Wie viel Vereinfachung verträgt und braucht Diskurs?

Plötzlich sterben Leute und die Meinungsfreiheit wird angezweifelt. Oft braucht es aber viel weniger, als das unfassbar dumme Video „The Innocence Of Muslims“ um Empörung auszulösen. Klar, Vereinfachung ist unvermeidbar, aber wie viel davon ist gut?

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Fresst die Reichen. Muslim Rage. Neiddebatten. Heuschreckenkapitalismus. Esogate. Hipster Metal. – Fast alles lässt sich so vereinfachen, dass sich der Schwarm auf das Thema wie die Meute auf den Knochen stürzt. Menschenmassen handeln immerhin irrational, sie sind nicht Herr im eigenen Haus, und sie mit einem Tier zu vergleichen, ist zwar erst wieder eine grobe Vereinfachung, liegt aber nahe und könnte helfen das Verhalten zu verstehen. Man müsste nur noch wissen, ob sich Massen nun doch eher wie Stacheltiere, Lemminge, Schafe oder Wölfe benehmen, wenn sie sich um ein Thema scharen.

Dabei hat jeder sein berechtigtes Anliegen und sucht eine Bühne dafür. Heute sind die Schranken niedriger, dahin zu kommen. In Diskussionen einzusteigen ist leichter geworden, sei es über Twitterwalls, Flashmob-Aktionismus oder Facebook-Pages mit lustigen Namen. Jeder kann sein eigenes Sprachrohr spitzen und einfach mal abfeuern. Aufmerksamkeit zu erregen war noch nie so einfach. Dafür bricht heute schon wegen kleiner Dinge ein Scheißeregen los. Shitstorm ist das Wort des Jahres, jetzt schon. Und täglich wird der Klimawandel der Worte schlimmer. Die Wut kocht, und man muss schreien: Ich lass mir das nicht mehr gefallen! Oder: Empört euch! Oder: Wir Systemtrotteln haben es satt im Hamsterrad zu laufen! Vielleicht merkt man es sogar an sich selbst. Der Ton ist rauer geworden, weil auch die Verteilungskämpfe schärfer werden. Ein Facebook-Bürger hat unlängst die US-Sängerin Nicki Minaj in einem Posting mit Krebs verglichen, will beim Hören ihrer Musik seiner Katze ins Gesicht schlagen und vermutet man kann AIDS vom Ansehen ihrer Videos bekommen. 900.000 Likes. Disclaimer: Er möchte niemand beleidigen.

Social Media übernimmt aber auch wichtige Kontrollfunktionen, Walter Gröbchen hat für seine Blogbeiträge und Postings letztes Jahr zu recht den Karl Renner Publizistikpreis gewonnen.

Dennoch, ohne Vereinfachung geht es nicht mehr. Und seien wir uns ehrlich: ging es auch früher nicht. Wenn aber auch die Herrschenden von diesem Fieber gepackt werden, hört sich der Spaß auf. Wenn die Doofen und ihre einfachen Lösungen regieren. Wie viel Vereinfachung verträgt und braucht also Diskurs?

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