Ausgeraucht?

Die Initiative „umbauwerkstatt“ beschäftigt sich mit der Zukunft der Linzer Tabakfabrik. Das Symposium „prepare“ soll Handlungsmöglichkeiten und Planungsmethoden aufzeigen. The Gap hat Projektleiter Lorenz Potocnik per Mail Fragen gestellt.

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Die Initiative „umbauwerkstatt“ versteht sich als Forschungslabor, das Ideen zur Nachnutzung der Tabakfabrik entwickeln will. Wie wird an diesen Prozess der Ideenfindung herangegangen?

Lorenz Potocnik: Der Fokus der Umbauwerkstatt ist der Planungsprozess. Wir sind davon überzeugt, dass die Entwicklung der Tabakfabrik nicht mit Routinemechanismen der städtischen Verwaltung zu lösen ist. Der Sonderfall Tabakfabrik braucht ein Sondermodell der Planung. Teil dieses Linzer Sondermodells einer Planung müssen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen der Stadt und freien Initiativen wie der Umbauwerkstatt sein.

Die Umbauwerkstatt versteht sich als Impulsgeber, Moderator und Vermittler und Partner der Stadt! Dabei liefern wird Input und Leistung die – das ist systemimmanent – nicht zur Gänze aus der Stadt kommen kann. Herzstück der Ideenfindung ist das geplante „schaulabor“. Das ist eine sechsmonatige räumliche und personelle Verdichtung des Umbauwerkstatt-Prozesses. Dieses Schaulabor würde das Herzstück in der Ideenfindung darstellen. Konkret ist das Labor ein temporäres Büro und Steuerzentrale eines offenen Prozesses. In einer Art „Echtzeitforschung am lebenden Objekt“ können auch die Ideen der gesamten Bevölkerung gesammelt und raffiniert werden. Daneben würden wir natürlich auch an Szenarien arbeiten, die dann sofort auf ihre Resonanz überprüft werden könnten.

Im Auftrag der Stadt Linz wurde bereits 2009 eine Vorstudie zur Nutzung der Tabakfabrik ausgearbeitet, die drei verschiedene Nutzungsszenarien vorsieht: eine Kreativstadt, eine Exzellenz-Variante und ein Szenario, das die Tabakfabrik als Ort des integrativen Miteinanders entwirft. Wo liegen ihrer Meinung nach die Herausforderungen, wenn es darum geht, solche theoretischen Modelle umzusetzen?

Ich würde die Szenarien der Vorstudie um ein paar erweitern: In Anbetracht der momentan schwierigen finanziellen Lage der öffentlichen Hand könnte ein sehr effektives Szenario ein produktives Dauerprovisorium darstellen, das auf Basis klarer juristischer Regeln funktioniert. Oder die Suche nach neuen Formen der Gemeinschaft und der Arbeit ist ein zukunftsweisendes Szenario. Schließlich sind alle Arten der Konzentration von Kompetenz, von Bildung bis saubere Technologien eine Szenarienentwicklung wert.

Die Herausforderung in der Umsetzung solcher Modelle ist die Langfristigkeit, über politische Legislaturperioden hinaus ein Projekt tragfähig zu machen, eine breit verständliche Geschichte zu entwickeln. Aber natürlich auch diese Modelle eben nicht zu theoretisch zu machen: Szenarien müssen – um Sinn zu machen – vorhandenes aufgreifen und diese vorhandenen Entwicklungen konsequent weiterdenken. Szenarien sind eine Methode Möglichkeiten zu diskutieren und Fragen aufzuwerfen. Was könnte Linz dort grundsätzlich entwicklen? Was könnte Linz an diesem Standort gut brauchen? Welche Nutzungen könnten gut zusammenspielen? … In Anbetracht der Größe des Bauwerks wird es sicher nicht nur eine Nutzung … Wie könnte Linz den Prozess zeitlich und räumlich strukturieren?

Welche städtebaulichen Besonderheiten müssen im Fall der Tabakfabrik berücksichtigt werden? Wo liegen die Vor- und Nachteile in der zukünftigen Nutzung dieses Gebäudekomplexes?

