Affine Records ist die derzeit wuseligste Beat-Schmiede Wiens. Ihr hybrider Wonky-Frickel-House-Electro-Jazz-Mutant schreibt am Sound der Stadt mit und ist dabei noch ziemlich einzigartig. Grund genug für das vielleicht ausführlichste Interview aller Zeiten (auf The Gapsite). Labelbetreiber Jamal Hachem über den Magnet, das Business, den dahinter und die Substanz von Affine.
Generelle, große Frage: Was motiviert dich eigentlich dazu ein Label zu machen, in einer Zeit, in der jeder darüber schimpft ein Label zu machen?
Ja. Bei mir ist das über die Jahre hinweg gewachsen. Ein kleiner Ausschnitt aus meinem Tun erklärt das wohl am besten. Ich habe vor 13 Jahren als 17-Jähriger mit Drum’n’Bass und Hip Hop angefangen, habe mich dann schnell zum Freestyle DJ entwickelt. Meine damaligen Mitstreiter und ich haben uns damals die Plattform Vitamine Source geschaffen um etwas greifbarer zu sein. Kava war da etwa dabei, der zwischendurch abgetaucht ist, aber dann ein schönes Doppelalbum mit dem Herrn Roedelius gemacht hat.
War Vitamine Source ein DJ-Kollektiv?
Wir haben es audiovisuelle Plattform genannt, also auch mit Visualisten und bildenden Künstlern. Es war eine lose Vereinigung von Freunden mit gemeinsamen Interessen. Ich hatte da unter anderem mal einen Club, den ich kreativerweise „Royal Flash“ genannt habe. Wir haben in Eigenregie eine Vinyl-6-Track-EP veröffentlicht und zum ersten Mal in etwa wie ein Label gearbeitet. Dort war dann auch der allererste Track von Oliver (Johnson, a.k.a. Dorian Concept, Anm.) drauf, der gegen Ende dieses Projekts dazugestoßen ist.
Was heißt „dazugestoßen“? Ist er bei einer Veranstaltung vorbei gekommen?
Kann sein, er hat mir mal erzählt, dass er – als er vierzehn oder fünfzehn war und weggehen durfte – mal bei uns war. Ich hab ihn über Freunde kennen gelernt; und das erste Mal als er mir seine Musik vorgespielt hat, war ich schon hin und weg. Das war in schlechtester Qualität auf einem Mini Disc-Player und war nur eineinhalb Minuten lang. Wir hatten auch ähnliche musikalische Interessen und daraus hat sich sehr schnell eine Freundschaft ergeben. Dann gab es auch schon JSBL, die schon ihre Tracks produziert haben und die ich über Oliver kennen gelernt hatte. Mich hat es jedenfalls schon damals gereizt mit eigenen Strukturen an den Start zu gehen.
Ist die erste EP etwa so eingeschlagen?
Die ist gar nicht eingeschlagen. Aber ich habe gewusst, das sind noch keine professionellen Strukturen, es hat noch nicht einmal einen Vertrieb gegeben. Du gehst da einfach in den Plattenladen und bist froh, wenn der etwas nimmt.
Was du teilweise immer noch machst, oder?
Natürlich. Ich wohn nicht weit vom Substance und gehe auch gern zum Fritz (Plöckinger vom Market, Anm.) in den Laden. Der Plan war die ersten beiden Releases von Dorian Concept und JSBL im Abstand von eineinhalb Monaten gut vorzubereiten und dadurch gleich mit einem Statement rauszugehen und sofort das Repertoire zu zeigen.
Aber was ist da ausgerechnet in deiner Persönlichkeit um ein Label zu starten, wo doch viel andere so langsam zusperrten?
Weil ich an die eigene Power glaube. Und ich glaube daran die bestmöglichen Strukturen aufzubauen – auch wenn man am Ende scheitern sollte. Mich treibt da mein eigenes Interesse und der Hunger zu sehen wie das Ding wächst.
Oft sind ja Leute, die ein Label machen, Leidtragende gewesen und von der Arbeit anderer frustriert.
Also eine Anti-Position war das nie. Ich hab natürlich schon Dinge gesehen und gehört, dass Musiker und Künstler auch im Independent-Bereich teilweise seltsam behandelt wurden und habe mir manchmal gedacht: „Schade, da wäre mehr möglich gewesen.“ Aber ich habe das nicht aus erster Linie deswegen gemacht.
Damals hat es ja auch kaum ein aktives elektronisches Label gegeben.
Ja, es sind einige verschwunden. Klein Records ist z.b so nach und nach weg gewesen, spätestens als Christian Candid nach London gegangen ist. Bei Couch Records habe ich Anfang der 2000er mal gearbeitet.
Du hast also doch einmal für ein Label gearbeitet?
Ja, aber zwischen dieser Arbeit und der Gründung von Affine liegen sieben Jahre. Ich habe aber immer viel beobachtet und die Diskussionen, die Probleme und Fragen der Zeit stets verfolgt.
Cheap ist nur als Indie-Label wieder belebt worden. Mego war damals wohl zu weit weg.
Eigentlich gar nicht so. Mego war nicht weiter weg als Klein. Ich war gerade in den Anfangszeiten des Rhiz häufig dort.
Man hätte mit den beiden Alben also zumindest zu G-Stone oder Mego gehen können?
Wir wollten selbst was auf die Beine stellen. Es war auch nicht der Gedanke eine Lücke zu füllen. Diesen Begriff von etwas „Neuem“ hatten wir gar nicht vor uns. Was aus dieser Wolke entstanden ist, war eine Selbstverständlichkeit. Zu diesem Movement, mit dem auch Oliver assoziiert worden ist, gab es in verschiedensten Städten Parallelen; und das ist dann bis in den Guardian rein als neuer Sound bezeichnet worden. Der Begriff „wonky“ ist aufgetaucht und genauso schnell wieder verschwunden.
