Als eine Kommunistin aus Wien floh

Die Fotografin Edith Tudor-Hart hat einen gewaltigen zeitgeschichtlichen Output geschaffen: "Im Schatten der Diktaturen" präsentiert ihre längst als zerstört gegoltene Sammlung ertmals im Wien Museum. Kurator Duncan Forbes skiziiert uns die vielleicht wichtigste österreich-britischen Vertreterin der Sozialreportage.

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Im Herbst 1933 floh eine Frau mit Nachnahmen Suschitzky aus Wien um nie wieder zurückzukehren und in Zukunft auf den Namen "Tudor-Hart" zu hören. Ein halbes Jahr zuvor hatte der österreichische Kanzler Dollfuß das Parlament aufgelöst und verstärkte durch verbotene Streiks und einer zensurierten Presse zunehmend seine antidemokratische Autorität: Als erfahrene kommunistische Kurierin, Aktivistin, kritischen Fotojournalistin und Widerstandskämpferin gegen den in ganz Europa aufblühenden Faschismus war das Exil wohl die beste Entscheidung, die Edith-Tudor Hart damals hätte treffen können. Nach Österreich kehrt sie nie wieder zurück, ihre sozialkritischen Arbeiterreportagen und zeitgeschichtlichen Dokumentationen sehr wohl: In Zusammenarbeit mit den National-Galleries of Scotland kuratiert das Wien Museum die erste monografische Austtellung ihrer Fotografie in Österreich. Kurator Ducan Forbes skizziert uns das Leben einer revolutionären Persönlichkeit zwischen politischem Aktivismus, sozialkritischer Attitüde und fotojournalistischer Präzise.

Edith-Tudor-Hart beginnt ihre Karriere als Fotografin im Wien der Zwischenkriegszeit. Die Ausstellung bringt ihre Bilder dorthin zurück: Wie bewusst oder unbewusst wurde bei dieser Retroperspektive ein Fokus auf die Stadt Wien gelegt?

Duncan Forbes: Als Kurator standen für mich zwei Themen vordergründig im Mittelpunkt: Einerseits hervorzuheben, was für eine ausgesprochen interessante Fotografin Tudor-Hart war und andererseits ihre bewegte Geschichte zu erzählen, die eng mit ihren Fotos zusammenhängt. Tudor-Hart lebt bis 1933 in Wien, demnach hat diese Stadt natürlich eine entscheidende und prägende Rolle auf ihr Leben und ihre Kunst: Dort entwickelt sie sich zu einer politischen Aktivistin, modernen Frau und fantastischen Fotografin. „Im Schatten der Diktaturen“ ist die erste monografische Präsentation ihrer Bilder in Österreich, befasst sich aber ganz allgemein mit ihrem Leben in London und in Wien, wo sie gleichermaßen in die Geschichte eingegangen ist: So bezeichnet Anton Holzer sie in einem Essay als „einzig-authentische Großstadt-Fotografin“, die zu dieser Zeit in Wien gewirkt hat.

Neben Highlights der Zeit in England wird auch eine Auswahl der frühen Wiener Bilder zu sehen sein: Welchen Einfluss hatten diese beiden Orte auf ihre Kunst?

Beide Orte haben Tudor-Hart ganz unterschiedlich inspiriert und geprägt. Im Zuge der Ausstellung wollte ich diese beiden Einflüsse ganz bewusst voneinander trennen: Den Realismus, den sie sich in Wien aneignet und den Naturalismus, der ihre Fotografie später in England beeinflussen wird. Aber nicht nur traditionelle technische Unterschiede, sondern auch die politischen Unruhen und Revolutionen in Wien und London spiegeln sich in ihren Fotos wieder.

Neben ihren Einfluss auf die Dokumentar-Fotografie fiel Edith Tudor Hart auch durch ihr Engagement im Pädagogik- und Bildungssektor, wie der damals noch unbekannten Montessori Bewegung auf. Welche Möglichkeiten hat Wien jungen Fotografen zu dieser Zeit als Ausbildungsstätte damals geboten?

Nach 1918 musste sich das Bildungssystem erstmals von einer schweren Krise erholen. Interessant ist, dass die junge Generation – die ja de facto direkt betroffen war – aktiv in diesen Reformprozess einbezogen wurde. Diese gesellschaftlichen Umwälzungen im heimischen Bildungsektor, aber auch die russische Revolution hatten maßgeblich Einfluss auf Tudor-Harts Bildungsverständnis. Speziell die Fotografie konnte damals relativ gut Fuß fassen: Akademien wie die Grafische oder das Bauhaus – wo Tudor-Hart studierte – nahmen diesen Beruf bereits sehr ernst.

Zudem konnten Studenten bereits praktische Erfahrung in Wiener Studios sammeln. Das Interessante und Spezifische an Tudort-Hart war, dass sie ihre erlernten technischen Fähigkeiten mit ihren zeitgeschichtlichen und kritischen Beobachtungen koppelte. Sie wollte schon in jungen Jahren nicht einfach nur Fotografin sondern Aktivistin, Weltverbesserin und Kritikerin sein.

Bild(er) © © Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004
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