Ausflüge, um mit einem Statement wieder nach Hause zu kommen. Affine ist eine Homebase, wir beeinflussen uns gegenseitig, haben voneinander gelernt. Ich würde nicht Musik machen, wenn mir der Paul (The Clonious, Anm.) nicht Reason gezeigt hätte. Ohne Gregor (Ladenhauf, Zanshin und Ogris Debris, Anm.) gäbe es das Studio nicht und alles, was ich an rhythmischen Sachen mache, wäre ohne Clemens (Cid Rim, Anm.) wesentlich einfacher gestrickt. Das geht das über ein Label hinaus.

Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt auszuwandern?

Hmm. Kurz nach der »Trilingual«-EP und mit all den UK-Bookings hat mir die Idee zugesagt, künstlerisch und persönlich, aber finanziell wäre es eine Belastung gewesen. Ich hätte sicher ein anderes Album in London gemacht. In Wien ist es leichter, mein eigenes Ding zu machen. Es ist leichter, sich hier zurückzuziehen und bietet mir alles, was ich brauche. Ich hatte ein bisschen Angst, was London mit mir machen könnte. Mental habe ich das gebraucht, daran zu denken wegzuziehen, um zu merken, wie sehr ich Wien liebe.

Ist in Wien nicht die größte Gefahr, dass es zu gemütlich ist?

Ja, schon. Wenn ich von einem Festival zurückkomme, brauche ich das. Es bleibt einem schon viel Zeit für nötige und unnötige Selbstreflexion. Das ist etwas, das uns von Tieren unterscheidet, dass wir uns langweilen können. Ich genieße die Freizeit hier, und dass nicht zu viel passiert. Für mich war aber immer viel los, es gab gute Bookings, Leute, die neue Musik hören wollten, in der Fluc Mensa, bei The Loud Minority. Vielleicht wussten manchmal Leute zu wenig Bescheid. Aber so sehr es für einen Künstler schrecklich ist, wenn nur fünf Leute da sind, habe ich diese Tristesse und das Makabere gemocht. Ich mag die Tristesse einer schlecht besuchten Party.

Erlebst du Wien anders, wenn du das mit deinen internationalen Erfahrungen vergleichst?

Es ist nicht mehr so spezialisiert, im Vergleich zu früher. Alles ist ein bisschen größer geworden. Dinge, die früher drei Jahre gebraucht haben, werden innerhalb von ein paar Wochen groß. Das hat sicher auch mit Social Media zu tun. Es geht mehr um alles, was brodelt oder einen Hype hat.

Mit welcher Musik bist du aufgewachsen, John Coltrane, Funk, Psychedelic?

Ich bin mit den 60ern, 70er aufgewachsen. Meine Eltern haben eher die Standards gehört. Ich hab mir da viel selbst erarbeitet.

Und was war die letzte Rock-Platte, die du richtig gut gefunden hast?

Es ist schräg, ich hab nie wirklich Rock gehört. Ich hatte nie eine Nirvana-Phase, sondern bin direkt zu Tupac gekommen. Mittlerweile kann ich es mehr schätzen, die Energie von alten Rock-Songs, die etwa Cid Rim auflegt, taugt mir. Bei mir war das aber früh Hip Hop, Jazz, Elektronik.

Auch keine WG-Parties mit Guns N’ Roses? Das ist doch auch Tanzmusik?

Ich brauch auf der rhythmischen Ebene immer etwas Gebrochenes, Synkopiertes, damit es mich begeistert. Mir fehlt da echt der Zugang.

Was machst du, wenn du wieder mal offline bist? Du arbeitest dann sicher nicht nur? Oder doch?

Nur arbeiten nicht. Ich bin dann schon oft geheim online, ein bisschen ein Lurker, ohne Mails und Social Media, eher auf Youtube, um die Skurrilität der Welt zu sehen. Durch mein eigenes Studio hat sich das seit einem Jahr geändert. Ich habe außerhalb von Musikmachen nicht wirklich andere Hobbys.

Du studierst also nicht heimlich arabisch oder hast geheime Laster?

Das überhaupt nicht. Aber ich zeichne. Das begleitet mich. Ich bin ein Fan von schwierigen Zeichnungen. Ich checke mir den dünnsten Fineliner und mache eine 2x2cm-Fläche innerhalb von vier Stunden voll. Das Artwork ist ja eine Illustration von mir, die hat fast zwei Monate gedauert und baut auf einer 40cm großen Zeichnung auf, die ich zerschnitten und neu zusammengesetzt habe. Das ist ein bisschen eine Metapher für meine Art Musik zu machen: improvisieren, Loops raus schneiden, die Fetzen neu zusammensetzen. Wenn es Musik nicht gäbe, würde ich das machen. Es gibt drei Blocks voll alter Cartoons von mir. Ich habe »Die Hard 4«, bevor der rausgekommen ist, in der U-Bahn gezeichnet, »Die Hard 5« im Einkaufszentrum. Bruce Willis hat da viele Leute umgebracht.

Kiffst du eigentlich?

Nicht mehr. Es war unglaublich interessant, da Musik zu hören. Ich schaffe es aber nicht mehr. Ich war damals nicht selbstsicher genug, und sobald ich einen Ofen anzünde, werde ich in meine Teenager-Zeit katapultiert und lande in meinem 15-jährigen Selbst, das sich Gedanken darüber macht, wer ich bin und was ich hier mache.

Was sind gute Situationen, um das Album zu hören?

Ich glaube bis vor drei Jahren habe ich stark Reaktionsmusik gemacht, bei der man schaut, dass Leute abgehen. Mein Einstieg war über die DJ-Kultur, Benj B, Hudson Mohawke, wo man drauf achtet wie Musik in einem Club oder einem clubbigen Live-Set funktioniert, was wo reinpasst. Ich war dann ein bisschen erschöpft davon. Ich glaube, man hört das Album tendenziell alleine. Ich finde einer der schönsten Orte, um Musik zu hören, ist das Auto – obwohl ich nicht einmal einen Führerschein habe.

Viele Leute hören Musik beim Training. Das ist vermutlich nicht die Situation.

Ich weiß nicht, ich habe das letzte Album von Tim Hecker gehörte, während ich Liegestütze gemacht habe, das geht alles.

Was war denn das größte Konzert, das du bisher bespielt hast?

Das war wohl die Royal Albert Hall, ein Abend von Cinematic Orchestra, wo ich mit Streichquartett, Cid Rim und anderen gespielt habe. Das war einschüchternd, ein surrealer Ort.

Hast du dann wieder deine Brillen abgenommen, um das alles auszublenden?

Ja, zu der Zeit habe ich sie überhaupt nie getragen. Ich habe zwei verschwommene Jahre.

Wirst du eigentlich erkannt?

Gelegentlich. Es kommt vor, aber nicht zu oft. Letztens habe ich ein Paar Hosen gekauft. Da meinte der Verkäufer, jetzt kann ich erzählen, dass ich Dorian Concept ein Paar Hosen verkauft habe.

»Joined Ends« von Dorian Concept erscheint am 17. Oktober via Ninja Tune / Hoanzl.

Bild(er) © Ingo Pertramer
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