The Horrors haben in zehn Jahren von ihrem Gothpunk ausgehend eine beeindruckende Entwicklung hinter sich gelegt. Raphaela Valentini hatte Sänger Faris Badwan am Telefon.
Zehn Jahre ist es nun her, als das infernale Fünfergespann aus Southend mit ihrem nostalgischen Gothpunk sowohl eine damals noch eingeschworene Myspace-Gemeinde als auch die britische Musikpresse schockiert aufhorchen ließ. So stürzten sich euphorische Kritiker gierig auf die sonderbaren Neuankömmlinge und machten sich eifrig daran an einer neuen Schublade zu basteln oder versuchten sich darin altbewährte Kategorien mit kuriosen Attributen (man erinnere sich dabei an das oft zitierte „Grindie“) zu erweitern.
Neben den geschickt inszenierten Referenzen zu den kanadischen Garage-Legenden The Gruesomes, ließen The Horrors mit dem ironischen „Sheena Is A Parasite“ keinen Zweifel darüber wo ihre musikalischen Wurzeln zu finden sind. Kein geringer als Chris Cunningham, der bereits durch seine Zusammenarbeit mit Aphex Twin einen Kultstatus unter den Musikvideoregisseuren erlangt hatte, bot die treffende visuelle Untermalung der Horrors-Single und brachte damit der Band ihren ersten öffentlichen Skandal ein.
Kaum eine andere Band hat es geschafft sich in kürzester Zeit einem kompletten Image- und Identitätswandel zu unterziehen wie das Londoner Quintett von The Horrors. Das Debütalbum „Strange House“ kann als Grenzerfahrung bezeichnet werden; oder wie die Band folgerichtig formuliert: „Recorded in Horrortune“.
So unterzieht sich Singer-Songwriter Faris Badwan einem Exorzismus, wo Todesängste und Obsessionen ihre dämonischen Gesichter offenbaren und schaurige Geschichten über Massenmörder und Leichenfunde erzählt werden. Begleitung findet Badwans manischer Gesang im beschwörenden Spiel des dumpfen Bass und treibenden Drums. Im Horrorschen Gruselkabinett gesellen sich noch gehetzte Gitarrenriffs und Rhys Spider Webbs schaurige Orgelmelodien dazu, die dem Bandnamen alle Ehre machen. Danach folgte der radikale Bruch. Mit ihrem darauffolgenden Werk „Primary Colours“ bewiesen The Horrors, dass sie mehr sind als nur ein bloßes Fashionstatement. Hier verschmolzen gewaltige Shoegazing-Kulissen mit der klaren Ästhetik der psychedelischen Sechziger.
Anlässlich der Veröffentlichung ihres dritten Albums „Skying“, das am 11. Juli das Licht der Welt erblicken wird, sprach nun Faris Badwan, stets mit geheimnisvoller Zurückhaltung, im Interview mit The Gap über kreative Emanzipation, Experimentierfreudigkeit und Selbstkontrolle. Im Folgenden erzählt der charismatische Frontman wie er auf „Skying“ zu seiner natürlichen Stimme fand und wirft einen kritischen Blick auf die heutige Musikindustrie, die sich in den vergangen Jahren zu einer Wegwerfgesellschaft degradierte.
Seit „Primary Colours“ haben sich The Horrors als experimentelle Band innerhalb des Mainstreams etabliert, die nicht davor zurückschreckt Genre-Grenzen zu überschreiten und konventionelle Songmuster aufzubrechen. Habt ihr jemals die Befürchtung, dass ihr zu weit geht; dass eure Musik zu experimentell, zu abstrakt wird?
Ich denke, dass unsere Lieder sehr eingängig und noch immer erfassbar sind. Besonders auf unserer ersten Platte „Strange House“ findet man viele Popsongs. Ich glaube nicht, dass wir jemals so experimentell werden, dass Leute nicht mehr Lage sind unsere Musik zu genießen und zu verstehen. Wir wollen Menschen mit unserer Musik erreichen und berühren, uns mit ihnen verbunden fühlen.
In Bezug auf euer neues Album „Skying“, das ihr erstmals selbst produziert und in eurem selbstgebauten Studio in London aufgenommen habt, gab es während des Arbeitsprozesses Raum zum Experimentieren oder hattet ihr bereits eine genaue Vorstellung vom Sound, den ihr auf dieser Platte einfangen wolltet?
