Revolutionen, Tote, Aufstand für die Demokratie … Bilder, die im Fernsehen zu Key Visuals herunter gebrochen werden. Claudia Bosse und das Theatercombinat aber stellen Fragen, jetzt mit der Rauminstallation "Thoughts meet space", und performen gegen die Atemlosigkeit.
"Designed Desires" vom Theatercombinat an der ehemaligen Zollamtskantine (© Luise Wolf)
"Art undergrund!" Mittwoch Abend versammelte sich gut informiertes Künstlerpack an der Betonrampe zur ehemaligen Zollamtskantine in der Schnirchgasse – ähnelt einer alten Arbeiterkantine und steht als Betonflachbau über einer verlassenen Parkhausetage. In den letzten Zügen des Sonnenuntergangs ging man gesammelt die Rampe hinauf – an dem Flachbau leuchteten die Buchstaben „Designed Desires“ - Titel der letzten Raum-/Performance-Installation des Theatercombinats dort.
"The breath of thoughts and death" - der Opening Act zur Rauminstallation "Thoughts meet space" von Claudia Bosse und Theatercombinat (© Lejla Mehanovic)
Der große Raum im Flachbau hat – ausgestaltet mit weißen Tüchern und Leinwänden etwas Loft-ähnliches, das sich mit verlassenem Kantinen-kalt-Flair beißt. Durch die Spalten der Vorhänge sieht man durchs Fenster hier oben ins Grüne – inmitten der ghettoisierten Betonwohnbau-Landschaft im dritten Bezirk. Die Video-Projektionen stehen noch still, alles wartet. Dann plötzlich: zehn Menschen – nackt, nur durchsichtige Strumpfhosen tragend, verteilen sich im Raum und beginnen von einer Atem-Partitur weg ihre Körper mit Luft zu füllen und zu bewegen. 30 Minuten lang. Wenn sie die Luft in kräftigen, lauten Stößen wieder in den Raum entlassen und krächzen dabei, sacken sie in sich zusammen wie Tote nach dem letzten Schrei.
Die "Atem-Partitur" zur Performance "The breath of thoughts and death" von Claudia Bosse und Theatercombinat (© Lejla Mehanovic)
"Der Atem", so Claudia Bosse, "ist das grundlegendste, das den Körper existieren und Denken lässt und gleichzeitig so nah am Verenden des Körpers, am Tod." Ähnlich ist es doch mit den Themen, die sie hier befragt - fast unsichtbar sind "die Grenzen - wo unsere geschützte Gesellschaft eigentlich so sehr in Gefahr ist, aber man blendet es aus." Der Atem steht hier als Symbol für das „Selbstverständnis über die Sicherheit unseres eigentlich bedrohten Lebens, seiner Fragilität.“
Projektion meets Zeichnung von Claudia Bosse und Theatercombinat (© Lejla Mehanovic)
"Es gibt die Bilder eines getöteten und blutenden Gadaffis; und es gibt Bilder des schon nicht mehr als Körper identifizierbaren Mohammed Buazizis - die Ikone der Tunesischen Revolution. Warum werden diese Bilder mit so unterschiedlichen Moralen aufgeladen? Einmal sagt man: 'Oh, was für eine furchtbare Grausamkeit!' Und ein andermal braucht man den zerstörten Körper des Toten als symbolisches Opfer für die gute Sache. Aber worüber legitimiert sich dieses Handeln eigentlich?", so Claudia Bosse.
Rauminstallation von Claudia Bosse und Theatercombinat (© Lejla Mehanovic)
Hier werden Medienbilder aus verschiedenen politischen Ereignissen gezeigt, wie z.B. aus Fukushima, durch ihr Arrangement verglichen und ins Verhältnis zueinander gesetzt, um zu sehen, welche Lesbarkeiten sich daraus ergeben: "Interessant ist“, so Bosse zu den Bildern aus Fukushima, „dass man bei diesem Ereignis kaum Bilder mit vielen Menschen sieht. Man sieht Einzelpersonen oder aber Sammlungen von Objekten, die aus der Ordnung geraten sind." Bestimmte Ereignisse werden mit bestimmten Bildern kommuniziert. Natürlich, niemand möchte Menschen sich in dieser Umgebung bewegen sehen. Tatsächlich tun das aber notwendigerweise sehr viele. Aber weshalb erhalten gerade die Menschen, die ihr Leben für den Rest der Welt und die Fehler anderer auf's Spiel setzen, die geringste Aufmerksamkeit?