Aber was steckt da in dir um für deine Freunde die Drecksarbeit zu machen?
Es ist auch bei Musikern Drecksarbeit dabei.
Aber die …
… die bekommen dann den Applaus, ich weiß. Aber wenn die den bekommen, ist das das Beste was passieren kann.
Bist du vielleicht das mittlere von drei Kindern?
Das Erste.
(Lachen)
Das geht auch küchenpsychologisch nicht auf.
Ich arbeite einfach gern strukturiert an etwas. Es waren wahrscheinlich zwei Jahre von dem Moment an, als ich gewusst habe, dass etwas passieren wird bis zu dem Zeitpunkt als es tatsächlich veröffentlicht wurde. Mir war es wichtig mit einer Wucht zu kommen. Ich hab meine Datenbanken gefüttert und versucht einen Vertrieb zu finden. Nachdem Oliver schon wahrgenommen wurde, hat auch ein Digital-Release von ihm schon die Funktion einer Lokomotive gehabt.
Ist eine Lokomotive so etwas Ähnliches wie ein Zugpferd?
(Lachen)
Das waren Elemente, die geholfen haben. Oft kommt ja die Frage: Naja, warum releasen die Künstler auch auf anderen, größeren Labels? Ich hab das ganz im Gegenteil verstanden: die größeren Labels sind ja eine Lokomotive für den Artist respektive für das eigene Label. Und selbst die können heute kaum noch mal den Artist exklusiv bekommen. Die erste umfassende Dorian Concept EP hat dann wirklich gute Resonanz bekommen und meine undefinierten Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen. Sein Minialbum auf Kindred Spirits ist nur vier Monate später erschienen und diverse Opinion Leader haben sich auf den Zug … oje, ich sehe schon die Headline. …
(Lachen)
Tschuuu, Tschuuu.
… das hat sich dann schnell multipliziert. Dann hat das Touren quer durch die Welt begonnen, Australien, usw. Nach ein paar Monaten haben wir die 12-Inch „Trilingual Dance Sexperience“ nachgeschossen, die noch mal drüber gegangen ist. Und währenddessen hab ich an den nächsten Projekten gearbeitet: Ogris Debris etwa.
Hast du die angesprochen?
Ich hab früh mein Interesse ausgedrückt, aber hatte noch nicht die Kapazitäten. Ich bin ein riesiger Fan, gerade weil sie trotz 4/4-Takt ein bisschen abstrakter sind und eine verspielte, vertrackte Ästhetik haben – was ideal passte.
Wie professionell betreibst du das Label – äh, sicher höchst professionell –, aber im Sinn von: brauchst du auch einen anderen Job?
So gut es geht! Sonst mache ich Presse und Öffentlichkeitsarbeit für ein bekanntes Lokal im Wiener Museumsquartier, bin aber auch in das Veranstaltungslabel Beatbureau involviert. Vorher wie gesagt Falter, dazwischen verspäteter Zivildienst.
Viele der Leute, die etwa die Gründerförderung von Departure bekommen, müssen auf eine Mindestanzahl an Releases im Jahr kommen, damit sich das finanziell ausgeht.
Ja, ich habe mir diese Richtlinien gut angeschaut, aber muss sagen, dass sich das Arbeiten dadurch wohl so verändern würde, dass das vielleicht gar nicht gut wäre. Eben Bedingungen erfüllen zu müssen. Ich bin kein Hippie, ja, aber da tu ich mir mit den SKE-Förderungen leichter. Wir haben bei Affine ja keinen strengen, einjährigen Releaseplan.
Aber, hm, dir macht es Freude für andere diese Strukturen zu schaffen, aber nicht die ganze Zeit?
Man macht so viel wie man sich auferlegt. Die Entscheidung z.B. auch Zanshin dazu zu nehmen, heißt, dass man seine Kapazitäten noch mehr ausreizen muss. Es ist deshalb eigentlich das Gegenteil. Zeit ist einfach immer das Entscheidende.
Aber du könntest dir ja die Gründerförderung von Departure holen – die dich nebenbei ganz sicher fördern würden –, ist es da der finanzielle Druck, der dich abhält, nur das Label zu machen?
Ich möchte einfach nicht naiv sein und alles auf eine Karte setzen, sodass ich sagen muss: Gute Beats zahlen mein Essen. Ich möchte damit nicht unbewusst mein Umfeld belasten.
Ist es dieses: Musik ist was für die Freizeit.
Freizeit und Arbeit ist in dem Kontext verschwimmend.
Du lässt dich nicht festnageln …
(Lachen)
Angenommen es gibt da diesen Typ, der ist 23 und total super und das passt zu Affine und du müssest eben deine Brotjobs zurückstecken?
Dann hätte ich gar kein Problem das zu machen. Jeder geht natürlich mit Druck anders um. Ich könnte jedenfalls gar kein pseudohierarchisches System mit strengen Deadlines aufbauen. Und ich glaube es ist mittelfristig besser zwei kleine Schritte zu machen als einen großen Schritt und dann zu stagnieren. Ich bin allerdings zu sehr der Wettkampftyp um zu sagen, das möchte ich klein halten.
Affine-Interview, Pt.1: Der Magnet
Affine-Interview, Pt.2: Das Business
Affine-Interview, Pt.4: Die Familie
Fotos links: Cover-Artwork Affine Label-Compilation "What A Fine Mess We Made", JSBL, Zanshin, Dorian Concept, Cid Rim, The Clonious, Ogris Debris, Jamal Hachem