Was zählt in der Wiener Kulturpolitik? Kulturstadtrat Mailath-Pokorny gibt flauschige Antworten.
Teil Eins des Interviews mit einer schnippischen Einführung gibt es hier.
Graz ist seit Kurzem Unesco City of Design – was ist die mittelfristige strategische Ausrichtung der Wiener Kulturpolitik?
Es gibt eine Menge an Schwerpunkten, die wir versuchen gleichzeitig zu erreichen. Zum einen natürlich immer die Qualität, zum anderen die Zugänglichkeit. Ich halte es für entscheidend, dass noch mehr Menschen unabhängig vom Geld, Zugang zu kulturellen Einrichtungen erhalten sollen. Ein anderer Punkt ist das Migrant Mainstreaming, das Hervorheben und die Beachtung für kulturellen Leistungen von Menschen mit Migrationshintergrund; gar nicht einmal so sehr in der Förderung, sondern die Sichtbarmachung. Viel davon blüht im Verborgenen. Zur postmigrantischen Kulturpolitik gehört es das an die Öffentlichkeit zu bringen – das ist eine unsrer großen Zukunftsaufgaben.
Mainstreaming heißt, das in die bestehenden Strukturen zu integrieren und nicht wieder ein Festival für XY?
Das muss es auch geben und wir haben hier in der MA7, der Kulturabteilung, auch eine eigene Abteilung, die sich mit migrantischer Kultur beschäftigt, aber wir sollten uns darum bemühen, Leute sichtbar zu machen, die eine andere Identität haben. Eine unserer Schienen ist „Cash For Culture“, das dazu dient, jungen Menschen sehr unbürokratisch Geld zukommen zu lassen. Für viele ist das das erste Mal, dass sie Geld von jemand anderem als ihren Eltern bekommen. Das Angebot nehmen insbesondere viele Menschen mit Migrationshintergrund und da wiederum viele Mädchen in Anspruch. Wir wollen auch mit der Förderstruktur diese Migrationsthematik aufspüren und Zugänge ermöglichen.
Und weiterhin geht es darum, Grenzen aufzubrechen, Internationalität zu ermöglichen, auch einzufordern und auch dafür Plattformen zu bieten. Das Popfest ist auch aus dieser Idee heraus entstanden. Mit überschaubarem Aufwand kamen insgesamt rund 40.000 Leute, um Acts zu sehen, die sonst eher im „Verborgeneren“ arbeiten.
Aber gerade das Popfest ist doch ein Beispiel für ein sehr lokales Festival, das für die Bevölkerung der Stadt, nicht für ein internationales Publikum, gemacht wird?
Natürlich wurden zuerst einmal Künstler heran gezogen, die hier vor Ort sind. Bei der Zweitauflage wird das schon durchmischter. Ich hoffe, dass sich das Popfest auch als eine durchaus international wahrgenommene Plattform etabliert. Und ich nehme auch die Leute wahr, die fragen warum es denn kein großes internationales Popfestival in Wien gibt. Das müsste sich entwickeln. Ich habe auch schon vielfältige Gespräche geführt, wo ich allerdings nicht den Eindruck hatte, dass sich etwas Derartiges materialisiert. Es gibt rund um Wien bereits eine Reihe von halböffentlich und privat organisierten Festivals. Ich bin da offen, mir liegt auch viel daran das Popfest bei seiner zweiten Auflage endgültig zu etablieren, und dann kann man sich überlegen in welcher Form man auch noch ein internationales Festival organisiert.
Es gibt ja die Booking Agenturen, die das entsprechend buchen könnten. Was war das Problem bisher, wenn es da offenbar schon Gespräche gegeben hat?
Weder von den Organisationen noch von den Strukturen her hat sich das für mich bisher schlüssig – wie etwa beim Popfest – ergeben. Da gab es gut eingespielte Veranstalter und einen Kurator, der zwar die Szene gut kennt, aber nicht unmittelbar aus ihr heraus kommt und deshalb vor Eifersüchteleien geschützt ist. Es gab auch keine Forderung nach zwei Millionen Euro, weil es drunter nicht gehen würde, sondern das Popfest hat klein und engagiert begonnen.
Das Sziget in Budapest ist für die große Masse, das Donaufestival in Krems die manchmal fast elitäre Avantgarde, Graz ist stark bei elektronischer Musik, für Wien bleibt gar nicht mehr viel Spielraum. Barcelona gilt etwa als ein Beispiel, wo internationale Festivals das Image der Stadt verändert haben.
