AUT ≠ AUS?

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle betrachtet die österreichische Kreativwirtschaft und ihre Ausbildungsmöglichkeiten mit freudiger Überraschung und akademischer Gelassenheit.

Vorarlberg gilt als einer der kreativen Hauptstandorte Österreichs, v.a. durch seine Architektur-Szene, aber hat nur einen einzigen kreativen Studiengang an der FH. Kann eine Region ohne Hochschule oder Universität auskommen?

Natürlich. Eindeutig ist aber auch, dass tertiäre Einrichtungen und insbesondere Universitäten eine Region gewaltig befruchten in jeder Hinsicht. Die Bereicherung findet auf wissenschaftlicher, bildender, kultureller und ökonomischer Ebene statt. Eine Region profitiert sehr davon, wenn sie eine tertiäre Einrichtung hat.

2010 hat FAS Research im Auftrag der WKO eine Netzwerkanalyse der österreichischen Kreativwirtschaft erstellt. Kreative Zentren sind nach Wien Graz und Vorarlberg, danach Salzburg und Oberösterreich. Niederösterreich war als Kreativstandort damals irrelevant, seither hat sich aber einiges getan. Nur, braucht jeder Wirtschafts-Standort eine Kreativwirtschaft oder reicht es, sich anders zu positionieren?

Was braucht man schon außer Essen und Luft? (Schmunzelt) Nein, ich muss Ihre Fragen ernster nehmen… Ich denke, es ist ganz eindeutig und klar, dass kreatives Potential jeder Gesellschaft nützt, es kann ja gar nicht anders sein. Die Antwort wird wohl, da man gerade nach dem Nutzwert fragt, in unterschiedlichen Konstellationen unterschiedlich ausfallen. Z.B wird er in einer Stadt günstiger Weise so ausfallen, dass er die Lebensqualität dieser Stadt erhöht. Ich denke jetzt z.B. an kreative Infrastruktur, aber auch an Kultur auf allen Ebenen. Es geht darum, dass jedes Leben immer in irgendeiner Weise kulturell durch- und überformt ist, und dass das in einer Stadt einen hohen Komplexitätsgrad erreicht.

Wie schätzen Sie Niederösterreich und St. Pölten als Bildungs- und Ausbildungsstandorte generell ein?

Was sich dort in den letzten Jahrzehnten ereignet hat, ist bemerkenswert, in ganz Niederösterreich; in Krems als Bildungsstadt, Wiener Neustadt, Baden, Klosterneuburg usw. In Niederösterreich hat sich sehr viel getan, das ist wirklich sensationell. Dieses Land entwickelt sich von einem agrarischen zu einem kulturell-industriell vielfältigen Gebilde. Erwin Pröll wird ja oft kritisiert, auch für seine Stärke (schmunzelt), aber dieser Aufschwung ist sicher mit seinem Namen verbunden. Das ist eine sehr positive Entwicklung, wobei man bedenken muss, dass Niederösterreich Wien umrahmt…

Wird Niederösterreich aus internationaler Sicht als eigener Standort wahrgenommen oder eher als das „erweiterte“ Wien?

Ich würde eher Zweites vermuten. Ich meine, aus internationaler Perspektive muss man froh sein, wenn Österreich von Australien unterschieden wird, was glücklicher Weise zunehmend geschieht. Aber man kann kaum Differenzierungen erwarten. Das ist auch okay, man muss natürlich auch gemeinsam agieren.

Meinen Sie, österreichische „Dachmarken“ wie „Tyrol“ könnten diese differenziertere Sichtbarkeit aus internationaler Perspektive begünstigen? Gibt es Pläne?

Ja, der Wirtschaftsminister arbeitet an einem starken Branding. Ich sehe auch in Tirol sehr viele erfolgreiche Vermarktungsstrategien, v.a im Tourismus. Es mag jetzt eine lächerliche Anmerkung sein, aber… Ich denke, Tirol hat einen Marktvorteil: sein Name. Nieder- oder Oberösterreich oder Vorarlberg mit ihrem Namen zu vermarkten, ist viel schwieriger. Was mir noch zu Tirol einfällt: Es gibt eine unglaublich erfolgreiche Firma, Cine Tirol, visierte Filmteams kommen aus der ganzen Welt, um in Tirol, dieser tollen „Kulisse“, zu filmen. Heraus kommen z.B. indische „Liebesschinken“, also Bollywood-Filme, und ein Effekt ist: der Anteil der indischen Feriengäste in Tirol steigt enorm.

Tirol konzentriert sich soeben sehr auf seine Stärke als Kreativstandort. Die Wirtschaftskammer und die Standortagentur haben erfasst: jedes zehnte Unternehmen in Tirol hat einen kreativen Schwerpunkt. Eine Befragung ergab aber auch, dass die Kreativen mit einigem unzufrieden sind; den Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten v.a. …

Da sind wir ein bisschen schwach, das stimmt. Deshalb wollte ich ja in Innsbruck eine Kunstfakultät aufbauen, ist mir aber leider nicht gelungen. Die Wiener haben mir damals nicht das Geld dafür gegeben. (Schmunzelt)

Und jetzt gäbe es die Möglichkeit, das zu ändern!

Naja, es würde mir wahrscheinlich enge Parteilichkeit vorgeworfen, wenn ich es jetzt täte. Als Wissenschaftsminister muss ich möglichst alle regionalen Wünsche bedienen. Ich glaube, dass in der Kreativität eine gewisse Synergie und Konzentration wichtig ist, um nicht nur Mini-Standorte zu erhalten. Das befürchtete man wohl damals bei Innsbruck. Aber leider haben wir in Westösterreich keine akademischen Standorte. Andererseits hat sich die Architektur in Vorarlberg ohne diesen akademischen Standort großartig entwickelt.

weiter auf S. 3: Töchterle über wirtschaftliches Denken und die Künstler-Natur…

Bild(er) © Matthias Hombauer
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