Charli Mnemonic

Mit Charli XCX kommt nicht nur das 90er Revival im Pop an, sondern auch noch das ganze Internet mit seinen Cut-up- und Collage-Techniken. Zumindest an der Oberfläche.

Interview, ein Standard-Hotelzimmer, keine Suite, das Label sitzt zu zweit davor am Gang am Boden mit Cola und Minihund.

Sind das im Video zu „What I Like“ deine Freundinnen? Schaut ihr immer so aus?

Ja, sind sie. Und so rennen wir in London rum.

Ost-London?

Viele Leute denken das, wo all die coolen Leute daheim sind, aber in Wirklichkeit ist das ein Ding aus West-London.

Viel bist du aber gerade nicht dort?

Nein, L.A., New York, auf Tour, es teilt sich auf. Mein nächstes Album möchte ich dann in Indien aufnehmen.

Du sagst immer wieder, dass deine Musik nach Purpur, Gold und Schwarz klingen soll. Wann kam dieser Gedanke?

Ich hab Musik immer in Farben gesehen. Über das habe ich begonnen, Musik stärker zu fühlen und zu sehen. Beim Songwriting oder den Videos wusste ich, über das habe ich eine Verbindung mit der Musik und ein Ziel.

Geht dir das auch so mit der Musik von anderen? Siehst du Formen?

Keine Formen, aber ja, Farben. Für mich ist Dubstep grün und gelb – und beides mag ich nicht sonderlich.

Wie ist das mit, sagen wir, Coldplay?

Das letzte Coldplay-Album ist rosa, purpur, blau und wie ein epischer Sonnenuntergang.

Und Robyn?

Eisblau … mit blitzblauen und türkisen Einsprengseln drin.

Sie wird ja manchmal mit dir verglichen, klingt von den Farben gar nicht so ähnlich?

Das kommt denk ich daher, weil sie die Meisterin des emotionalen Pop ist, gleichzeitig eingängig und traurig. Ich versuche auch, meine Musik so emotional wie möglich zu machen. Menschen sollen tanzen und weinen – wie bei Robyn, es ist Pop, aber Pop mit einem Twist.

Im Netz findet man andere merkwürdige Bezeichnungen für deine Musik, wie Post-Apocalyptic Pop.

Das mag ich, es gibt Songs, in denen es um Desaster geht, Leere und Verlorensein.

Oder Internet Era Fashion Brat?

Haha, Internet Era Fashion Brat? Ich weiß nicht, es ist lustig, Leute haben die Vorstellung ich wäre im Internet aufgewachsen. Irgendwie bin ich das auch, aber wer nicht? So ist die Post-Internet-Welt. Aber es ist toll, ein Album in den Händen zu halten und zu sagen: „Hey, Du kannst meine CD berühren!“ Es ist großartig – auch wenn Genres verschwimmen, mit Tumblr, Blogger und alles zu einer Collage von verschiedenen Einflüssen wird, dann liebe ich trotzdem die Nostalgie eines physischen Albums. Heute geht alles um Remixe und Features – und da bin ich definitiv schuldig –, aber mein Ziel war eine CD. Und die sind ja schon fast wieder das neue Vinyl. Die sind heute ja wieder soo cool.

Hast du diese Geschichte mit Rihanna und Seapunk verfolgt?

Nun … ich … (zögert) … ich bin nicht sicher, weil ich verstehe, wie frustrierend es ist, wenn jemand kommt und dir eine Idee klaut. Andererseits wurden auch die Leute hinter Seapunk von etwas inspiriert, vielleicht von den Club Kids und Michael Alig, die mit dieser empörenden Mode und Kunst angefangen haben, mit Cut and Paste, DIY. Madonna, Lady Gaga … wären die überhaupt am Radar von jemandem, wenn sie nicht Dinge aus diesen Kunstszenen nach vorne ins Rampenlicht gebracht hätten?

Also kannst du mit dieser Arbeitsweise – Collage, Bricolage – etwas anfangen?

So ist das Internet heute. Aber wenn ich nicht gerade ein Bild aus den 90ern von Britney Spears mit einem süßen Top reblogge, sondern mit meinem Freund ein Video mache, dann bin ich davon eigentlich sehr isoliert.

Hat deine Musik eigentlich auch eine feministische Seite?

Ich rede in meinen Songs über Liebe und versuche nicht, feministische Popmusik zu machen. Aber ich bin glücklich, wenn es Frauen inspiriert, stark zu sein. Meine liebsten Filme sind so – das Video zu „You (Ha Ha)“ ist ja von Tarantinos „Grindhouse“ und den Frauen darin inspiriert. In der Popwelt werden Frauen gern klein gemacht oder Leute glauben sie müssen dir helfen, dabei werden viele Top-40-Songs von Frauen geschrieben.

Warum hat das Album so lang gebraucht – auch wenn du erst 20 bist?

Nun, nach „Stay Away“ und „Nuclear Seasons“ 2011 war ich ziemlich aufgedreht, wollte ein Album machen, aber die Songs fehlten. Die Lücke hab ich mit zwei Mixtapes gefüllt. Das Label wollte sogar, dass ich das Album Anfang 2012 rausbringe. Ich musste nein sagen, ich war nicht zufrieden.

Und wie kam der Kontakt mit Co-Produzent Ariel Rechtshaid zustande?

Ich war damals ungefähr 16, mein Trip nach L.A. war nicht sehr erfolgreich verlaufen, ich hatte in zwei Wochen eine Menge Produzenten getroffen, aber nichts fühlte sich richtig an. Ein paar Stunden vor dem Abflug traf ich mich noch mit Ariel, wir verstanden uns sofort und haben in der kurzen Zeit „Stay Away“ geschrieben. Dabei wollte ich kurz davor schon fast nichts mehr von Musik wissen und mitten in der Nacht vor dem Label und allem weglaufen, ein richtiger Teenager-Avril-Lavigne-Moment also.

»True Romance« von Charli XCX erscheint am 31. Mai via Warner Music.

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