Die Tabakfabrik war bisher eine Insel inmitten der Stadt. Bis zum Ende der Zigarettenproduktion im Sommer 2009 war das Areal nur für wenige zugänglich. Nun öffnet sich das riesige Gebäude mit insgesamt 80.000 Quadratmeter Nutzfläche und es entsteht ein Kontext. Es stellt sich heraus, dass die Tabakfabrik an einem neuralgischen Punkt steht zwischen Donau, Kulturmeile, der Stadt und dem Hafen, der sich die letzten Jahre schon stark entwickelt hat und einer zukünftigen zweiten öffentlichen Verkehrsachse. Die Tabakfabrik ist so groß und an einer so strategischen Stelle in Linz, dass sie ohne städtebauliche Vision nicht zu entwickeln ist und weit über ihren architektonischen Masstab hinaus Bedeutung hat. Vorteile sind die sehr gute innerstädtische Lage, die Größe des Areals (Mischnutzungen), der Flair des von Peter Behrens gestalteten Baus, der große Hof aber auch die nicht unter Denkmalschutz stehenden Bauteile zur Gruberstrasse hin. Diese erlauben eine weitere Entwicklung und Ergänzung mit zeitgemässer Architektur.

Innerstädtische Leerstände (v.a. ehemalige Fabriken) sind in den meisten Städten keine Seltenheit mehr. Können wir hinsichtlich dieser Entwicklung von einem entindustrialisierten Zeitalter sprechen?

Die Industrieproduktion hat sich vor allem verlagert. Schwerindustrie und arbeitsintensive Produktionen (Routinearbeiten) wurden in Länder mit billigeren Löhnen und geringeren Umweltauflagen verlegt. Unsere Ökonomien haben sich zu Wissensökonomien und in weiterer Folge zu Kreativökonomien gewandelt. Ein Symptom davon sind sicherlich innerstädtische Brachen wie die der Tabakfabrik. Im Falle dieser war es schon vor 20 Jahren absehbar, dass dieser Standort nicht zu halten ist. Er wurde aber aus kurzfristigen Überlegungen „gehalten“. Ja, die westlichen ehemaligen Industrieländer erleben seit den 70er-Jahren eine De-industrialisierung.

Strukturwandel – v.a. in städtebaulicher aber auch demografischer Hinsicht – ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Wie kann eine Stadt auf solche Veränderungen reagieren? Welchen Herausforderungen müssen sich die Akteure hinsichtlich einer nachhaltigen strategischen Nutzung von Grund und Boden stellen?

Die durch den Strukturwandel frei werdenden Flächen – oft inmitten der Stadt – bieten die Möglichkeit des Wachstums nach innen. Die Tabakfabrik ist auch in diesem Sinne eine großartige Chance. Und übrigens, was die Fläche oder den Leerstand betrifft, kein Einzelfall in Linz: Frachtenbahnhof, Zollamtsgebäude, Winterhafen, Fleischmarkthalle, ehemalige Landes-Frauen und Kinderklinik bieten alle diese Chance der Verdichtung und auch identitätsstiftender Substanz. Insgesamt die Attraktivität und Dichte der Stadt zu erhöhen ist nachhaltig. Stadt bedeutet Gemeinschaft und das Teilen von Ressourcen. Im Gegenteil dazu bedeutet die Zersiedelung im Allgemeinen volkswirtschaftlich betrachtet hohe Kosten für die Allgemeinheit und die Umwelt strapazierenden Individualverkehr.

Das Museumsquartier in Wien ist ein österreichisches Beispiel für die Transformation und Neuausrichtung eines innerstädtischen Areals. Inwiefern gilt das Museumsquartier als Vorbild für die Linzer Tabakfabrik?

Aus Sicht der Umbauwerkstatt ist das Museumsquartier kaum zu vergleichen mit der Tabakfabrik. Ein Kulturareal in der Größe des MQ bedarf der entsprechenden städtischen Substanz, des Publikums. Wien hat 1,8 Millionen Einwohner, Linz 180.000. Das Museumsquartier hat rund 56.000 Quadratmeter kulturelle Nutzfläche, die Tabakfabrik zurzeit rund 80.000. Zusätzlich wurden alle kulturellen Einrichtungen für Linz schon gebaut oder sind in Planung. Das heißt, dass es keinen nennenswerten Bedarf mehr gibt im kulturellen Sektor.

