Das Zeit-Magazin hebt Wien auf sein Cover. Drinnen lauter Leute, die schon bei The Gap auf dem Cover waren. Das schmeichelt, stimmt im Detail natürlich oft nicht. Was uns dabei aufgefallen ist.
Jop.
#01 "… sagt die Königin des jungen Wiener Antiheldentums, die Autorin Stefanie Sargnagel"
Zur Königin des jungen Antiheldentums krönt das Zeitmagazin also Stefanie Sargnagel. Wir können hier nur zustimmen und ein Auftauchen von Stefanie Sargnagel war irgendwie auch logisch. Österreichisches Antiheldentum gibt es aber nicht erst seit heute. Das ist auch schon Thomas Bernhard, Helmut Qualtinger, Hermes Phettberg, Nino aus Wien, Dorian Concept oder manchmal jemand, der im Beisl zufällig neben dir sitzt – Leute, die das Land scheinbar auf eine eigentümliche Art durchschaut haben.
#02 „Wer es eilig hat, wird hier nicht bedient – kann der Besucher des Café Jelinek auf einem Schild an der Theke lesen."
Tatsächlich sollte dieser Satz eigentlich auf einem Torbogen am Stadteingang prangern. Wer es eilig hat, hat schlechte Karten in Wien generell. Das gilt aber nicht nur für Kaffeehäuser oder Beisln, sondern auch für Schalter, für universitäre Auskunftsadressen, für die Post (vor allem für die Post), für Supermärkte und manchmal auf Kaffeehäuser … Die Liste lässt sich leicht weiterführen. Das ist lustigerweise auch der Punkt, an dem die ganze Begeisterung für Wiener Langsamkeit sehr schnell fällt und sich der Besuch aus Hamburg und Berlin fragt, was zur Hölle eigentlich so lange geht.
#03 "Sargnagel zog mit 20 ein und bezahlt noch heute 350 Euro für 45 Quadratmeter."
Ja, es gibt kommunale, soziale Wohnbauprojekte, die seit den 1920er-Jahren gebaut wurden und eine wichtige Rolle in Österreich, vor allem aber in Wien spielen. Die Gemeindewohnungen werden in berschränkter Anzahl vergeben, deshalb muss man sich vormerken lassen, um eine zu bekommen. Die Bedingungen für solch eine Vormerkung variieren aber stark, in Wien gilt beispielsweise, eine Mindestdauer der Hauptwohnsitzes von zwei Jahren. Auch von der Staatsbürgerschaft ist abhängig, ob Anspruch auf solch eine Wohnung besteht.
#04 Beislkultur
Einen wesentlichen Punkt hat der Artikel doch gut erkannt. Egal ob man nachts Gulasch essen will (geht übrigens nicht nur im Anzengruber, sondern auch im Café Drechsler) oder endlos herum philosophieren, die skurrilsten und oft auch spannendsten Menschen, Geschichten und Nächte warten in den Wiener Beisln, Kneipen und Kaffeehäusern. Hier findet sich die Wiener Seele. Deshalb macht es auch keinen Sinn sich auf eine Clubkultur zu konzentrieren, die in Wien einfach nicht so besonders vielfältig ist.
#05 "Wien ist ein Dorf."
Ja , das ist eine Binsenweisheit. Aber jeder, der länger in der Stadt wohnt, macht seine Erfahrung damit. Das kann man hassen oder lieben, jeder kennt jeden über zwei Ecken. Und du kannst dir sicher sein, dass alles was du irgendwann verdrängt oder unter den Teppich gekehrt hast, wieder auftaucht. Andererseits hat eine gewisse Unmöglichkeit der Anonymität natürlich auch Vorteile.
#06 "Seine Generation, sagt Maurice Ernst, sei nun die erst, die sich wieder mit der Geschichte Wiens, nicht nur mit der popkulturellen, versöhnt habe."
Popkulturell zum einen: Ja, ganz Wien liebt Falco, egal ob Underground oder Mainstream. Nur ein Beispiel, aber auch Figuren wie Georg Danzer werden gefeiert. Aber auch insgesamt – als ein Argument dafür nennt Maurice nächtliche Streifzüge durch das historische Wien mit einem Bier in der Hand. Yung Hurn sippt Stoli vor klassizistischen Statuen. Tatsächlich muss man sich Wien den Anachronismus, der hier oft so präsent ist, ein Stück weit einverleiben. Denn sonst wird man von der gelebten Geschichte, die sich ja auch in der Architektur und Kultur einer Stadt spiegelt, schlicht erschlagen.
#07 "Schließlich galten große, dekadente Posen in der introvertierten deutschsprchigen Indiepop-Szene lange als peinlich. Sind die Wiener gerade dabei, das zu ändern?
Ja, „Willst du meine Frau werden, kauf ich uns ein Haus aus goldnem Perlmutt“ lauten Zeilen, die Bilderbuch singen. Bei Wandaauftritten fragt man sich, woher kommt die Arroganz? Auf dem Feel Festival 2015 erklärt Marco Michael Wanda dem Publikum: „Super, dass ihr alle hier seid. Aber wenns nicht so wär, dann wärs mir eigentlich eh wurscht.“ Und er meint es auch so. Diese Attitüde hat ihren eigenen Charme, und ist sicher auch einer Stefanie Sargnagel zu eigen, die im Falter-Interview tönt: „Seid ihr behindert? Ich kann urgut schreiben.“
Das Zeit Magazin mit Wien-Cover ist seit 12. November an vielen Trafiken Österreichs erhältlich. Einen Blick kann man auch hier darauf werfen.