Ich bin der Imagefrage durchaus selbstbewusst und gelassen. Barcelona hat sich in einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit etabliert, kommt aber auch in eine Durchhängephase. Das eine ist, Dinge zu erfinden, das andere ist, Dinge weiter zu tragen. Wien steht nicht vor der Notwendigkeit sich zwangsweise ein Image geben zu müssen. Ja, ich unterstütze den Tourismusverband, der mit „Wien, jetzt oder nie“ versucht darauf hinzuweisen, dass es Dinge abseits von Schönbrunn und Stephansdom gibt. Wenn man sieht, was in den letzten 20 Jahren geschehen ist, ohne dass gleich ein Hype kreiert wurde, so hat sich trotzdem eine sehr kreative Szene entwickelt. Es geht eher um die Nachhaltigkeit und das kompetente und sensible Aufspüren von Projekten. Wie kann man sensibel damit umgehen, unterstützen und Möglichkeiten eröffnen.
Ich verstehe das zwischen den Zeilen so, als würde man das nicht brauchen, während andere Stellen in Wien überlegen, was ein Dachkonzept oder Leitlinien für die Musik aus Wien sein könnten.
Nein, nein. Da bin ich schon derselben Meinung. Ich habe ja zu einer öffentlichen Nachdenkrunde eingeladen, wo wir versuchen, diese Linien und die Idee der Breeding Places, der Zwischennutzungen, weiter zu denken. Meine Skepsis geht nur in die Richtung, dass wir einen Hype generieren müssten, weil Wien sonst von der Landkarte verschwindet. Diese Angst habe ich überhaupt nicht. Ich glaube, wir können mit dem, was in der Stadt passiert, sehr selbstbewusst umgehen, es weiter entwickeln oder auch kritisieren. Gerade als Kulturstadtrat muss man auch kritische Punkte orten oder darauf achten, was man von anderen Städten lernen kann.
Was wäre das etwa?
Eine Stadt wie Barcelona muss wenig traditionelle Kunstformen unterstützen. Es gibt dort in etwa ein gleich großes Kulturbudget wie in Wien. Der Rest steht für neue Dinge zu Verfügung. Ich hätte sicher gerne mehr Geld für Design, Mode, Architektur, Musik – was allerdings immer ein Verteilungskampf bleiben wird. Umgekehrt gewinnen wir auch einiges aus dieser Situation. Wenn es endlich wieder ein Ballet in der Staatsoper und zeitgenössischen Tanz und Performance geben sollte, könnten daraus etwa wunderbare Kooperationsmöglichkeiten entstehen.
Also, wenn ich sage, dass uns diese großen Dampfer der Kultur manchmal in unsrer Beweglichkeit behindern, bieten sie uns auch eine große Chance. In Berlin kann man von der Geschwindigkeit lernen. Während in Wien andrerseits die Verlässlichkeit der öffentlichen Hand geschätzt wird, d.h. nicht über Nacht gekürzt wird. In Wien haben wir langfristige Verträge und einen institutionalisierten Dialog.
Die Nähe zum klassischen Konzertbetrieb zeichnet Wien aus, aber auch – wie bei Vienna Fair oder das Waves Vienna – die Nähe zu Osteuropa und Südosteuropa. Wären das mögliche Charakteristika des Wiener Kulturlebens?
Die Ostöffnung wird eine wenig mythologisiert. Der Fall des eisernen Vorhangs war eine grundlegende Veränderung. Aber wirklich zusammen gewachsen sind Wien und Bratislava noch nicht. Dasselbe gilt für Budapest, Polen, die Ukraine, usw. Das ist auch nichts was man mit einem Kulturabkommen festschreiben kann. Das müssen die Kulturschaffenden, die Künstler und die Kunstinstitutionen schaffen. Das passiert langsamer, als vermutet, und der Grad des Austausches ist noch ausbaufähig.
Es gibt vereinzelte Initiativen und Ansätze, aber ist die Vorsicht vor der Ostöffnung nicht auch vor dem Hintergrund des enormen Erfolgs der rechten Partei in Wien zu sehen?
Nein, das glaube ich nicht. Ich will auch sicher nichts klein reden und tue das in meinen Möglichkeiten stehende, um jeden Rechtspopulismus zu stoppen, denke aber, dass das eher damit zu tun hat, dass in der Zeit des Kommunismus viele Verbindungen gekappt wurden, oder dass es nach wie vor sprachliche Differenzen gibt. Außerdem sollte es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sein, dass Musik nach der Qualität und nicht nach der Herkunft beurteilt wird. Ich gebe aber zu, da ist noch viel zu tun, und jeder möge sich einmal fragen, wie oft er oder sie östlich von Wien unterwegs ist.
