"Vaterland" zeichnet Jugoslawien oft nüchtern und mitunter extrem emotional als Porträt einer Familie nach, die teils willig, teils unfreiwillig das Opfer einer destruktiven Politik wurde. Eine beeindruckende und einzigartige Graphic Novel.
Wir begehen nicht selten den Fehler, Geschichte als lineare Kette individueller Entscheidungen und deren scheinbar eindeutige Konsequenzen zu betrachten. Nina Bunjevac zeigt in "Vaterland" mehr Tiefe auf, indem sie die Ereignisse am Balkan nach dem Zweiten Weltkrieg mit denen in ihrer Familie verbindet. "Ich habe keine Erinnerungen an meinen Vater und keine emotionale Verbindung", erklärt Bunjevac im Interview. Sie antwortet damit auf die Frage, ob es für sie wichtig war, emotionale Distanz zum Objekt/Subjekt von "Vaterland" zu haben.
"Und ja, ich denke, es war sehr wichtig, dass ich mich der Arbeit von einem neutralen Blickpunkt aus näherte. Das Thema könnte in den Händen von jemandem, der emotional zu involviert ist, leicht missbraucht werden." Tatsächlich ist "Vaterland" voller intensiver Emotionen, allerdings spürt man die der Autorin wirklich nicht besonders oft. Während sie ihren Eltern und Großeltern, ihren Geschwistern, Tanten und Onkeln Raum für Gefühle gewährt, sticht sie selbst durch emotionale Abstinenz hervor. Die Geisterhand Nina Bunjevacs führt das Narrativ durch Ebenen höchster persönlicher Intimität und klinischer Faktenaufbereitung, hinterlässt jedoch so gut wie keinen Abdruck, ihre Berührung nur in ihrem Stil erkannt und in manchen Bildern erahnt.
Für manche ist Nina Bunjevac erst 2012 mit "Heartless" bei Conundrum Press als Comic-Künstlerin in Erscheinung getreten. Allerdings trug "Heartless" nur zusammen, was sie bereits zu renommierten Publikationen wie Broken Pencil, Mineshaft oder Stripolis beigetragen hatte oder auch mit dem Stripburger Kollektiv erarbeitete. In all diesen Outings etablierte sie allerdings eine andere Bildsprache. Starke Symbolik, verwoben mit sarkastischer Sozialkritik, massiven Einflüssen des jugoslawischen Black Wave-Kinos, amerikanischem Film Noir und französischem Nouvelle Vague. Zynisch in ihrer übergreifenden Weltanschauung, dennoch herzlich in Empathie und menschlicher Darstellung. Für "Vaterland" bleibt sie ihrem visuellen Stil treu, aber alles ist nüchterner. Die Symbolik existiert nur mehr in bestimmten Schlüsselmomenten. Es ist eine akademische Nina Bunjevac, doch das dürfte die Materie von ihr verlangt haben.