Puppe, wir machen jetzt Post-Internet. Mit Bildern und Sounds, die uns als zugerichtete Gestalten zeigen, die schrecklich, schön und majestätisch sind.
Scheiße, was hat das alles zu bedeuten? Xen ist eine Informationsexplosion auf engstem Raum. Xen, das ist auch ein Hypervisor, eine Software, die mehrere Betriebssysteme parallel simuliert. Xeno – mit o am Ende – ist griechisch und bedeutet Fremder oder Gast. Es ist aber auch ein Alter Ego und eine andere Verkörperung von Arca, sie ist weich, scharf, voller Kontraste, weiblich, männlich, kompakt und diffus, Xen ist ein bionisches Etwas. Xen, das ist Kunst, die sich schwer erklären lässt, man staunt, ist plötzlich wieder drei und ganz gaga. Xen ist größer als dein Speicher.
Das Gegenteil von Broporwave
Irgendwie klingt dieses Album nach Vaporwave, nach leeren Einkaufszentren und geil-kaputtem Kapitalismus. Aber nur oberflächlich. Dahinter stecken andere Fragen und echte Songs, die zwar eigenartig und total synthetisch geschrieben sind, ohne Worte, manchmal ohne festen Rhythmus, aber doch immerhin Songs. Werbungen, 80er-TV-Spots und der Sound von Konsum hallen bei »Xen« nur noch nach. Der früher so revolutionäre Stil sei ja letztes Jahr ohnehin dekadent und reaktionär geworden, keine Kunst über Müll, sondern echter Müll. "Broporwave" den Namen hat sich ein Tumblr für all die Mitläufer ausgedacht.
Dagegen haben Oneohtrix Point Never, Nguzunguzu oder Fatima Al Qadiri ja bereits ganz andere Ideen vorgelegt. Du kannst es notfalls Post-Internet nennen. Dabei könnte es vielleicht ja doch um Menschen unter den Bedingungen des dauernd on gehen, dauernd retuschieren, sich dauernd optimieren, dauernd verzweifeln, dauernd Screenshot. Im Leben nach dem Internet sind wir uns fremd und bei uns selbst zu Gast. Nun ist es nicht so, dass wir früher so wirklich ganz eins mit uns selbst gewesen wären, Sigmund Freud und das blutigste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte wären dafür Belastungszeugen. Und immerhin, durch die Filter von Interfaces und Kameras, durch die volle Vernetzung wird so ein Ich natürlich auch klüger, besser und schlauer, wir alle eigentlich – aber eben natürlich auch ein wenig zugerichtet.
Zugerichtete Figuren
Vergangenen Oktober war Arca im MOMA in New York eingeladen. Dort konnte man inmitten einer Kuppel eine audiovisuelle Performance sehen, auf der digital zerquetschte Figuren schwebten wie im Weltall, haltlos, gestrandet, vielleicht beutelten sie sich auch in einem durchsichtigen Uterus. Reste davon sind auf Youtube zu sehen. Die Töne von Arca ergänzen sich mit den Bildern, für die ein gewisser Jesse Kanda, ein visueller Künstler, den Arca mit 14 Jahren in einer Online-Künstler-Community getroffen hat, verantwortlich ist. Gemeinsam lassen sie mindestens genug Fragen für ein ganzes Leben offen. Früher, da ging man in Kommunen. Heute findet man sich im Netz. In Wirklichkeit ist das eh schöner.
Arca hat auch einen bürgerlichen Namen, ist 24 Jahre alt und in Venezuela geboren, aber das lenkt eigentlich vom Wesentlichen ab. Bei Kanye Wests »Yeezus« hat er viermal geholfen, bei FKA Twigs’ »LP1« dreimal. Früher, da hatten seine Songs noch mehr Wumms, mehr Drums und Schlagzahl. »Xen« könnte damit jetzt schon ein Klassiker sein. Auf »Wound«, »Held Apart« oder »Failed« kann man zwischendurch hören, mit welcher musikalischen Gewalt man es hier zu tun hat, wenn sich Arca selbst in ein klassisches, harmonisches Korsett zwängt. Aber was soll’s, heuer haben wir endlich wieder eine Musik, die unsere technologische Transformation, unsere Kokons und Verpuppungen reflektiert. Und wie.
"Xen" von Arca erscheint am 31. Oktober via Mute.