Klug, ergreifend und eigen: Alfred Goubrans spätes Romandebüt »Aus.« erzählt eine verworrene Geschichte über den Tod, Männerfreundschaft und das aufrichtige Leben. Mit großer Gelassenheit und poetischer Präzision.
Es gibt da diesen Gemeinplatz, von dem viele zurückkehren, die dem Tod verdammt nah waren: Das ganze Leben sei im Kopf wie in einem Film noch einmal vor ihnen abgelaufen, erzählen diejenigen, die noch einmal davon gekommen sind, jenen, die das wohl oder übel glauben müssen. Alfred Goubran kehrt diese esoterische Legende in seinem Romandebüt um, grundskeptisch und im Wortsinn. Der Punkt im Buchtitel »Aus.« deutet schon an, dass es da weitergeht; dass es ein Leben nach dem Tod gibt: Eben für die Zurückgebliebenen.
Zwei Männer gehen nach einem Begräbnis vom Zentralfriedhof in die Wiener Innenstadt. Der eine, Münther, ist Journalist und hat sein Kind verloren, das gleich nach der Geburt gestorben ist. Die Kindsmutter liegt nach einem Unfall im Koma. Der andere, Muschg, ist Theaterdisponent und begleitet seinen Freund. Ein Gespräch wäre absolut fehl am Platz. Was soll man an diesem Wendepunkt im Leben des einen schon sagen? Was wäre nicht banal, unüberlegt, daneben? Im Kopf lassen beide ihr Leben vor sich ablaufen, nicht als linear konstruierten Film, sondern über gedankliche Umwege, Abschweife, verworrene Selbstbeschwörung und Reflexion über die eigene »Existiererei«, Umgangsformen und die »Gedankenersparnis« der Mitmenschen.
Wir begleiten die beiden Männer auf ihrem »schweigenden, gemeinsamen Gang« in zwei einander abwechselnden inneren Monologen. So entwickelt sich beim Lesen ein intimer innerer Dialog. Wir hören Kopfstimmen, ein Gespräch, das so nie geführt würde, ausgebreitet in endlosen Satzkonstruktionen. Kein Mensch denkt nach Punkten und Beistrich.
Goubran gelingen dabei absolute Sentenzen voll scharfem Sinn, Blick und, ja, auch Witz. Überhaupt ist es die große Gelassenheit, die dieses Buch in all seiner poetischen Präzision und seinem unsympathischen Personal erträglich machen. Lesbar als Roman, aber auch als schier unfassbare Sammlung an Aphorismen und unbequemer Lebensweisheit. Unbequem, weil unangepasst, sprachlich diszipliniert und völlig unschematisch. Goubran macht es weder sich selbst, noch seinen Lesern, noch seinen Figuren leicht.
Eine Poetik des Nicht-Dabei-Seins
Es ist ein Freundschaftsdienst, einander Gesellschaft zu leisten, Beistand und Präsenzdienst. »Ich glaube, dass Freunde immer eine Welt teilen. Sie begründen sie, sie teilen sie«, sagte Alfred Goubran bei der Präsentation des Buches in der Nationalbibliothek. So skizziert sein Roman auch eine Männerfreundschaft, die zumindest in dieser Situation ohne direkten Dialog auskommt. Gleichsam als gedankliche Schittmenge kommt es in den Überlegungen der beiden Schweigenden auch zu einer Wiederauferstehung eines gemeinsamen verstorbenen Freundes. Es ist vermutlich Goubran selbst, der in Gestalt des verstorbenen Dichters Aumeier in Erscheinung tritt. Postuliert »der strenge Aumeier«, auch »General Aumeier« genannt, doch auch Goubrans Poetik und Lebenshaltung als Künstler: Der Dichter zeichne sich durch eine »Entscheidung zur Machtlosigkeit« aus, ein bewusstes Leben im Abseits und ein selbst gewähltes Nicht-Dabei-Sein ‒ um sich die eigene Souveränität zu bewahren.
Der Autor selbst verneint im Gespräch zwar den autobiografischen Gehalt des Romans, relativiert aber gleich wieder wenn er sagt: »Man schöpft aus der Welt, in der man lebt.« Alfred Goubran war in seinem früheren Leben ein ambitionierter und verdienter Verleger. Mit seiner Edition Selene, 1993 gegründet, hat er Autoren wie Paul Divjak, Michael Lentz oder Stefan Alfare entdeckt und gefördert. Auch Stermann & Grissemann debütierten hier Ende der 90er Jahre als Schriftsteller mit ihren Büchern »Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen kaputtgemacht geworden sind« und »Immer nie am Meer«. Seit 2006 verkauft der Kleinstverlag nur noch Restbestände.
Alfred Goubran war in seiner Unbeugsamkeit unpragmatisch, unbequem anspruchsvoll und deshalb vielleicht kein guter, besser: kein geeigneter Verleger. Goubran ist in seinem jetzigen Leben ein brillanter Autor. Vielleicht der größte, den Österreich derzeit zu bieten hat.
Alfred Goubran ist im Mai und Juni als »Writer in Residence« am Deutschen Haus der New York University, N.Y.C. zu Gast ‒ eine Auszeichnung, die zuvor etwa Daniel Kehlmann, Alain-Claude Sulzer, Thomas Brussig oder Ingo Schulze zuteil wurde.
Ein Auszug aus "Aus.", erschienen im Braumüller Verlag, Wien:
»Wir leben in ruinösen Verhältnissen. Die Katastrophe, so Aumeier, ist längst eingetreten, der Versuch, das Grundlose auszuschließen, gescheitert – dies nicht zu sehen, wegzuschauen und die Propaganda, das propagierte Weltbild zu glauben, bedeute Dabeisein. Zu leben, als ob alles in bester Ordnung oder wie es heißt auf dem besten Weg sei, bedeute Dabeisein, bedeute die Katastrophe ins Anonyme abzudrängen, sie unkenntlich zu machen, sie zu verbreiten wie einen Infekt. Die Wahrnehmungsstörung sei kollektiv, so Aumeier, das Verharmlosen die Norm, im Handeln, im Denken, im Reden. Öffnet einer den Mund, spricht die Kolchose. Muss man schweigen. Spricht man sich aus. Ich erinnere mich: Es konnte vorkommen, dass Aumeier auf einen Weltverbesserer traf, einen Studenten, Politiker, Zwangsoptimisten, der ihm Destruktivität vorwarf. Ein Vorwurf, den Aumeier immer mit demselben Satz quittierte, der jede weitere Diskussion im Keim erstickte: Ich bin an einer Verbesserung des Falschen nicht interessiert.«