TEDxVienna liegt jetzt schon bald mal 2 Wochen hinter uns. Genau der richtige Abstand um Revue passieren zu lassen.
Es hat eben seine Zeit gebraucht, bis ich meine Eindrücke und Gedanken in kohärente Worte fassen konnte. Tatsächlich kann ich das auch jetzt noch nicht, aber ein loses Konglomerat an beschreibenden Zeilen zu einem Event mit viel Potential kriege ich hin.
Überwiegend heiter, nur wenige Wolken
Grösster Lob zu Beginn: Das TEDxVienna Team kann stolz sein, denn es ist keine leichte Sache eine Konferenz dieser Art abzuhalten und dabei eine äusserst passable Figur zu machen. Schelte muss aber auch sein: Keine Steckdosen für Gäste und NLP und Marketing Coach Talks? Wirklich? Hätte man sich sparen können. Weitaus überwiegend jedoch das Gefühl eine gute Veranstaltung mit Zukunft besucht zu haben, wenn auch die selbstgewählte Themenklammer "The Domino Effect" nicht immer ersichtlich war. Wäre TEDxVienna eine Band könnte man sagen: Super gespielt, aber nächstes mal ein bisschen tighter, bitte.
Kein guter Start
Das schlimmste kam glücklicherweise ganz zu Beginn. Nach unkompliziertem check-in im Studio 44 [1] und einer kurzen Einleitung kam Anitra Eggler auf die Bühne. Sie faselte in kommunikations-konservativem Management-Coach-Neusprech, mit kontextfreien Statistikauszügen gewürzt, von der üblen Macht der Emails und wie wir uns von ihr befreien können/sollen. Ein massiver Reinfall, besonders als opening talk. Eggler, nicht genügend, setzen! Glücklicherweise gab sie nicht den Ton für das ganze TEDxVienna an.
Trend steigend
Die Folgesprecher hoben das Niveau drastisch an, mit einem kleinen, äusserst sympathischen Höhepunkt, als Klaus Stadlmann den kleinsten 3D Printer der Welt präsentierte [2], und einem Klimax in Bernhard Drumels neuen Konzepten demokratischer Prozesse einer post-kapitalistischen Menschheit. [3] Session 1 von 4 machte machte den bescheidenen Anfang mehr als wieder gut.
Vor der Pause
Ein Skype-Interview mit ORF-Nahostexperte Karim El-Gawhary eröffnete Session 2 – berührend und zeitgemäss. Aber der Rest hatte mit sich selbst zu kämpfen. Einerseits enthielt Session 2 den nächsten (aber zugleich auch letzten) Tiefpunkt des Tages [4], andererseits ein Beispiel eines inhaltlich exzellenten, aber unverdaulich vorgetragenen Talks. [5] Session 3 eilte flugs zur Rettung. Nach der Pause.
In der Pause: Hallo, ich bin …
Es ist, denke ich, nicht zu weit hergeholt zu behaupten, dass eine der primären Funktionen solcher Konferenzen das Networking ist. Interessierte befragen Vortragende, Kooperationen entstehen, Austausch findet statt. Die offene Geisteshaltung und positive Grundstimmung, die TED und TEDx Events bezwecken wollen, war spürbar. Natürlich auf wienerische Art und Weise: Lieber erst mal bei den eigenen Leuten bleiben, sicher ist sicher, aber die anderen sind schon auch cool. Bonus-Sternchen für’s TEDxVienna 2011. [6]
Schall und Rauch
Nach der Pause knallte es. Im wahrsten Sinn des Wortes. LOA lüfteten das Geheimnis ihres viralen Table Connect Schabernacks. [7] Schön (mit winziger pyrotechnischer Einlage) in Szene gesetzt und, vor allem, auf den Punkt gebracht. Niko Alm kam auch zum Zug. Es scheint überraschenderweise noch Menschen zu geben, an denen das Nudelsieb spurlos vorübergezogen ist. Was gut ist, denn das Thema kann man gern öfter besprechen. Alles so weit, so gut, sollte Drumel jedoch der einzige überragende Höhepunkt bleiben? Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Im vierten und letzten Teil des TEDxVienna 2011 brach der Damm. Albin Kurti sprach mit bitterer, vehementer Stimme vom modernen Imperialismus internationaler Protektorate; Johannes Grenzfurthner lächelte uns schnippisch das monochrom Kollektiv Filmprojekt "Sierra Zulu" entgegen [8]; Robert Trappl machte den Moonwalk und war der beste KI-Opa, den man sich nur vorstellen kann; und Corinna Milborn prangerte die absurde Immigrationspolitik der EU an.
Bitte mehr!
Damit endete der offizielle Teil des TEDxVienna 2011. Den angeregten Gesprächen unter den Teilnehmern zufolge ging der inoffizielle Teil aber noch länger weiter. Hoffentlich hält er sogar jetzt noch an, denn ein wichtiger Bestandteil des TED und aller TEDx Events ist es Impulse zu geben, die sich in Taten niederschlagen. Fazit: Die kleinen Problemchen störten nicht weiter, die Veranstaltung kann als Erfolg betrachtet werden. Spielraum zur Verbesserung gibt es selbstverständlich, aber den gibt es ja immer.
Abschliessend empfehle ich noch einen kleinen Abstecher auf die TEDxVienna Website (früher oder später wird es doch auch Videoaufzeichnungen der Talks zu sehen geben).
Freu mich jetzt schon auf TEDxVienna 2012.
Nuri "werwolf" Nurbachsch
[1] Es mag schönere und inspirierendere Locations geben, aber ich war positiv erfreut ob der Zweckdienlichkeit des Studio 44.
[2] Klingt erst mal langweilig, ist aber unendlich spannend. Man denke an die Möglichkeiten leistbarer Produktion medizinischer Güter vor Ort, feinmechanische Ersatzteile nach Bedarf und so weiter und so fort. Und wenn ich es mir nicht einbilde, dann hat Stadlmann auch von der Reproduktion biokompatibler Polymere gesprochen!
[3] Das Projekt einer demokratischen Bank hat es mir besonders angetan.
[4] Auch wenn Roman Braun mit breitem Lächeln beschwor, dass es nicht NLP ist: Sein Talk hörte sich trotzdem massiv nach heisser NLP-Luft an.
[5] Ja, ja, der Misik Robert. Schlau ohne Ende, mit vielen spannenden Ansätzen und Anstössen, aber er hat wohl an dem Tag keine besondere Freude am öffentlichen Vortrag empfunden.
[6] Vielleicht ist das eine schlechte Idee, aber für’s TEDxVienna 2012 wünsche ich mir soziale Spielchen in der Pause. Nein, kein Scherz. Ernsthaft. Irgendetwas, das einen zwingt aus dem Kreis der eigenen Vertrauten auszutreten und mit (noch) fremden Personen in Austausch zu treten, abseits von "Ich mach das, was machst du?" – das fänd‘ ich fein, fänd‘ ich das.
[7] Ja, ich gebe es zu, ich bin ihnen auch auf den Leim gegangen und war bis zur ersten Minute ihrer Präsentation gespannt auf das technologische Wunderwerk des Table Connect.
[8] Johannes, es gilt noch immer: Ich will das sehen! Biete hiermit meine Hilfe an, so weit es mir meine bescheidenen Ressourcen zulassen.