Blick über den Tellerrand

Mit Sudabeh Mortezai hat sich die Viennale nicht nur eine spannende Vertreterin des österreichischen Gegenwartskinos eingeladen, sondern mit ihrem Spielfilmdebüt „Macondo“ auch einen wichtigen Beitrag zum Weltkino im Programm.

Eine eigene Produktionsfirma zu gründen ist heutzutage nicht mehr unüblich. Was hat Sie dazu bewogen mit anderen die FreibeuterFilm zu gründen?

Die Gründung von FreibeuterFilm hat sich aus der Zusammenarbeit mit Oliver Neumann ergeben, mit dem ich seit 2006 drei Filme realisiert habe – er ist der Produzent und Editor von "Macondo" und meinen zwei langen Dokumentarfilmen davor. Wir haben uns kennenglernt, als ich auf der Suche nach einem Editor für meine erste Doku, „Children of the Prophet“ war und er schlug mir vor, den Film auch zu produzieren. Oliver, der da schon ein anerkannter Cutter war, wollte eine eigene Produktionsfirma gründen. Und nachdem „Children of the Prophet“ recht erfolgreich war, haben wir beschlossen, gemeinsam den Schritt zu wagen.

Es war vor allem der Wunsch, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man mag und künstlerisch schätzt, in einer vertrauensvollen Atmosphäre. Das war der erste Impuls. Wie das dann im Detail funktionierte, musste sich erst noch entwickeln.

Ich habe inzwischen nichts mehr mit dem Produktionsbereich zu tun – das macht Oliver zusammen mit Sabine Moser und es werden ja noch viele andere Filme produziert als meine. Für mich ist es wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, wo ich weiß, die Produktionsfirma stärkt mir den Rücken und schafft für mich den Freiraum, den ich brauche, um meine Vision zu realisieren. Insofern bin ich bei FreibeuterFilm wunderbar aufgehoben.

Ihr aktueller Film "Macondo" ist zugleich ihr erster Spielfilm. Wieso haben Sie sich gegen eine rein dokumentarfilmische Auflösung des Films entschieden?

Ich wollte nach den zwei Dokumentarfilmen gerne für mich was Neues ausprobieren, einen Spielfilm mit einer sehr dokumentarischen Arbeitsweise. Als ich von der Wohnsiedlung hörte, die dem Film den Namen gibt und mit den Ort genauer ansah, dachte ich sehr bald, dass das genau dir richtige Arbeitsweise für den Film wäre.

In „Macondo“ leben über 2000 Menschen aus 20 verschiedenen Ländern. Sie sind anerkannte Flüchtlinge. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die authentisch und aus dem Leben gegriffen ist und dennoch die Privatsphäre der Menschen respektieren. Wer sich auch nur ein bißchen mit den Geschichten dieser Menschen beschäftigt, die ihre Heimat unter den schwierigsten Bedingungen und oftmals Lebensgefahr verlassen mussten, versteht, dass sie nicht unbedingt dafür offen sind, ihr Leben für einen Dokumentarfilm offen zu legen.

Im Film „Macondo“ spielen fast ausschließlich Laien, Menschen, die vorher noch nie vor der Kamera standen. Aber sie spielen Rollen nach einem Drehbuch, also dringen wir nicht in ihre Privatsphäre ein und sie fühlen sich freier und können viel offener vor der Kamera agieren. Gerade die Distanz ermöglicht eine viel größere Nähe.

Was wäre anders gewesen, wäre "Macondo" ein Dokumentarfilm geworden?

Das kann ich gar nicht wirklich beantworten. Sobald ich mir über die Form und Arbeitsweise klar war, habe ich mich voll hineingestürzt und nicht mehr über eine rein dokumentarische Form nachgedacht. Jedenfalls wäre es sicher schwieriger gewesen, eine tiefer gehende Geschichte zu erzählen, die über die klassischen Erzählungen von Flucht und Behördengängen hinausgegangen wäre.

Wieso haben Sie den Film "Macondo" genannt?

Das ist der inoffizielle Name der Siedlung, angeblich von einem chilenischen (oder mexikanischen, darüber gibt es auch unterschiedlichen Erzählungen) Bewohner, nach dem Dorf in Gabriel Garcia Marquez Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“.

In der Wohnsiedlung wurden seit den 1960er Jahren Flüchtlinge angesiedelt. Viele Chilenen flohen in den 1970ern vor Pinochets Diktatur und prägten lange auch die Kultur und den Alltag in Macondo. Inzwischen sind es nur mehr sehr wenige. Heute sind die Mehrzahl der BewohnerInnen aus Afghanistan, Somalia und Tschetschenien und neuerdings sind viele Menschen aus Syrien dazu gekommen. So reflektiert Macondo auch die Geschichte weltweiter Kriege.

Wie lange hat sich bei Ihnen die Geschichte des Films bis zur Realisierung entwickelt und wie weit wurde diese im Produktionsverlauf doch wieder verändert?

Ich habe erst einmal sehr viel Zeit mit Recherche verbracht und damit Beziehungen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern aufzubauen. So habe ich z.B. Filmworkshops für Kinder und Jugendliche dort angeboten mit einer kleinen Digitalkamera. Einige der Kinder im Film kenne ich noch von diesen Workshops. Basierend darauf hab ich ein Drehbuch geschrieben. Die Drehfassung des Drehbuchs hat sich im Produktionsverlauf dann nicht mehr viel verändert.

Was allerdings immer wieder neu entstand – und das war bewusst Teil meiner Arbeitsweise – waren die Dialoge. Wir drehten chronologisch und die Darsteller haben das Drehbuch nie zu lesen bekommen. Ich wollte, dass sie immer sehr spontan agieren und habe deswegen immer mit Improvisation gearbeitet. So konnten die Darsteller immer mehr in ihre Rolle hineinwachsen. Im Schnitt hat sich dann noch einiges dramaturgisch verändert. Es war auch total hilfreich, dass Oliver drehbegleitend geschnitten und mir immer wieder Feedback gegeben hat.

Weiter zu kleinen, engagierten Filmteams und die nicht ganz einfache Frage was Heimat ist.

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