Plattenbau, Smart City, Ubiquitous City – Planstädte sind bei ihrer Entstehung immer moderne Fremdkörper, doch nicht alle müssen es auch bleiben.
Würdest du nicht an einem Ort leben wollen, wo Hochhäuser den Smog absorbieren, alles perfekt vernetzt ist, die nächste Grünfläche trotzdem nur einen Steinwurf entfernt ist und das alles so modern und nachhaltig wie nie zuvor? Irgendwo zwischen lebendem Zukunftslabor, Orwell’scher Utopie und gesichtslosen Plattenbauten sind Planstädte (engl. New Towns) vor allem eines: Problemlösungen vom Reißbrett, und zwar im Großformat. Denn manchmal versagen Menschen, wenn es darum geht, sich und ihre Städte zu organisieren. Immer wieder werden deshalb ganze Stadtteile und Städte am Reißbrett entworfen.
Im Gegensatz zu "natürlich" (bottom-up) gewachsenen Städten sollen Problemzonen wie Verkehr und Versorgung durch ganzheitliche Planung "von oben" (top-down) bekämpft werden, bevor sie überhaupt entstehen können. Von der modernen "Smart City" Songdo bis zum 900 Jahre alten Wr. Neustadt teilen sich Planstädte die Maxime des Pragmatismus. Mit ganz unterschiedlichen Resultaten. Und Städte explodieren ja, Energie wird immer kostbarer, in Europa und auf der Welt. Selbst in Österreich ist Wien in den letzten zehn Jahren um die Größe von Graz gewachsen. Bis 2030 sollen noch einmal so viele Bewohner dazukommen. Es besteht längst Handlungsbedarf. Milliarden von Menschen leben und pendeln weltweit in Ballungsräumen, die unter der Versorgungslast, der Verschmutzung und dem Energiebedarf in die Knie gehen.
Technokratie ohne Seele
Vom Büro aus per Smartphone seine Pflanzen zu bewässern, Müll, der sich von selbst abtransportiert und Wolkenkratzer die "atmen" sind wahrgewordene Science-Fiction-Szenarien. Smart Citys sind auch immer technologische Baukästen, in denen neue Konzepte umgesetzt und erprobt werden können. Was sich aber in der Theorie vielversprechend liest, scheitert oft an der Realität, wie es beispielsweise in Halle-Neustadt der Fall war. Die größte deutsche Planstadt hat in ihrer kurzen 50-jährigen Geschichte bereits die Hälfte ihrer Bewohner verloren. Wo Anfang der 60er eine Vision der Moderne entstand, steht heute Tristesse in plattengrau.
Die Seele einer Stadt ließe sich nicht in Menschenströmen messen, oder an Hand von Zahlen ablesen, sondern muss wachsen und entstehen. Unordnung sei das Salz einer Stadt, so Daniel Kaplan, CEO des französischen Think-Tank Fing, und wo diese nicht herrsche, entstehe schlicht Langeweile und doch hat das Prinzip Planstadt vielerorts funktioniert. Was Songdo, Halle-Neustadt und Brasília gemeinsam haben, ist die Vision eines Zeitgeists zu sein, eine große moderne Idee, auch wenn die Geschichte anderes lehrt beziehungsweise lehren könnte. Planstädte sind immer auch ein Blick in eine Zukunft von gestern und egal ob gerade im Entstehen oder bereits hunderte Jahre alt, auch immer Smart Citys.
Halle-Neustadt – Oh Tristessa!
Zugegeben, aus heutiger Sicht hatte es "Ha-Neu" niemals leicht: konzipiert als pragmatische Chemiestadt der DDR, sollte Halle vor allem Platz zum Leben und Wohnen für Arbeiter schaffen. Anfang der 60er geplant und bis 64 realisiert, wurde Halle-Neustadt die größte Planstadt Deutschlands und Stigma für sämtliche Kritik am Plattenbau der DDR. Mit Nummern statt Straßennamen und zwar begrünten aber endlos scheinenden Blöcken ("Scheibe") war Ha-Neu nicht entworfen um geliebt zu werden, sondern um eine Funktion zu erfüllen. Heute dient die Stadt gerne als Kulisse, um Tristesse und Monotonie der ehemaligen DDR einzufangen. Obwohl der Ästhetik der Platte eine eigene Schönheit abzuringen ist, steht die Hälfte der Wohnungen in Ha-Neu inzwischen leer.
Songdo City – Ubiquitious1984
Anders als Halle-Neustadt ist das südkoreanische Prestige-Projekt Songdo International Business District (SIBD), kurz Songdo, nicht zur pragmatischen Alternative für die Mittelschicht, sondern mit babylonischem Ehrgeiz geplant: Lebens- und Arbeitswelt tausender Bewohner treffen harmonisch begrünt auf Businesskomplexe und futuristische Technik. Im Zentrum stehen dabei Ströme aus Menschen und Daten.
Am südlichen Stadtrand Seouls wurde Songdo als künstliche Insel aufgeschüttet und ist das größte private Immobilienprojekt weltweit, welches Arbeitsplätze für mehr als 300.000 Menschen beherbergen soll. Die "Ubiquitous City" glänzt vor allem durch Digitalisierung und Vernetzung, die den stetigen Informationsfluss am Laufen hält. Ein allsehendes Auge scannt in Realzeit sämtliche Areale Songdos und gewährt einen stetigen Fluss von Menschen und Daten. Und sollte es einmal nicht so sein, werden bei der kleinsten Unregelmäßigkeit die entsprechenden Organe direkt alarmiert. Sicherheit, reibungslose Abläufe und stetige Optimierung schaffen einen klinisch sauberen Traum, der für Privatsphäre und Individualität nur wenig Platz einräumt – die in Ostasien allerdings auch keinen so hohen Stellenwert haben wie in Europa. Ob sich das Prinzip der futuristischen Stadt als tatsächlich zukunftstauglich erweist, wird sich nach der endgültigen Fertigstellung 2020 zeigen.
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