Rauminstallation von Claudia Bosse und Theaterkombinat (© Lejla Mehanovic)
Hier leuchten Projektionen politischer Aufstände den Raum aus. Ein Objekt – das in seiner Fragilität an Egon Schieles Strich erinnert – hängt an einem durchsichtigen Faden. Sind es die Gebeine eines Toten – die hier gemeint sind? Oder symbolisiert das Gebilde aus einer mit Stoff gefüllten Seidenstrumpfhose eine leere Hülle von Mensch? Spielt diese wiederum auf die Utopie „Demokratie“ an? Vladimir Tatomir, kroatischer Kulturschaffender sagte in einem Interview mit Claudia Bosse: „People hardly ever act individually. They act in groups and groups aren't democratic, they are hierarchical.“
Show-Time! Teilnehmer einer Performance-Installation des Theatercombinats zu sein, heißt: sich in einer auserlesenen (und auserlesen verrückten) Gruppe von Kunstmenschen verschollene Räume der Stadt wieder an zu eignen – als ein Spiel-, ein Schauplatz, ein Labor oder eine Bibliothek…
„Thoughts meet space“ heißt die Installation, die noch bis Samstag und wie zum Auftakt am Mittwoch bereits, auch zum Abschluss wieder mit einer Performance genossen werden darf. Der Opening Act „The breath of thoughts and death“ eröffnete die Ausstellung in der ehemaligen Zollamtskantine und ließ den Atem vieler Besucher kurzzeitig verstocken – warum und wie das ausgesehen hat, seht ihr ebenfalls in der Bildergalerie…
In „Thoughts meet space“ gestaltete Claudia Bosse, die künstlerische Leiterin des Kollektivs, wie gewohnt viele Medien über ein Narrativ: Bilder, Sounds, Projektionen, Objekte, Schriften und Karten thematisieren und greifen jüngste politische Ereignisse auf: Revolution, Freiheit, das Gespenst der Demokratie und die Ethik des Handelns. Seit zwei Jahren führten Claudia Bosse, Günther Auer, Marco Tölzer und andere Künstler des Kollektivs mit an die 60 Personen aus New York, Kairo, Alexandria, Tunis, Jerusalem, Tel Aviv, Zagreb u.a. Städten der Welt Interviews zu deren Sicht auf politische Ereignisse, deren ideologische Konzepte und Realität.
Die Vielfältigkeit der verwendeten Materialien und Perspektiven eröffnen ein Bewusstsein für die Komplexität und Vielschichtigkeit dieser Themenkomplexe. Meinungen, Lebensumstände, Traditionen und Illusionen von wirklichen Menschen stecken eigentlich hinter schnellen, eindringlichen Bildern, die in Massenmedien als zu Key Visuals und auf zehn Sekunden Sendezeit herunter gebrochen, oft nur mehr das Schuldgefühl das Wegsehens begleichen, wie die schnelle Pille gegen den Kopfschmerz.
Warum die immer selben Bilder?
Tatsächlich gibt es aber diese Fragen, die „Thoughts meet space“ stellt: Weshalb sind es immer die gleichen Bilder, durch die bestimmte Ereignisse vermittelt werden? Wessen Sicht wird da gezeigt und welche Bilder bleiben uns in Erinnerung – wieso diese? Die Rauminstallation lässt sich wie eine multimediale Bibliothek begehen und wirkt in ihrer ästhetisch-künstlerischen Installation wie ein Katalysator in Geschichte und Gegenwart.
Dieses Projekt steht erst am Beginn eines Prozesses, der sich in Installationen und Performances noch u.a. im Tanzquartier fortsetzen wird. Die Künstler werden weiter gesellschaftspolitische und biografische Ereignissen seit 2011 und bis 2015 sammeln, verarbeiten, verräumlichen und das Gesamtprojekt „(Katastrophen 11/15) ideal paradise“ wachsen lassen. Den Closing Act von „Thoughts meet space“ am Samstag Abend – der höchstwahrscheinlich gerade eben noch im Entstehen ist – sollte man nicht verpassen!
„Thoughts meet space“ – Rauminstallation von Claudia Bosse mit dem theatercombinat vom 26. bis 29. Juni in der ehemaligen Zollamtskantine, Schnirchgasse 9, Wien
Geöffnet jeweils von 20.30 Uhr bis 23Uhr
Closing Act für die Installation am Samstag, den 29. Juni um 20.30 Uhr mit anschließender Season Closing Party im Tanzquartier Wien mit 78Plus und DJ Luis Forever
Lejla Mehanovic