Alice Rohrwachers neuer Film »Glücklich wie Lazzaro« ist düstere Klassenstudie und träumerisches Märchen gleichermaßen. The Gap traf die aus Italien stammende Filmemacherin zum Gespräch.
Wie verlief der Castingprozess? Ihr Hauptdarsteller war zuvor ja noch nie vor der Kamera zu sehen.
Wir hatten viele Castings und haben ihn schlussendlich in einer Schule gefunden. Anfangs war er nicht so begeistert, obwohl er sich sehr von der Figur, die er spielt, unterscheidet, hat er mit Lazzaro gemeinsam, dass er sich nie in den Mittelpunkt rücken möchte. Zuerst meinte er sogar, dass er einen Freund habe, der an seiner Stelle den Part übernehmen könne. Ich glaube, er hat diese Figur sehr toll verkörpert, unter anderem auch, weil er die Figur nie als dumm abgestempelt hat. Deswegen hat er es auch geschafft, dass Lazzaro dank ihm zum Engel geworden ist.
Warum wurde der Film im 16-mm-Format gedreht?
Mein Team und ich haben immer schon mit 16 mm gedreht. Es ist eine Technologie, die mir sehr gefällt, da ich sie sehr hilfreich finde. Man konzentriert sich mehr. Wenn man mit 16-mm-Film dreht, passiert der Großteil der Arbeit während des Drehs. Es gibt nicht die Tendenz, dass man die Arbeit auf die Postproduktion aufschiebt – wie es etwa bei digitalen Produktionen oft der Fall ist. Man versucht das Maximum herauszuholen, und das ist auch sehr gut für die kollektive Arbeit an sich.
Für mich hatte der Film einen zeitlosen Aspekt. Inwiefern war das gewollt? Und welche Herausforderungen gab es für Sie?
Der zeitliche Aspekt war sehr stark gewollt. Wir wollten eine zeitliche Ebene schaffen, die sich zwischen Realität und Imagination bewegt, weil ich auch der Überzeugung bin, dass es bei der Abbildung von Vergangenheit nie die echte Vergangenheit ist, sondern nur eine imaginierte Version davon. Eine der Schwierigkeiten war, die Kontrolle zwischen den zwei Strängen, die es im Film gibt, zu halten. Zum einen dieser sehr konkrete, pessimistische Aspekt, auf der anderen Seite dieses spielerische, ironische Märchen.
Wie sehen Sie Ihre Arbeit? Was soll diese bewirken?
Das Ziel meiner Arbeit ist immer der Prozess, mir geht es immer um die Arbeit selbst, um die Reise. Es gibt ein sehr schönes Gedicht von Konstantinos Kavafis, einem griechischen Dichter. Es heißt »Ítaca« und erzählt davon, wie Odysseus nach Ithaka zurückkehrt. Die Insel wird als karg und ungemütlich beschrieben. Aber die Botschaft ist: Obwohl die Insel karg ist, hat sie ihm dennoch diese Reise geschenkt. Ich glaube eben, dass die Reise sehr wichtig ist, dass man diesen Prozess mit Selbstreflexion und auch bewusst machen muss, aber dass es eben mehr um die Reise als um das Ziel geht. Und wenn, dann geht es mir auch weniger um ein individuelles als um ein kollektives Ziel. Das ist mir wichtiger.
»Glücklich wie Lazzaro« von Alice Rohrwacher ist zurzeit in den österreichischen Kinos zu sehen.