"Musikstadt Wien" klingt nach Mozart, Strauss und asiatischen Touristen. Wie lässt sich eine hehre Idee in die Gegenwart holen? Stefan Niederwieser macht sich grundsätzliche Gedanken.
„Wien ist anders.“ – Zu genau solchen Slogans kann gezieltes Branding einer Stadt führen. Konkretes lässt sich daraus kaum ableiten, sondern bleibt im Raum werbender Stimmungsbilder. Nicht nur deshalb gelten allzu aufdringliche Imagekampagnen – besonders unter Kreativen – als wenig glaubwürdig. Stadt-Branding und -Labeling müssen aber über kostspielige Kulturkosmetik deutlich hinausgehen.
Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny selbst zeigt sich in einem Interview im März 2011 vorsichtig: „Wien steht nicht vor der Notwendigkeit sich zwangsweise ein Image geben zu müssen.“ Vieles gedeiht derzeit abseits klarer Begriffsgrenzen. Und Wien ist in Sachen Musik zudem eine bereits sehr bekannte Marke. Das Problem: diese enthält in allgemeinen Wahrnehmung derzeit kaum Gegenwart und noch weniger Zukunft. Wien gleicht hier trotz diverser Bemühungen von Stadt und Tourismusverband eher einem touristischen Themenpark, der mit Staatsoper, Musikverein und Konzerthaus zentral gelegene Repräsentationsbauten besitzt – Pilgerstätten der Klassik der Ersten Wiener Schule (Haydn, Mozart, Beethoven) –, aber eine entsprechende Gedächtnisarchitektur für die Zeit nach der Donaumonarchie ist nicht sichtbar. Im erweiterten Popumfeld gibt es keine Entsprechung für Philharmoniker, für Festwochen oder Neujahrskonzert. Solche Kathedralen der Tradition werden durch das immer noch weitgehend fehlende Geschichtsbewusstsein im Pop tendenziell verhindert. Die Wiener Stadthalle oder eine eventuell am Rand der Stadt entstehende Popakademie können jedenfalls die musikalische Gegenwart nicht im Bildgedächtnis der Stadt verankern.
Doch was sollte da eigentlich irgendwann aufs Podium gestellt werden? Viel ist aktuell vom Wiener Songwriting-Wunder die Rede. Sieht man sich die Zahlen an – Social Media ist bei aller Verzerrung ein Indikator –, ergibt sich ein verschobenes Bild. Zwar verstärken Künstler wie Clara Luzia, Gustav und Ja, Panik ein lokal deutlich vernehmbares Grundrauschen, mit Soap&Skin, Fennesz, Parov Stelar oder Dorian Concept haben aber Musiker die Nase deutlich vorn, deren Musik eine neutrale Ortlosigkeit auszeichnet. Außerdem bewegen sie sich allesamt in avancierten, globalen Nischen mit einer wechselhaften Nähe zur traditionellen Hochkultur – wie das auch schon Kruder & Dorfmeister stellvertretend für eine heterogene Szene die Neunziger Jahre über getan haben. Die Imitationen internationaler Popstile erfüllen dagegen zwar auf lokaler Ebene wichtige Funktionen, haben aber oft schon hinter den Bezirksgrenzen kaum noch Relevanz.
Wien kann auf Grund seiner Geschichte und geopolitischer Lage außerdem statt Wasserkopf einer Rumpfmonarchie ein Brückenkopf nach Osteuropa werden. Migrantische Kultur und Migrant Mainstreaming sind neuerdings fest in der Wiener Kulturpolitik verankert, der Ost Club hat sich über die Jahre als Kristallisationspunkt der Szene etabliert. Noch bieten sie wichtige Ansätze mit viel Luft nach oben.
Ein künftiges Branding und Labeling der Musikstadt Wien könnte aber genau diese Besonderheiten herausstellen. Es steht vor der Herausforderung einen brauchbaren Umgang mit der enormen kulturellen Vergangenheit der Stadt zu finden, mit einem kantigen Profil der musikalische Gegenwart eine internationale Plattform zu bieten und dabei reichlich Spielraum für Entwicklungsblüten der Zukunft zu lassen.
Alle Bilder wurden aus dem Video zu "i>Meat Song" der i>Eternias entnommen.