Wir haben bei „Syking“ viel experimentiert, da wir ein neues Aufnahmestudio zum Laufen bringen mussten. Der Sound der neuen Platte hat sich sehr organisch zusammengefügt; er nahm immer mehr Gestalt an und wurde offensichtlicher je mehr Songs wir schrieben. Auf „Skying“ wollten wir bestimmte Momente aufgreifen und musikalisch einfangen. Ich denke nicht, dass eine Platte die Persönlichkeit einer Band reflektiert sondern viel mehr verschiedene, in Verbindung zueinander stehende Momente wiederspiegelt.
Zu experimentieren heißt seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Denkst du, dass um kreativ zu sein Grenzen notwendig sind?
Ich denke schon. Wenn du dich selbst einschränkst, dann bist du gezwungen mit den Dingen kreativ zu sein, die dir zur Verfügung stehen.
Unter welchen Umständen bist du am kreativsten, am produktivsten?
Das sollte natürlich jeder für sich herausfinden, doch als Band sind wir am kreativsten, wenn wir zusammen spielen. Wir sind definitiv eine Live-Band.
Wann oder wie weißt du, dass ein Song fertig ist – dass nichts mehr hinzugefügt oder geändert werden muss?
Das ist eine schwierige Frage. Du musst einfach entscheiden können, wann etwas gut genug ist. Es gibt dabei keine Formel, nach der man die Qualität eines Songs bestimmen kann. Doch es fällt mir sowieso schwer ein Lied aufzubrechen und in drei Worten zu beschreiben.
Wie bereits erwähnt, habt ihr für eure neue Platte „Skying“ ein eigenes Studio gebaut. Was bewog euch zu dieser riskanten Entscheidung?
Wir haben dadurch mehr Kontrolle über den Aufnahmeprozess gewonnen. Wir sind damit ein großes Risiko eingegangen, doch wir sind es gerne eingegangen, da es für uns eine Möglichkeit war uns zu verbessern und weiterzuentwickeln.
Welche Aspekte dieser neu gewonnenen Verantwortung waren für euch als Band am lehrreichsten?
Die alleinige Tatsache, dass wir unser eigenes Studio gebaut haben, war für uns die größte Herausforderung. Josh hat viele der Dinge im Studio selbst gebaut, das natürlich den Sound der Platte sehr beeinflusst hat.
Wie hat jene neue und intime Umgebung eures selbstgebauten Studios die Aufnahmen und den Sound der neuen Platte beeinflusst? Welche Vorteile haben sich daraus ergeben?
Wir hatten somit Kontrolle über jeden einzelnen Aspekt des Arbeitsprozesses. Wir haben mit verschiedenen Sounds experimentiert und konnten jedes noch so kleine Detail erfassen. Ich denke, dass es viel einfacher ist alles selbst zu machen als jemanden zu haben, der einem sagt, was man nicht kann.
Als Band seid ihr stets bemüht kohärente Alben zu schreiben, die gedacht sind vom Anfang bis zum Ende durchgehend gehört zu werden. Dies bedeutet eine klare Abgrenzung zur heutigen eher singlelastigen Musikrezeption. Wie würdest du die Kunst des Albumschreibens definieren?
Wenn du ein Album machst, schreibst du nicht einzelne Lieder. Du schreibst sie zusammen in einem durchgehenden Arbeitsprozess. Wir schreiben solange bis wir zehn Songs haben, die in einer Beziehung zueinander stehen und sich ergänzen; sie passen alle zusammen. Wir versuchen immer die Songs so gut zu machen wie es uns möglich ist. Dabei sollte man kein Lied so sehr verändern, dass es zu einem völlig Anderem wird nur damit es ins Gesamtkonzept passt. Es soll alles natürlich entstehen.
Viele Kritiker haben eure Entwicklung von „Strange House“, das stark beeinflusst von Garage Punk Bands der Siebziger war, zu „Primary Colours“, das allseits als psychedelisches Meisterwerk hochgepriesen wurde, als eine radikale Abweichung von euren Wurzeln beschrieben. Wie habt ihr eure Weiterentwicklung wahrgenommen?
Für uns war es eine natürliche Weiterentwicklung, da jene psychedelischen Elemente schon seit Anbeginn ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit waren.
Von „Primary Colours“ zu „Skying“: in welchen Bereichen habt ihr euch am meisten weiterentwickeln können?
Ganz grundlegend, ist unser Songwriting besser geworden, die Melodien sind raffinierter und wir können mehr Leute mit unserer Musik erreichen, da sie allgemein eingängiger geworden ist. Die Lieder haben an Stärke und Nachhaltigkeit gewonnen. Diese Entwicklung war uns möglich, da wir in erster Linie an uns selbst geglaubt haben. Natürlich wollen wir uns auch immer weiterentwickeln und neue Dinge dazulernen.
