In den letzten vier Jahren haben die Picturebooks nicht nur an ihrem dritten Album, sondern auch an ihren Custom-Bikes geschraubt. Rock ’n‘ Roll und Motorräder – ein Klischee? "Imaginary Horse" versucht sich lieber gleich an Mythen.
Drei Alben in drei Jahren – so lautete der ursprüngliche Plan der Picturebooks. Vier Jahre sind seit ihrem Zweitling "Artificial Tears" tatsächlich vergangen. Ein paar Monate nach dessen Erscheinen 2010 berichteten die drei Jungs im Interview schon von ersten geschriebenen und aufgenommenen Songs. Doch dann stieg überraschend Bassist Tim Bohlmann aus. Aus drei besten Freunden wurden zwei Brüder, und die Verbliebenen, Sänger und Gitarrist Fynn Grabke und Philipp Mirtschink, zuständig für Schlagzeug und ebenfalls Gesang, mussten das Projekt Picturebooks neu definieren.
Gütersloh über’m großen Teich
Lange Zeit beschränkten sich die Lebenszeichen auf Facebook größtenteils auf Fotos vom Skaten, eine Gemeinsamkeit, die die Band damals in den Skateparks um Gütersloh zusammenführte, und von der neuen Leidenschaft: chromblitzenden Custom-Bikes. Auf diesen scheinen sich die Jungs in der "Auszeit" auf die Suche nach ihrer musikalischen Identität für das dritte Album begeben zu haben. Dessen Titel und der gleichnamige Opener beziehen sich auf Pon Pon, das imaginäre Pferd, das sich Fynn als Kind geausdacht hat. Der Western-Mythos von Freiheit übertragen auf Harley Davidson und Route 66 – klingt nach Bubentraum und Altherrenfantasie? Für die Picturebooks ist es nur ein Wurzelstrang ihres Rock ’n‘ Roll, der tief in ur-amerikanischen Mythen begraben liegt.
Bereits auf den Touren zu ihren ersten beiden Alben wurden sie vielerorts für Amerikaner gehalten, wie Fynn Grabke ebenfalls 2010 erzählte. "Das können wir uns auch nicht so ganz erklären, aber es ist für uns schon typisch. Nach der Show am Merchandise-Stand werden wir eigentlich immer auf Englisch angesprochen." Diesen Eindruck transportierte die Bühnenattitüde genauso wie der Sound irgendwo zwischen Black Rebel Motorcycle Club, Jack White, Queens Of The Stone Age und Nine Inch Nails, wenngleich die Band keine deutsche Version irgendeines internationalen Acts sein wollte.
Durch Wüsten und Sümpfe
Auf dem Drittwerk bleibt der BRMC als Referenz, mit den elektronischen Sound-Sprenkeln der ersten Alben glaubt man anfangs auch die Vielfalt zu vermissen. Beim ersten Eindruck sollte man es aber nicht belassen, guten Alben wird man damit selten gerecht. Das Duo hat neben staubigen Wüsten-Highways auch im sumpfigen Mississippi-Delta gesucht und dort Vintage-Gitarren-Equipment, Bottleneck, große Trommeln und selbstgebastelte Schellen ausgegraben. Die Becken gingen dabei hingegen verloren. Philipp Mirtschink spielt sein archaisches Schlagzeug ebenso roh wie gefühlvoll, auch den ruhigeren Songs verleiht er mit reduzierten Rhythmen mehr Eindringlichkeit.
Überhaupt wurde das Spiel mit Nuancen und Dynamik, vor allem in Gesang und Songwriting, noch ein Stück ausgefeilter als schon auf dem zweiten Album. Gleichzeitig zeigt das neue Werk eine erdigere, ursprünglichere und reduziertere Version der Picturebooks, die klingt wie in einer kleinen, schwülen Spelunke, das Klatschen, Stampfen und die schnarrenden Gitarrensaiten in intimer Nähe. Tatsächlich wurde in ihrer Garage aufgenommen, auf Band mit nur zwei Mikros. Die zaubern stellenweise auch eine überraschend wuchtige Soundwand, die wie ein Sandsturm in der Stoner-Wüste auf einen zurollt.
Ur-amerikanisch
Für Ooooh-Chöre hatten sie von Anfang an ein Faible, jetzt wird deutlich wie viel Blues schon immer in ihrer Musik steckte. In Fynn Grabkes heiser verzweifelter Stimme kommt plötzlich die sich nach Erlösung sehnende Spiritualität eines Gospels zum Vorschein. Aber es sind vor allem die Texte, die das Bild eines mythischen Rock-’n‘-Roll-Amerikas zeichnen. Alltäglichkeiten wie Rubellose und Pizza ("PCH Diamond") werden zu Zeichen amerikanischen Lifestyles, wie es Poolskaten und Rennen im Flusskanal (im Video von "PCH Diamond" sind es Motorrad-Stunts) durch die Popkultur längst geworden sind.
Außerdem hören wir von ruhelosen Herumtreibern, von Fernweh, schmerzhaften Erinnerungen ertränkt in Alkohol und davon, alles hinter sich zu lassen (z.B. "These Bridges I Must Burn"). Nicht zu vergessen, das ewige Kreuz mit den Frauen und der Liebe – bekannte Bilder aus Blues, Country und Rock, universelle Themen die dort im Frontier Spirit von Freiheit und Selbstverwirklichung geballt werden. Romantisiert wird oft auch das Scheitern des amerikanischen Traumes. Für die Picturebooks scheint er sich jedoch zu erfüllen. Nach zahlreichen Clubshows in Europa buchten sie selbst eine vierwöchige Tour durch die USA. Ein Deal mit einer US-Plattenfirma folgte.
Es ist wirklich bemerkenswert, mit wieviel Authentizität die beiden Jungs aus Gütersloh ihren Rock ’n‘ Roll abliefern. Wer skeptisch ist, kann sich von ihrem neuen Album überzeugen lassen. Der Rock-’n‘-Roll-Mythos – auf "Imaginary Horse" haben die Picturebooks ihre eigene Version davon festgehalten – mag im Ursprung amerikanisch sein, aber er gehört längst allen, die seine Symbole kennen, seinen Klang beherrschen und ihm ihr Herz schenken.
"Imaginary Horse" ist am 17. Oktober bei Noisolution erschienen. Im Oktober und November sind die Picturebooks zu Gast in Innsbruck, Salzburg, Graz und Dornbirn.