Der Trend zum legalen (und illegalen) Eigenanbau diverser Hanfsorten zeigt in Österreich seit Jahren stabil nach oben, mit Beginn der Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns haben sich die Umsätze der Growshops nochmals deutlich gesteigert. Ein Paradigmenwechsel in der heiklen Cannabis-Frage muss und könnte sich abzeichnen.
Ganz dem aktuellen Trend entsprechend, sind moderne Growshops freundliche, helle und saubere Fachgeschäfte, die mit den noch bis in die Nullerjahre typischen düsteren Souterrainlokalen mit abgestandenem Räucherstäbchenmief gar nichts mehr gemeinsam haben – und nicht nur Old-School-Hippies wie mich, sondern auch skeptische Boomer angenehm überraschen. So kommen Vertreter*innen der Luxusgeneration oft argwöhnisch in den Laden, um von Bekannten und Familie empfohlene CBD-Produkte für sich selbst, ihr Haustier oder Pferd zu holen, und sind dann völlig baff über die angenehme Atmosphäre und kompetente Beratung, die so gar nichts mit den seit ewig in den Medien strapazierten Negativbildern zu tun haben. Und den Kauf eines Komplettpakets mit Grow-Zelt und Zubehör für CBD aus eigener Zucht lassen sich die motivierten Kund*innen dann gerne schon mal 1.000 Euro kosten.
Interessantes Motiv manch älterer Semester: In jungen Jahren haben sie mitunter selbst gerne den Ofen gerollt, möchten aber auch im Herbst des Lebens das vertraute Ritual, den Geschmack und letztlich auch eine gewisse entspannende Wirkung wieder genießen, ohne potenziell mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Charmant! Selbst der ÖVP-Bürgermeister der Stadt, seinerseits Nebenerwerbslandwirt, schaut vorbei und tauscht sich über Pflanzenzucht aus.
Das klingt jetzt alles sehr romantisch, in der Praxis sind wir aber von entspannten Verhältnissen noch weit entfernt. Denn die – eh scho wissen – Zierpflanzen sind nach wie vor das gefragteste Produkt in den heimischen Growshops. Aus Gründen. Da gibt es auf der einen Seite die Hobbygärtner*innen, die einfach nur ihren Eigenbedarf an Weed decken wollen, was aktuell dank diverser Lockdowns über die einschlägigen Dealer-Kanäle kaum noch möglich ist. Also eine Flucht nach vorne, die einen gewissen Charme analog zu Gandhis Homespun-Initiative erkennen lässt.
Wie mir ein Freund, der seit einigen Jahren ebenjene Pflanzen auf der Terrasse zur eigenen Erbauung zieht, bestätigt: »Ich rauche seit gut 30 Jahren immer wieder gerne mal Cannabis. Was früher noch mühseliges und riskantes › Aufstellen‹ von oft inferiorem Cannabis in einschlägigen Locations bedeutete, spare ich mir jetzt mit dem Eigenanbau an Geld und Aufwand. Plus: Ich weiß ganz genau, wo das Produkt herkommt und was drinnen ist.«
Dringender Reformbedarf
Es gibt aber auch die AGES-Beauftragten, die ähnlich wie das Marktamt bei Lebensmitteln Nachschau im Growshop halten – sich dann aber als so ahnungslos herausstellen, dass sie nicht mal den Unterschied zwischen Indica- und Sativa-Sorten kennen.
Auf der anderen Seite existieren nach wie vor schwerkriminelle und mafiöse Verbindungen, die auf das nach wie vor höchst einträgliche Schattengeschäft setzen und dabei auch vor wirklich gefährlicher Praxis nicht zurückschrecken. So werden mitunter völlig harmlose CBD-Blüten mit neu synthetisierten und somit noch nicht vom Gesetzgeber erfassten THC-Derivaten versetzt, was zwar ein rein rechtlich immer noch legales Produkt ergibt, punkto Wirkung und Schädlichkeit aber völliges Neuland ist. Höchste kriminelle Energie also, die den redlichen Bemühungen der Growshops und dem langsamen internationalen Trend zur Legalisierung aus Profitgier weiter Knüppel zwischen die Beine wirft – und zu allem Übel dann noch konservativen Medien wie beispielsweise dem Kurier willkommenes Futter liefert, um in tendenziösen Artikeln völlig unterschiedliche Dinge wie Industriehanf, CBD und künstliche Cannabinoide genüsslich durcheinander zu werfen, nur um am Ende wieder Begriffe wie »Psychose« und »Bundeskriminalamt« zu strapazieren. Dabei werden liberale Medien wie Vice völlig aus dem Zusammenhang gerissen zitiert und am Ende wieder Bilder heraufbeschworen wie in den schlechtesten Anti-Drogen-Kampagnen der 1970er-Jahre oder dem Propagandafilm »Reefer Madness« von 1936.
Alles in allem befinden wir uns also bei Fragen der Cannabis-Politik in Österreich und Europa in einer nach wie vor kaum definierten Seitwärtsbewegung, die gegenüber kriminellen Aktivitäten hilflos ist, sich dafür aber dringend nötigen Reformen völlig verschlossen zeigt.
Autorin Ute Woltron, die sich nach Jahrzehnten im Wirtschaftsjournalismus nun hauptsächlich dem Gärtnern und ganz speziell dem Hanf widmet, sieht hier einen deutlichen Aufholbedarf in Europa: »Wir haben einerseits starke Vorbehalte der aktuell sehr starken konservativen Regierungen in Europa, andererseits die notorische Überregulierung, die es beispielsweise in Kalifornien in der Form nicht gibt. Alles, was in Europa nicht explizit erlaubt ist, ist folglich verboten. Dabei bietet das Cannabis-Business gerade in den kommenden Jahren nach der Pandemie interessante wirtschaftliche Perspektiven. Wie eine Dokumentation von Ken Burns aufzeigt, konnten in den USA nach Ende der Prohibition 1933 die immensen Budgetlöcher als Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929 durch die sprudelnden Steuereinnahmen aus dem wieder legalen Alkohol-Business deutlich schneller gestopft werden als zuvor.«
Nicht zu vergessen außerdem: Abgesehen vom Beitrag zur Erholung vom ökonomischen Super-GAU namens Corona könnten entsprechende Reformen vor dem Hintergrund der sprunghaft angestiegenen geistigen Erkrankungen infolge der Pandemie einiges zur Verbesserung der Volksgesundheit beisteuern. Und das ganz ohne Schnaps beim Skilift.
Kompetente Beratung in angenehmer Atmosphäre bietet der Growshop Krumme Gurken in Deutsch-Wagram. Im Buch »Hanf«, erschienen in der Reihe »Naturkunden« bei Matthes & Seitz, vermittelt Ute Woltron ein sachkundiges Gesamtbild der Kultur-, Genuss- und Medizinpflanze.