Bratze R.I.P

Bratze haben sich getrennt. Und weil das Duo außerhalb der Hamburger-Blase trotz acht jähriger Bandgeschichte ein ewiger Geheimtipp geblieben ist, erklären wir euch, warum das scheiße ist.

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Auf den Tag genau acht Jahre ist es her, da trafen sich zwei Solo-Künstler aus weit auseinander liegenden Genres, um einen Song aufzunehmen. Er, Kevin Hamann hatte sich in den Vorjahren vor allem als Singer-/ Songwriter profiliert: Als ClickClickDecker schrieb er akustische Songs mit Teils diffusen, stark metaphorischen Texten wie man sie im TV-Noir-Wohnzimmer gerne hört: Die Suppe schmeckt auch kalt, Wer hat mir auf die Schuhe gekozt, Sozialer Brennpunkt ich etwa. Inhaltlich konnte er sich damit erfolgreich von der Hamburger Schule abheben. Nur Tanzen, das konnte man zu seiner Musik nicht ganz so gut. Hamann veröffentlichte seine Platten aber am Label Audiolith und die tanzen bekanntlich gerne.

Click + Renate = Rave

Für den Rave sorgte Norman Kolodziej – besser bekannt als Der Tante Renate. Ein Musiker, der Elekro-EPs voll mit fiepsigen Synthesizern und computergenerierten Beats ohne Vocals veröffentlichte. Damit war er nah an dem dran, für was man Justice im Jahr 2011 zu Fuße liegen würde: Prog-Rock-Disco. Auch er verkehrte in Audiolith nahen Kreisen, der Versuch, eine Elektro-Punk Band zu Gründen lag also näher als die große DJ-Karriere. Hamann und Kolodjziej nannten sich "Bratze" – entweder ein Synonym für eine große Hand oder eine Frau die man entweder hässlich findet oder eben durch und durch nicht ausstehen kann. Wenn ihr jetzt denkt, Bratze wären eine dieser sexistischen Großstadt-Poser gewesen, dann lest vielleicht weiter.

Für Nazis zu schlau

Denn genau so muss Punk funktionieren. Oder anders rum: So kann Punk ohne seinen ursprünglichen Sound eben auch funktionieren. Ein linkes und tanzfreudiges Publikum mit Techno anzusprechen, das gehört zum Credo von Audiolith, aber keine Band vollbrachte das bisher mit so viel Niveau und literarischem Fingerspitzengefühl wie Bratze: Nein ich will nicht den Schinken, ich will das ganze Schwein. Konzentrierte Blasphemie am Mittagstisch. Vergiss das mit dem Stein. Oder: Kilometerweit im goldenen Käfig, gut genährt und primitiv. Roch dein Gesicht schon immer so? Und gibts dafür ein Adjektiv?

Es ging eben nicht nur darum, die Parolen der Rechten lieblos umzudrehen und sie ihnen wieder ins Gesicht zu spucken: Es ging darum, Menschen in ihrer tiefsten Schwäche zu entlarven, ihn in seiner Konsumgeilheit und ständigen Abhängigkeit zu bedauern, nicht zu verachten. Zudem war Bratze nie nur die Schwarz-Weiß-Malerei zwischen Rechts und Links, sondern vielmehr zwischen Glück und Unglück, Genie und Wahnsinn, Liebe und Verlorenem, Absurden und noch Absurderem.

Zu Bratze konnte man wild tanzen ohne dabei zu krass von einem Typen angerempelt zu werden, der "Scheiß Nazis" auf seinem Pulli stehen hat. Bratze konnte man aber auch einfach nur zuhören und den Glauben an wortgewandten, cleveren, schlauen und philosophischen Pop zurückgewinnen. Und ja – natürlich könnte man die Texte von Bratze auch problemlos auf einer Lesung vortragen und dann später saufen gehen.

Wir heulen nicht, wir verschwinden

Einmal sagte mir ein Typ, der sich selbst voller Stolz als "Assi-Punk" bezeichnete und nichts anderes als wütenden Rumpel-Aggro hörte, er würde das System jetzt damit bekämpfen, dass er sich auf eBay 1.000 Paar Wegwerfsocken bestellt hatte. Gegen solche Typen hat Bratze all diese Lieder geschrieben. Vielleicht ist das ja der Punk, den wir in einer von Globalisierung und Rechtsdruck geprägten Zukunft wieder vermehrt brauchen werden.

Bratze feiern ihr Begräbnis am 2.10 im Hamburger Molotow.

Die Autorin auf Twitter: franziska_tsch

Bild(er) © (c) Sophie Krische 
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