Wer den Unterschied zwischen wahr und wahrhaftig kennt, weiß, dass etwas Wahres viel länger im Gedächtnis haften bleibt als eine schön erzählte Geschichte. Deshalb versucht die junge Regisseurin Jasmin Baumgartner, in ihren Filmen immer etwas Wahres möglich zu machen. Auch dann, wenn sie mit Wanda am Set steht.
Irgendwo zwischen verdrehter Bürgerlichkeit, Erlösung und Apokalypse hält man sich im Video zur aktuellen Wanda-Single Columbo auf. Eigentlich befindet man sich inmitten dieses skurril-apokalyptischen Szenarios jedoch nur am Erzberg und sieht dort genau jenen Teil des rot-braunen Gesteins explodieren, auf dem vorher noch in weißer Schrift Amore stand. Auch von Marcos Lederjacke wurde der bekannte und bei Fans wie Tätowierern beliebte Schriftzug gelöscht, denn da steht plötzlich „Columbo“ drauf – und das aus gutem Grund. Denn wenn es in schwierigen Zeiten wie diesen keine Chance mehr auf Amore gibt, dann muss die letzte Rettung her – und die steckt, Wanda zufolge, in einem beigen Trenchcoat und schafft es gerade noch rechtzeitig dorthin, wo die Liebe kurz zuvor mit einem gefährlichen Sprengsatz versehen wurde. Vielleicht ist die Lösung aber auch viel einfacher, weniger dramatisch und um ein Vielfaches bürgerlicher: Daheim bleiben, den Pyjama nicht ausziehen und zu zweit Columbo schauen. Ähnlich wie der sonntägliche Tatort dürfte das ein veritabler Beziehungskitt für unruhige Zeiten sein.
Leben ohne Notausgang
Auch Jasmin Baumgartner, jene junge Filmemacherin, die beim Video zur Single Regie führte, war einst irgendwo im Filmuniversum auf der Suche nach dieser letzten Rettung. „Ich war ein schwieriger Teenager und hab von 12 bis 14 sehr viel Zeit damit verbracht, Filme anzuschauen, einfach, weil ich nachts nicht schlafen konnte. Es gab in Baden so etwas, das hieß ,Cinebank’. Im Prinzip eine Videothek, die wie ein Bankomat funktionierte. Mein Ziel war es, die gesamte Cinebank durchzuschauen.“ Heute würde man möglicherweise Eskapismus dazu sagen und damit argumentieren, dass Sozialleben auch bedeuten kann, sozial zu sich selbst zu sein und deshalb das gesamte Wochenende allein mit Netflix auf der Couch zu verbringen. Deshalb kommt es Jasmin Baumgartner auch wie ein Blackout vor, wenn sie an ihre Jugendjahre denkt. Am Ende ist ihr, ganz wie Inspektor Columbo, aber dann doch eine Lösung eingefallen. Rettung fand sie wiederum im Film, diesmal aber in einer weniger eskapistischen Variante: Sie entschloss sich an die Filmakademie zu gehen und unter Götz Spielmann Drehbuch zu studieren. In die Regie-Klasse, geleitet von Michael Haneke, hineingerutscht, wurde für Baumgartner Vieles eindeutiger: „Da war dann plötzlich klar, dass Regie genauso mein Ding ist und ich gerne beides machen würde. Davor habe ich viel ausprobiert, vom Produktionspraktikum, über Musikvideos, Fotografie bis zur Arbeit in einer Sales Agency. Es gab aber während der ganzen Zeit nie den Moment, in dem ich mir dachte ‚sonst studier` ich einfach Thewi oder geh ein Jahr nach Kuba’. Eine solche Entscheidungsproblematik hatte ich einfach nie. Für mich galt immer: Entweder ich mache Film, oder ich mache gar nichts.“
Pflicht, Wahl oder Film
Sich ganz dem Filmemachen – dem für sie einzig Wahren – zu widmen, hat für Jasmin Baumgartner immer auch sehr viel mit der Suche nach Wahrheit zu tun. Damit wählt sie einen Zugang, der sich nicht für jeden Filmschaffenden erschließt. „Jene Leute, die ich gut finde, oder die ich bewundere, bei denen ist Filmemachen immer auch eine Suche nach einer Wahrheit. Ich sehe das im Prinzip zweigeteilt: Man kann entweder schöne Geschichten erzählen und die dann perfekt umsetzen – also ein wahnsinnig gutes Drehbuch schreiben – oder versuchen, immer etwas Wahres möglich zu machen. Und dort sehe ich mich mehr.