In der Literatur ist der Austausch am weitesten fortgeschritten. Da hatte Wien schon immer diese Drehscheiben-Funktion. Für viele Literaturnobelpreisträger war die Alte Schmiede ein Fixpunkt, Wien für Leute wie Dimitré Dinev, Herta Müller ein Kristallisationspunkt. Mich hat sehr gerührt, als in der Alten Schmiede vor Jahren bei einem „Schwerpunkt Türkei“ viele türkische Autorinnen und Autoren erzählten, dass sie viele ihrer Kollegen zum ersten Mal kennen gelernt hatten. Da fand eine Fokussierung türkischer Literatur statt, die in der Türkei nicht möglich war. Ähnliches gilt für postjugoslawische Literatur.
Eine zentrale Institution als Kristallisationspunkt kreativer Arbeit wäre auch eine durchaus kontroversiell diskutierte Popakademie.
Die Institutionen, die das leisten sollten, wie Universitäten und Konservatorien, tun das sehr punktuell, eine zentrale große Einrichtung gibt es allerdings nicht. Wenn es dafür den Humus gibt und mehr als nur zarte Pflänzchen, bin ich der erste, mit dem man das diskutieren kann, aber – das sage ich offen – dieses Thema hat mich noch nicht so erreicht, dass es Sinn gemacht hätte, weiter strukturiert darüber nachzudenken. Das Mica hat etwa grundsätzlich eine andere Aufgabe, aber generell bin ich auch da eher dafür zu haben, dass sich so etwas aus etwas Kleinerem entwickelt, nachdem die großen Bildungseinrichtungen das kaum noch zusätzlich schaffen können.
Gedeiht mit dem möglichen Kreativcluster im Gasometer vielleicht schon so ein Pflänzchen?
Der Gedanke eines Musikcluster, ein Pop Cluster oder Music City, an dem man verschiedene Einrichtungen zusammen bringt, ist zwar faszinierend, aber mehr als diese Idee ist es derzeit noch nicht. Wir prüfen, wie man die einzelnen Elemente dafür zusammen bringen kann, weil es irgendwann auch zur einer Geldfrage wird, das Projekt ist aber derzeit noch nicht konkret.
Die Förderelemente der Stadt Wien sind nicht überall klar. Sowohl bei Departure als auch in der MA7 werden Projekte und Festivals gefördert.
Hier in der Kulturabteilung werden Projekte gefördert, die nicht auf eine ökonomische Wirksamkeit ausgerichtet sind, in all ihrer Breite und Größe. Hier muss niemand nachweisen, dass er oder sie eine business-fähige Idee hat; hier muss man nachweisen, dass man künstlerische Qualität bringt. Departure wiederum fördert business-taugliche Modelle.
Abschließend: Wird es heuer das letzte Mal sein, dass es eine Termin-Kollision zwischen Popfest und Donaufestival gibt?
Leider wurde diese Überschneidung hochgespielt. Als wir erstmals daran gingen, einen Termin für das Popfest zu suchen, gab es gar nicht so viele Möglichkeiten. Vor dem 1. Mai und nach dem 15. September kann man keine Open Air Events veranstalten. Juli, August sind Semester- und Schulferien. In Wirklichkeit gibt es deshalb nur ein paar mögliche Wochenenden. Und wir wollten das Popfest bewusst vor den Wiener Festwochen machen. Leider drängen sich sehr viele Veranstaltungen in den wenigen Wochen von 1.Mai bis 1.Juli. Es gibt Feiertage, Ostern fällt heuer besonders spät. Beim ersten Mal hat dann offen gestanden niemand auf den Kalender geschaut, um nachzusehen wann das Donaufestival stattfindet. Soviel ich weiß ist die Gesprächsbasis zwischen den Organisatoren beider Festivals aber intakt. Wenn es geht, werden wir die Termine auseinander nehmen, aber auch sonst wird die Welt nicht einstürzen, solange man sich die Acts nicht abwirbt. Es steckt aber keine böse Absicht dahinter, sondern ist dem Termindruck geschuldet.
Das Interview ist Teil der Serie "i>Neue Töne der Musikwirtschaft". Am Dienstag, 5.4., wird bei den i>Neue Töne Music Talks das Thema "Livemarkt und Events" diskutiert. Im Rahmen des i>Popfests ist ein Panel zum Thema "Standort Wien" geplant. Und einige dieser Themen wurden ebenfalls im Rahmen der Sound:frame Theory, insbesondere beim Panel zu "Neuer Wiener Sound?" diskutiert (Videos davon werden demnächst i>hier zu sehen sein.).