Sie heißt Kamala Khan, ist 16 Jahre alt, kommt aus New Jersey, ist die Tochter pakistanischer Immigranten und Muslimin. Die neue Ms. Marvel sorgt Monate vor Beginn ihrer Solo-Serie für Gesprächsstoff. Über Role-Models und die Sache mit der Emanzipation.
Im Marvel-Universum sind muslimische Bösewichte – ob nur angedeutet oder klar ausgesprochen – schon lange im Einsatz. Auch muslimische Heldenfiguren sind nicht neu. 1984 tauchte Jetstream in »New Mutants« auf, zehn Jahre später Monet St. Croix alias M in »Generation X« oder seit 2008 Dr. Faiza Hussain, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber die neue Ms. Marvel, Kamala Khan, unterscheidet sich von diesen in einem essentiellen Punkt: Wo die anderen oft als zweitrangige Charaktere in drittrangigen Titeln eingeführt wurden, wird diesen Februar zum ersten Mal in der Geschichte von Marvel Comics ein muslimischer Charakter eine eigene fortlaufende Serie erhalten. Was hat das nun zu bedeuten?
Ms. Marvel im Marvel-Universum
Die Figur der Ms. Marvel taucht zum ersten Mal 1977 in »Ms. Marvel #1« auf – obwohl sie bereits 1968 als Carol Danvers eingeführt wurde. Diese Ms. Marvel ist blond, blauäugig, Pilotin der U.S. Air Force und hat für die U.S. Homeland Security gedient. Ob sie als feministischer Charakter gewertet werden kann, ist umstritten. Klar ist jedoch, dass Ms. Marvel nach Carol Danvers modelliert wurde. Die konservativen Werte des US-amerikanischen Mittelstands bilden ihre Basis, definieren sie aber nicht. Captain America, das verkörperte den stumpfen Patriotismus und das nationalistische Getöne der USA. Dagegen wurde der American Dream mit Ms. Marvel in weichere Formen gegossen. Mit ihr musste man nicht zum hurra-rufenden Flaggenschwinger werden, um trotzdem mit den USA und ihren Idealen zu sympathisieren. Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie – dafür sollte Ms. Marvel stehen.
Nicht alle sahen das so. Ihre Vorbildwirkung für junge, weibliche Leser ist zweifelhaft. Vonseiten feministischer Leser und Theroetiker erntete sie weitaus mehr Kritik als Lob. In der Regel ist sie gehorsame Befehlsempfängerin männlicher Autoritätsfiguren, seien es militärische Vorgesetzte oder andere Superhelden. Bis sie selbst 2012 in »Captain Marvel (Volume 7) #1« zum neuen Captain Marvel wird. Das hat auch wirtschaftliche Gründe: Der »echte« Captain Marvel trat erstmals 1940 auf, lag durch Streitigkeiten um die Trademark immer wieder auf Eis. Am Ende hatten sich Marvel Comics Captain Marvel gesichert und 1967 eine eigene Serie gestartet, um ihren größten Konkurrenten DC Comics daran zu hindern, diesen Titel benutzen zu können. Allerdings war die Serie nur mäßig erfolgreich, Veröffentlichungen mit Captain Marvel und Ms. Marvel dienten eher dazu, die Rechte daran weiterhin zu behalten.
Musliminnen für Ms. Marvel
Nun liegt es in den Händen der Autorin G. Willow Wilson, Ms. Marvel als Kamala Khan neu zu gestalten. Wilson selbst konvertierte 2002 zum Islam. Bereits mit »Cairo« (2007) und »Air« (2008-2010) stellte sie ihr Feingefühl im Umgang mit dem Thema Islam in der US-amerikanischen Popkultur unter Beweis. Die Idee, ihr den Titel anzuvertrauen, stammt von Marvel-Redakteurin Sana Amanat. Tatsächlich steckt viel von Amanat in der neuen Ms. Marvel. Sie ist selbst pakistanischer Herkunft, in New Jersey aufgewachsen und Muslimin.
Zweifelsohne ist es positiv zu bewerten, dass diese zwei muslimischen Frauen, Wilson und Amanat, die neue Serie leiten werden. In diversen Interviews beteuerten beide immer wieder ihre Absicht, die Religion der Titelfigur nicht zum zentralen Thema machen zu wollen, sondern diese als Teil ihrer Kindheit und persönlichen Kultur zu behandeln. Doch im Widerspruch dazu läuft die PR-Maschinerie beinahe ausschließlich um eben diesen Punkt heiß. Die Artikel (genau wie dieser) und Schlagzeilen sprechen von der »muslimischen Superheldin«, der »weiblichen muslimischen pakistanischen Superheldin« oder handeln davon, was die muslimische Ms. Marvel für Comics und den Islam in Comics bedeuten könnte.
Popkulturelle Pionierleistung?
Von außen betrachtet hat der Islam in den USA häufig kein gutes Ansehen. Die politischen Spannungen zwischen der US-Regierung und muslimischen Nationen formen seit je her die öffentliche Wahrnehmung. Dabei sind US-amerikanische Muslime überdurchschnittlich gebildet, verdienen mehr, fühlen sich politisch integriert und wählten beim ersten Mal sogar mehrheitlich George W. Bush. Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 schlug die Stimmung allerdings öfters in regelrechte Kampagnen um, obwohl dort Religionsfreiheit wie in keinem anderen Land der Welt gelebt wird. An der Eröffnung eines muslimischen Gemeindezentrums in der Nähe von Ground Zero (»Park 51«) konnten sich wochenlange Diskussionen entzünden. Und dass Präsident Barack Hussein Obama selbst ein Muslim sei, war ein Gerücht, das über Monate aus rechten Kreisen auch über den Medienriesen Fox News lanciert wurde, um seine Wiederwahl zu verhindern.