Wenn du uns diese Frage in zwei Jahren nochmals stellen würdest, würden wir wahrscheinlich genau dieselbe Antwort geben. Es geht immer darum verschiedene Dinge zu lernen, sich darüber zu freuen und stolz darauf zu sein. Es geht weniger darum, dass man nun besser Gitarren spielen oder besser singen kann. Bei „Skying“ hat es uns großen Spaß gemacht neue Songstrukturen zu entdecken; Lieder auf verschiedene Weisen zusammenzusetzen.
Im letzten Jahr hast du dich auch deinem Soloprojekt „Cat’s Eyes“ gewidmet, bei dem du mit der kanadischen Komponistin Rachel Zeffira zusammengearbeitet hast. Inwiefern hat deine Soloerfahrung die Arbeit am neuen The Horrors Album beeinflusst? Oder betrachtest du die zwei Bands als zwei unterschiedliche, voneinander getrennte Ausdrucksweisen deiner Künstlerpersönlichkeit?
Das Soloprojekt machte mich zu einem besseren Musiker. The Horrors und Cat’s Eyes sind zwei komplett unterschiedliche Bands. Bei Cat’s Eyes sind zwei unterschiedliche Welten aufeinandergetroffen: Rachel kommt mehr aus dem akustischen Bereich, hingegen ich interessiere mich mehr für Synthesizer und elektronische Musik. Uns verband eine Leidenschaft für Girl Groups aus den Sechzigern. The Horrors kommen einfach aus einer ganz anderen Richtung.
Wie hat die Zusammenarbeit mit der klassisch ausgebildeten Sopranistin Rachel Zeffira sich auf deine Rolle als Sänger in The Horrors ausgewirkt?
Wir beide haben mit Cat’s Eyes zu unserer natürlichen Stimme gefunden. Das war für uns sehr befreiend. Früher habe ich nicht immer mit meiner Stimme gesungen, aber ich glaube, dass ich nun langsam lerne meine eigene Stimme auch bei The Horrors einzusetzen.
Bei unserem ersten Album „Strange House“ war die Stimme, mit der ich damals sang, zu diesem speziellen Zeitpunkt natürlich und richtig. Doch heute, wenn ich diese Lieder singe, fühlt es unnatürlich an, als wäre ich eine andere Person.
Diese Zeit liegt einfach schon viele Jahre zurück und als Musiker möchte man immer neue Dinge machen. In zwanzig Jahren möchte ich auch nicht mehr die Lieder von „Primary Colours“ singen. Mit der „neuen“ Stimme haben sich natürlich auch die älteren Lieder etwas verändert, aber sie entwickeln sich immer etwas weiter, sobald man sie live auf der Bühne spielt. Für mich ist es nicht unbedingt ein Zwiespalt ältere Lieder zu singen, auch wenn das bedeutet in eine frühere Persönlichkeit von mir zu schlüpfen; ich mache es automatisch ohne darüber nachzudenken.
Bereits mit „Primary Colours“ wolltet ihr neue Wege des Musikhörens eröffnen. Dies zeigt, dass ihr den Prozess des Musikmachens eher restriktiv betrachtet. Was sind eurer Meinung nach die Einschränkungen der heutigen Musikproduktion? Wie kann man konventionelle Musikrezeption verändern, herausfordern?
Für viele Leute ist Musik ein Wegwerfprodukt geworden. Über die Einschränkungen kann ich nicht wirklich etwas sagen, doch ich weiß, dass ich mich mit Leuten, die so denken, nicht identifizieren kann. Ich möchte Lieder schreiben, die die Menschen hoffentlich aus denselben Gründen gerne hören wie ich Platten anderer Künstler. Die Musik, die mir gefällt, liegt mir sehr am Herzen und ist mir wichtig, sodass ich sie mir auch in ein paar Jahren immer noch gerne anhöre. Es gibt sehr viele Menschen, die hören sich Sachen an und vergessen sie im selben Moment.
Es ist schwer zu sagen, was Leute dazu bewegt ein Album immer und immer wieder zu hören. Der einzige Weg wie man die Musikwahrnehmung verändern kann, ist einfach nicht den Kategorien zu entsprechen, die Kritiker einem auferlegen.
"Skying" von The Horrors erscheint am 8. Juli via XL Recordings.