“ Die Suche nach Wahrheit führt Baumgartner später nach New York, wo sie unter Anleitung von Susan Batson einen Method Acting Kurs belegt, der sie anfangs einige Male verstört zurück lässt. Bereut hat sie die Zeit aber nicht, für sie sind Erfahrungen wie diese eher das eigene private Idaho, das es sich lohnt anzusteuern. Jasmin Baumgartners erklärter Lieblingsfilm, „My Own Private Idaho“, schafft es für sie ein Gesamtbild und eine Magie zu erzeugen, die nur schwer zu schreiben oder zu erzählen sind. Denn um diese Magie geht es ihr – jene, die durch eine Dynamik zwischen gewissen Leute entstanden ist, die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zusammenkamen. Die Grenze zwischen Fiktion und Wahrheit zu durchbrechen und sich im Spannungsfeld dieser beiden Pole mit der Schauspielerei auseinanderzusetzen, beschäftigte die junge Regisseurin bereits bei ihren beiden Kurzfilmen „I see a Darkness“ (2016) und „Unmensch“ (2016). „Manchmal geht es nicht darum, sich zu fragen, ob jemand lacht oder weint, sondern einfach nur um Weltschmerz“, erklärt sie und entscheidet sich zu lachen, weil das Gespräch eine kurze Haltestelle beim Video zu Yung Hurns „Diamant“ einlegt, in dem genau dieser Weltschmerz in Form einer Träne an der Wange Lars Eidingers hinunterrinnt. Ein geschickter Zug, denn viele Yung-Hurn-Ultras werden den deutschen Schauspieler hinter der Träne nicht erkannt haben. Dass Musikvideos immer öfter zu einer eigenen Kunstform werden, ist für Baumgartner ein Grund zu feiern. Immer mehr Künstler stecken Motivation und Aufwand in ihre Videos, so auch Wanda, zu deren Videoproduktion für die Single „Columbo“ sie durch Regie-Kollege Florian Pochlatko kam. Für Jasmin Baumgartner, die privat auch Wanda hört, passte zu dieser Zeit damit alles perfekt zusammen. Deshalb war aller Anfang auch umso leichter – man traf sich einige Male, redete und dann ließ die Band sie eigentlich machen. Es war eine Zeit, geprägt von guter Zusammenarbeit, während der sie auch „Ciao“ zur Welt sagte und sich ausschließlich mit jener von Wanda beschäftigte. Diese beiden Monate hinterließen genau jenes Gefühl, das man sich paradoxerweise nach Abschluss eines Projekts eigentlich immer wünscht: „Wenn ein Projekt vorbei ist und man sich total verloren fühlt, so als ob plötzlich alles weg wäre, dann hat man etwas richtig gemacht.“
Nichts als die Wahrheit, nichts ist die Wahrheit
Nicht nur bei Musikvideos, sondern bei all ihren filmischen Arbeiten funktioniert Musik als Absprungrampe, von der aus Jasmin Baumgartner sich in ein neues Projekt stürzt: „Bei ,I see a Darkness’ entstand zuerst der Song, aus dem sich dann der Film entwickelte. Ich habe damals Nino aus Wien gefragt, ob er den Song covern will und der Song hat dann entscheidend zur Entwicklung des Films beigetragen. Bei Unmensch habe ich mir auch einen Film rund um einen Song ausgedacht.“ Wenn man, wie Baumgartner prinzipiell viel Musik hört, lässt sich diese wie ein externes Steuerwerkzeug einsetzen, das einen genau in jene Emotion hineinführt, die man für ein bestimmtes Projekt braucht. Es kann passieren, dass diese bewusste Steuerung von Emotionen manchmal etwas eigenwilligere Formen annimmt, wie an ihrem letzten Beispiel klar wird: „Wenn ich zum Beispiel für meine Fußball-Doku an Förderstellen schreibe, dann hör ich immer Bushido.“ Die Doku ist ein Projekt, das sich gerade in den letzten Phasen seiner Drehzeit befindet. Es geht darin um Fußball, Wien und Rassismus und lässt sich als moderne Robin Hood-Geschichte zusammenfassen, die auf eindringliche Weise fragt, ab wann man einen Menschen tatsächlich verurteilen kann. Auch an ihrem ersten Langfilm ist Jasmin Baumgartner gerade dran. Unter dem etwas komplizierten Namen „One Delta Ten Tango“ nähert sie sich darin dem Themenkomplex Internet, wie auch der unbändigbaren Macht der Medien an und breitet, rund um ein kompliziertes Handlungsgeflecht, die Annahme aus, dass kein Medium jemals richtig liegen kann. Alles ist Interpretation, nichts ist die Wahrheit. Dabei spielt sie, ähnlich wie bereits in Unmensch, mit der Diskrepanz zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung, die, durch die ständige Nutzung von Facebook und Co, eine noch viel undurchsichtigere und gleichzeitig extremere Gestalt annimmt. Ob es für ihre drei jungen Protagonisten in „One Delta Ten Tango“ eine Rettung gibt, möchte Jasmin Baumgartner noch nicht verraten, zu viel ist noch in Arbeit. Wir warten einfach gespannt ab, schauen in der Zwischenzeit ein wenig Columbo oder malen uns Amore auf unsere Lederjacken. Vielleicht sind Liebe und eine Folge Columbo zu zweit ja schließlich doch die rettende Lösung.