Interessant könnte aber der Entwicklungsprozess des MQ für Linz sein: Er hat von der ersten Idee bis zur Umsetzung ca. 25 Jahre gedauert und war nur i

m feinen Zusammenspiel von Stadt und Bund möglich. Zurzeit hat das MQ 3,5 Millionen Besucher jährlich und ist in seiner Art einzigartig und ein Magnet für alle Schichten und Altersgruppen der Bevölkerung. Das sollte für die Tabakfabrik auch gelingen: ein lebendiger Mix aus Nutzungen, der Menschen anzieht, die sonst nicht nach Linz kämen und insgesamt durch einen hohen Innovationsgrad so viel Aufmerksamkeit für Linz erzeugt wie das Ars Electronica Festival das eine Woche im Jahr schafft.

Gibt es auch internationale Projekte, die als Vergleich für die Nutzungsmöglichkeiten der Tabakfabrik herangezogen werden können?

Ja, die Van Nelle Fabrik in Rotterdam ist vorbildhaft im Umgang mit denkmalgeschützer Substanz. Die Kunststad in Amsterdam wiederum ist ein gutes Beispiel für hervorragende Zwischennutzung. Schließlich – es gibt dutzende Vergleichsobjekte und kein Patentrezept – könnte die Baumwollspinnerei in Dresden als Vergleich herangezogen werden was die schrittweise Entwicklung des riesigen Areals betriftt.

Der letzte Programmpunkt des Symposiums lautet „Wissensstand feiern!“ – Welchen Wissensstand würden Sie sich für den 13. November um 19.00 Uhr wünschen? Was sollte zu diesem Zeitpunkt geklärt sein, um mit den Ergebnissen des Symposiums weiterarbeiten zu können?

Idealerweise übt das Symposium Einfluss auf das Planungsverständnis der Linzer EntscheidungsträgerInnen. Es wäre wünschenswert, wenn die Stadt und die Umbauwerkstatt das vorhandene internationale Know How für die Revitalisierung von Industriebrachen anzapfen kann. Vielleicht ensteht sogar eine Art Linzer Modell der Planung für die Tabakfabrik? Wesentlich scheinen dabei Begriffe wie offener Prozess, Vertrauen, Mut zu neuen Wegen, und grundsätzliches Bewusstsein für einen Paradigmenwechsel in der Planung und eine veränderte Rolle der Stadt in dem Prozess der Entwicklung.

Werden den beim Symposium entwickelten Ideen auch konkrete Handlungsempfehlungen folgen? Und an wen werden diese herangetragen?

Das Symposium wird von der Umbauwerkstatt zusammengefasst und evaluiert. Für Handlungsanweisungen ist es vielleicht noch etwas zu früh. Diese sollen in weiterer Folge und im Zuge von Szenarienentwicklung entstehen. Umbauwerkstatt will greifbare und verwertbare Ergebnisse schaffen, kein Expertenpapier für Experten. Zusätzlich zu den existierenden Akteuren wie dem Aufsichtsrat der Entwicklungsgesellschaft und der im Sommer 2010 geschaffenen Taskforce zur Entwicklung der Tabakfabrik, sind einflussreiche Persönlichkeiten der Stadt Ansprechpartner für die Zukunft der Tabakfabrik. Umbauwerkstatt wünscht sich hier ein unabhängiges Gremium aus Linzer Bürgern, denen die innovative Zukunft der Tabakfabrik ein – über persönliche Interessen hinausreichendes – gesellschaftliches Anliegen ist.

Lorenz Potocnik ist Architekt mit Basis in Wien und Linz. Spezialisierung auf forschende und prozessorientierte Projekte und Planungen rund um die Disziplinen Städtebau und Architektur. Besonderes Interesse liegt dabei in der Produktion und Vermittlung von Zukunft. Konzeption und Projektleitung der „umbauwerkstatt“, das Anfang 2010 initiierte Forschungslabor zur Nachnutzung der Tabakfabrik Linz. Potocnik unterrichtet Architektur an der Kunstuniversität Linz. Vorstandsmitglied im afo architekturforum oberösterreich. Geboren 1971.

PREPARE ! Symposium zur Zukunft der Tabakfabrik Linz

Behrens, Städtebau, Planungsprozesse

12.11.2010 bis 13.11.2010

Eintritt frei! (keine Anmeldung erforderlich)

www.afo.at

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