Brand Ole Britannia

Unter Tony Blair ging es voran. »Cool Britannia« war das Schlagwort, um Pop und Kunst hinter seiner Politik der Mitte zu vereinen. Zur diesjährigen Sommerolympiade tat sich England mit klaren Botschaften an die Untertanen deutlich schwerer.

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Vor fast 20 Jahren überboten sich Oasis und Blur im Streit um den Brit-Pop-Thron, zur Fußball-EM in England sangen Fans »Three Lions On A Shirt« und »Lager, Lager, Lager«, so wie es schon im Film »Trainspotting« zu hören war. Die Flagge des Königreichs war auf Gitarren, auf Minis, auf Kleidern von Girl Groups, überall. Und Tony Blair nutzte die euphorische Stimmung für einen überwältigenden Wahlsieg und damit den Führungsanspruch in der europäischen Sozialdemokratie. Pop war zum Machtfaktor geworden. Nicht nur als Treibstoff für Emotionen, sondern auch als ein Botschafter britischen Lebensstils. Parks, Tee, Feiern, Urlaub, Arbeit, Hunderennen und seltsame englische Dialekte klangen selten zuvor so unglaublich verlockend.

Dieses Mal gab es keine blühende Kunst-, Musik- und Filmszene, die man zu einem Sittenbild britischen Alltags bündeln konnte. Regisseur Danny Boyle lieferte wieder die Bilder. Statt kotzenden Junkies vermischte er Geschichtsmythen mit Shakespeare, Harry Potter und Popmusik. Underworld steuerte wieder den Soundtrack bei. Statt ihrer rauschenden Rave-Hymne »Born Slippy« vertonten sie die Eröffnungszeremonie der Olympiade. Kultur und Sport sollten dem Bild Englands eine Form geben. Doch eine ähnliche Stimmung wie in den 90ern kam nicht so recht auf. Das Logo der Spiele war ein Desaster, die Abschlussfeier ein öder Murks aus Brit-Stars, die sich zusammenkaufen und vor die Kamera spannen ließen.

Ein Land sucht sich selbst, versucht sich eine Richtung zu geben. Großereignisse sind dafür der ideale Anlass, man schickt eine Botschaft durchs Land und um die Welt. In Kanada hatte das zwei Jahre zuvor mit 14 Goldmedaillen und boomendem Kulturtourismus noch hervorragend geklappt. Die Welt konnte zudem vom toleranten Umgang mit Minderheiten lernen. In der Liste der Ländermarken der Agentur Futurebrand ist Kanada Nummer Eins. Das Vereinigte Königreich verfehlte erstmals die Oberen Zehn. Soziale Unruhen, Occupy aber auch der europäische Krach um die geplante Regulierung des Finanzplatzes London sorgten für wenig rosige Schlagzeilen. Und das im Jahr des sechzigjährigen Thronjubiläums der Queen. Der Blick zurück ging bei diesen Feiern sogar soweit, dass man eine Bootsparade von 1747 nachstellte.

Wirklich Bahnbrechendes kam in jüngster Zeit auch nicht von der Insel. Oder besser gesagt, nichts, über das annähernd so viel geschrieben wurde wie über »Cool Britannia« in den 90ern. Musik steckt in der Krise, wirtschaftlich, Banken sollen an die Leine, wirtschaftlich – also zwei der wichtigsten britischen Exportartikel. Kein Wunder also, dass man sich auf ein langweiliges und ungefährliches Best-of aus besseren Zeiten verlegte; selbst wenn viele der gespielten Songs kritische Kommentare ihrer Zeit sind. Ein bisschen Internet dazu, fertig war die ganze Vision für brand ole Britannia.

Aber nur fast: Erstmals war auch die postkoloniale Geschichte vor Ort. Dizzee Rascal, Tinie Tempah, Emeli Sandé und Taio Cruz setzten Akzente der Gegenwart. Ein konservativer Abgeordneter bezeichnete die Feier prompt als »multikulturelle Kacke«. So dachten zwar nur sehr wenige, es drückte aber die Schwierigkeiten aus, die das traditionelle England immer wieder mit seinen Künstlern hat.

Kultur ist Spiegel und Katalysator gesellschaftlicher Veränderungen. Diskussionen über Popmusik sind so immer auch Diskussionen über das richtige Leben. Wenn man im Jahr 2012 nach Großbritannien blickte, sah man ein Land, das zwischen Isolation und europäischer Integration gespalten war und die Liebe zu seiner Finanzindustrie und Popkultur neu zu bestimmen versucht.

Zum Coverschwerpunkt Nation Branding inkl. Coverstory, Leitartikel, Golden Frame, Olympische Spiele London 2012, Logodesign, The Hobbit, usw. geht es hier:

www.thegap.at/nationbranding

Bild(er) © Universal Music; EMI
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