Das war Pop

Wir können jetzt mit Pop alt werden. Dass man das nicht nur gut finden muss, hat Paul Divjak in einem Buch festgehalten.

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Am Gegenufer der Hochkultur verpflanzt Paul Divjak fiktive Timeline-Sätze in einen popkulturellen Setzkasten. Jedes Facherl zeigt eine Klischee-Figur: die Drama Queen, die Party People, Poser und der Fotofuzzi mit Minderwertigkeitskomplex. You name it.

Textfragment trifft Dosenbier

"Das war Pop" hieß eines der Abendmottos des Book Jockey-Duos aus Christian Schachinger und Paul Divjak. Das war vor vier Jahren. Da tauschen sie Platten gegen Bücher und sampeln zu Dosenbier Texte aus einer todgesagten Strömung: Pop. Zwischen Andy Warhol und Alfred Komarek, zwischen Avantgarage und Telefavela, zwischen Saalschlacht beim ersten Wiener Rolling-Stones-Konzert in den 1960ern und dehydrierten Pillenschluckern auf den Raves der frühen 1990er-Jahre. Vor sich Büchertürme – Sachbücher, Belletristik, Lyrik, Theorie: kein Genre bleibt unbeachtet: Textfragment trifft auf Textfragment, Neuerscheinungen krachen auf Klassiker. Eine Charakteristik der Popliteratur wurde hier performed, nämlich das intertextuelles Collagenkonzept.

Like-Button trifft Champagner

"Das war Pop" heißt auch Paul Divjaks neues Buch. Noch immer steht das Verb im Präteritum. Warum das so ist, weiß man auch nach der Lektüre nicht. Während Divjak Pop für tot erklärt, zerstört von Internet und dem augenblicksbezogenen Leben, das immer schneller wird und immer schneller mehr Bedürfnisse an den kapitalistischen Markt entwickelt, zeichnet er genau das wieder vor.

Das untergegangene Genre ist noch immer ein Glücksversprechen. Es greift nach wie vor auf die Intertextualität und die Konsumwelt zurück. Es ist kapitalistisches Kulturindustrieprodukt, das Wünsche und Begierden, Frustrationen und Träume projiziert. Die aufgekratzte Jugend will sich bis ins hohe Alter verjüngen und Probleme werden mit Realitätsflucht getilgt. Kurz, der Autor stellt fest: Jetzt wird uns auch noch im Alter die Möglichkeit und Verheißung auf eine späte, aber glückliche Jugend versaut. Er möchte trotzdem noch ein wenig von den alten Träumen zehren.

Paul Divjak betreibt Habitusforschung in der "Gefällt mir"–Gesellschaft. Er entlarvt die Sehnsüchte und Träume, Hoffnungen und Ängste zeitgenössischer Hedonisten. Sie sind dekadent, eitel und von sich selbst schwerst überzeugt. Sie haben sich dem Eskapismus verschworen und chartern durch die Weltgeschichte. Denn sie alle haben Heimweh nach einem Zuhause, das es nicht gibt. Sie vermissen die Konturen moralischer Werte. Die Bilder der sich ständig aktualisierenden Gegenwart sind unscharf und flüchtig. Woran man sich halten könnte, verstreut das Stroboskoplicht. Doch noch ein Grinsekatzen-Selfie und zum Glück sind alle betrunken (und) scharf auf einander. Love & Hugs. Das erinnert stark an eine Rapversion (anyone?) von Reinhard Fenrichs "Schickeria". "Mir san die Hautevolee, 
mir haum den Überschmäh. 
Mir san a Wahnsinn, 
mir san in."

Das egozentrische Weltbild

Jeder Satz ist dabei sein eigenes Ausrufezeichen. Headlines in Reih und Glied aneinander gekoppelt. Was stellt die Spaßgesellschaft fest, was lässt sie auf den Like-Button drücken? In flottem Tempo flickt er den Strang der oberflächlichen Gedanken zusammen. Der Patchworkdecke aus Statusupdates sind Songzeilen eingeflochten. Das passt recht gut zum Jugendsprech. Using Social Media zwischen Fiktion und Realität. Sie sind global denkend und immer vernetzt mit ihrer Community und doch dreht sich die Welt nur um sie selbst.

Im Abspann: Songtext-Collagen und Chat-Tohuwabohu.

"Das war Pop" von Paul Divjak erscheint im März 2014 bei Ritter.

Bild(er) © Ritter
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