Amour. Liebe

Autre Ne Veut bringen Gefühlsexpressionismus in eine kühle Form und vertonen theatralische Konstellationen von Schuld und Sühne. So geht Pop Art.

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Bei Autre Ne Veut ist das, was gerade gern R’n’B genannt wird, der direkteste Weg, um etwas Größeres zu sagen, nicht nur, um ans andere Geschlecht zu kommen und das ganze Drama hinauszureihern – gefangen allein im Wandschrank, Alkohol, unbeantwortete Anrufe –, ja, auch das, aber sein Hauptthema ist grundsätzlicher: Liebe als Angst um den anderen. Für das Zwischenmenschgedings muss an einer Stelle nichts weniger als ein Weltkrieg her. Oder die letzte Ohnmacht, der Tod nämlich. Die Gewissheit zu sterben verhindert nicht, dass man sich ins Gesicht lügt. Das ist die Ebene, auf der Autre Ne Veut – Arthur Ashin aus Brooklyn – sich Gefühlen nähert, in ihren dunkelgrauen Kern hineinbohrt, vielleicht, weil er in Psychoanalyse war.

Drive

Autre Ne Veut verwendet dafür die klingenden Träger von Kitsch und Cholera aus den 80ern: schlimmer Falsett, metallische Sounds und elektrische Trommeln werden auf »Anxiety« aber zu purem Expressionismus. Egal wie billig das Midi-Schlagwerk und die Zuckerwatte-Synths früher einmal geklungen haben mögen, hier dienen sie ganz dem Ausdruck, Amour und Angst. Gespickt wird das Album mit abrupten Dissonanzen. Wer »Drive« gesehen hat, sollte sich genau jetzt ein inneres Bild davon machen können. Beide, Album und Film, suchen im kalten Schauer der 80er ein Maximum an Gefühl. Sie lassen die Ironie hinter sich, auf der schmerzvollen Suche nach einem richtigen Gegenüber. Im Video zum erschreckend-großartigen »Play By Play« ist dieses Gegenüber schon gegangen. Ein Monitor, der wie in einer Karaoke-Bar zuerst die Sekunden des Intros zählt, strahlt später den Songtext auf den Betrachter zurück, ohne Party, ohne billigen Tequila oder Gäste. Es ist klar die Klimax des Albums, in einer Reihe von potenziellen Monstersingles. Was man dafür kaum findet, sind die ruhigen, entspannten Kontrapunkte. Nach drei kompletten Durchläufen braucht man spätestens eine Atempause, Walgesänge oder Enya vielleicht. Das ist auch schon die einzige offensichtliche Schwäche des Albums – begründete Allergien gegen die Standardsounds der 80er ausgenommen.

Wall Street

Therapie, Katharsis, Rorschach-Test, das sei das Album für ihn, meint Autre Ne Veut in Interviews. Auf dem Albumcover sah man im leeren Rahmen ursprünglich »Der Schrei« von Edvard Munch, die vielleicht berühmteste Verbildlichung von Tod, Grauen und Liebe. Das Gemälde im kapitalistischen Kontext einer Kunstauktion wäre – so Autre Ne Veut – wohl noch beklemmender als das Bild selbst.»Anxiety« könnte also vielleicht noch mehr meinen, nehmen wir einfach mal an, die Gesellschaft um uns herum und wie wichtig ihr Geld ist. Dass Labelchef Oneohtrix Point Never in genau diesem Themenbecken daheim ist, wäre ein weiteres Indiz dafür, mehr aber auch nicht. Dabei schwamm Drake vor zwei Jahren mit »Take Care« noch eindeutig auf dem Oberwasser des Kapitalismus. Mit seinem Album hatte sich spätestens der Tonfall im R’n’B geändert, hatte sich entschleunigt und abgekühlt. The Weeknd, Frank Ocean, Miguel. Man kennt das. Aus diversen Kammern im Netz sprudeln seither mit Gefühl schwangere Beats hervor, gerade etwa von Last Night In Paris, Jody oder SZA. Jai Paul schafft sein sicher fantastisches Album vielleicht noch heuer. Ein blasser Magister der Psychologie aus Brooklyn gibt dem Emo-Klimbim nun existenzielles Gewicht.

Hier geht’s thematisch weiter zu unserem Text über Rhyes Debüt »Woman«.

»Anxiety« von Autre Ne Veut ist bereits via Mexican Summer / Software erschienen. In Sachen Liebe außerdem empfehlenswert: »Roses« von Last Night In Paris, »Magique« von Jody und »See.SZA.Run« von SZA.

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