Blick über den Tellerrand

Mit Sudabeh Mortezai hat sich die Viennale nicht nur eine spannende Vertreterin des österreichischen Gegenwartskinos eingeladen, sondern mit ihrem Spielfilmdebüt „Macondo“ auch einen wichtigen Beitrag zum Weltkino im Programm.

Wie haben sich Casting und Set gestaltet?

80% des Films spielt in der Wohnsiedlung. Wir haben zwei Wohnungen für den Film ausgestattet. Es war eine Mischung aus Dokumentarischem und Inszenierung. Viele der Rollen, vor allem die Kinder, habe ich für Leute geschrieben, die ich kennen gelernt hatte. Die Hauptrollen – Ramasan, sein Mutter und Isa – und viele weitere Rollen haben wir gecastet. Das Casting war für diese Arbeitsweise ein Grundpfeiler. Vor allem natürlich Ramasan, der in jeder Szene ist und den Filme fast alleine trägt.

Da war es gut mit der großartigen Casting Direktorin Eva Roth zusammenzuarbeiten, die ein tolles Gespür für den Film hatte. Wir haben ungefähr ein halbes Jahr nach Laiendarstellern in der tschetschenischen Community in Wien gesucht und bei den Castings in kleinen improvisierten Szenen ausgetestet, wie die Darsteller vor der Kamera sind und wie sie bestimmte Emotionen verhandeln.

Der Film wurde von österreichischer Seite unterstützt und Sie drehen in einer Wohnanlage des Integrationsfonds Wien. Waren alle von Anfang an Feuer und Flamme oder gab es auch Widerstände gegen Ihr Filmprojekt?

Der Österreichische Integrationsfonds hat uns zum Glück von Anfang an wirklich gut unterstützt, sowohl mit Drehgenehmigungen, als auch, dass sie uns zwei Wohnungen für die lange Drehzeit von 9 Wochen zur Verfügung gestellt haben, die wir nach Bedarf nutzen konnten. Ich hatte natürlich auch durch die lange Recherche schon alle Akteure vor Ort kennen gelernt, auch die sozialen Einrichtungen und Jugendarbeitsvereine, die dort tätig sind. Dadurch war schon ein Vertrauensverhältnis da.

Meist fragt man wie die Arbeit mit dem Kameramann war, der in Ihrem Fall großartige Arbeit geleistet hat, eventuell noch nach dem Schnitt oder Sounddesign. Wie war aber die Arbeit mit den anderen Departments? Wie weit haben Sie sich hier auch inspirieren, korrigieren lassen?

Wir waren ein – für einen Spielfilm – sehr kleines Team, das aber mit enorm viel Enthusiasmus und Einsatz bei der Sache war. Ich hab auf diese sehr kleine, fast dokumentarische Struktur bestanden, weil, ich nicht wollte, dass ein riesiges Filmteam wie ein Fremdkörper in die Siedlung einbricht. Das ist natürlich eine Herausforderung, weil alle Departments mit weniger Ressourcen und oft auf sehr unorthodoxe Weise trotzdem ihre Arbeit auf sehr hohem Niveau machen mussten.

Wofür ich allen wirklich sehr dankbar bin. Ohne diese Grundeinstellung zum Projekt und die Bereitschaft sich auf diese Arbeitsweise einzulassen, hätte ich „Macondo“ so nicht realisieren können. Was die Kameraarbeit betrifft, haben wir z.B. sehr viel mit natürlichem Licht gearbeitet. Klemens Hufnagl hat eine wirklich großartige Handkamera gemacht, die immer auf Augenhöhe mit Ramasan ist. Es gibt auch viele Szenen, in denen er – und das ganze Team – spontan, fast dokumentarisch auf die Darsteller reagieren mussten. Das ist natürlich eine Herausforderung, weil es ja dennoch ein visuelles Konzept gab und Szenen die stärker inszeniert waren der Film aus einem Guss sein sollte.

Die Geschichte rund um Ramasan wird weniger vertieft, als viel mehr aus dessen Status Quo heraus begleitet. Hatten Sie manchmal das Gefühl, Sie müssten doch mehr erzählen, mehr in die Tiefe gehen?

Nein. Ich wollte die Geschichte genauso erzählen. Was in der Vergangenheit liegt, wird nur soweit angedeutet, dass wir die Geschichte verstehen können und mit Ramasan Empathie empfinden. Es spielt vieles als Backstory bzw. Subtext mit, worüber ich mir beim Schreiben Gedanken gemacht und teilweise auch mit den Darstellern besprochen habe, die aber im Film nicht auserzählt sind, sondern nur sehr subtil mitschwingen.

Sie befinden sich momentan in Indien. Was hat Sie dorthin verschlagen?

Das „Mumbai Film Festival“, eine von vielen Stationen auf der tollen Weltreise, die der Film seit der Premiere bei der Berlinale macht. Bis Ende des Jahres werden es an die 40 Festivals sein. Es ist für mich eine spannende Gelegenheit, die unterschiedlichen (oder auch ähnlichen) Publikumsreaktionen in verschiedenen Ländern zu erleben. Das ist sehr bereichernd.

Eine abschließende Frage: Was ist Heimat für Sie?

Wien. Das ist mein Lebensmittelpunkt, wo ich arbeite und Freunde habe. Zugleich habe ich einen tiefen emotionalen Bezug zur iranischen Kultur. Ich fühle mich als Iranerin und als Österreicherin, aber die Frage der Identität ist glaube ich nie einfach zu beantworten. Jedenfalls meine ich Wien, wenn ich sage: ich fahre nach Hause.

„Macondo“ feiert Österreich-Premiere am 28.10. auf der Viennale in Anwesenheit der Regisseurin. Der Film läuft ab 14.11. in den heimischen Kinos.

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