Der Bürgerkurator: Marlene Engel im Porträt
Mit Hyperreality erhalten die Wiener Festwochen ein Clubformat, das Regeln brechen will. Seine Kuratorin macht schon länger vor, wie das geht.
von Amira Ben SaoudMarlene Engel ist keine, die einem mal einen Schwank aus ihrem Leben erzählt. Dass sie während ihrer Kremser Schulzeit vom Chemie-Klassenzimmer auf den Backstage-Bereich des Donaufestivals sehen konnte, ist fast das einzige, was im Gespräch als Anekdote durchgehen könnte. Wenn es kein Coke Zero gibt, nimmt Engel halt Light und wenn statt dem bestellten Cappuccino Café Latte gebracht wird, ist ihr das auch egal. Selbstdarstellung und Nebensächlichkeiten sind das Ihre nicht; Spleens oder ein Hang zur Exzentrik, wie man ihn von vielen Kuratoren und Kulturmanagern kennt, sucht man vergebens. Google weiß quasi nichts über sie, Medien beschäftigen sich nachvollziehbarer Weise eher mit dem schillernden Neo-Festwochen-Chef Tomas Zierhofer-Kin. Und trotzdem kennt sie fast jeder, der sich in den letzten zehn Jahren irgendwie mit der österreichischen Festivallandschaft oder politischen Clubkultur beschäftigt hat. Soundframe, Elevate, Donaufestival, das eigene Label Moun10, Radio Orange, ihre Veranstaltungsreihe Bliss, Electric Spring und nicht zuletzt die Burschenschaft Hysteria – Engels Stationen machen sie zu einer der wichtigsten Figuren, die sich seit Jahren nicht nur in Worten, sondern in Taten für einen progressiveren aber auch inklusiveren Kulturbegriff einsetzen. Sie hat ihr Leben den schwierigen Themen gewidmet, auch wenn sie das wahrscheinlich nicht so sagen würde. Gender, Hautfarbe, Sexualität etc. – Diskurse, die im klassischen Kulturbetrieb aber vor allem in der aktuellen Club- und Ausgehkultur noch unterrepräsentiert sind. Wieso eigentlich, kann sie nicht ganz rekonstruieren. Ihre eigene Homosexualität und die damit einhergehenden Konfrontationen, die Übergrifflichkeiten beim Weggehen in Wien haben – wie sie erzählt – sicherlich eine Rolle dabei gespielt, über die Utopie eines freien Raums, über den Idealclub nachzudenken. Wichtiger scheint aber die Entscheidung gewesen zu sein, das eigene Privileg immer wieder zu hinterfragen. Macht man das Verlernen gesellschaftlicher, kapitalistischer Regeln zum Dreh- und Angelpunkt der eigenen Arbeit, ist der eingeschlagene Weg kein einfacher.
Establishment mit Reibung
Bei den Festwochen, deren Gesamtbudget sich auf 13 Millionen Euro beläuft, kuratiert Engel nun zusammen mit einem kleinen Team ein Festival im Festival. Wie viel genau des Budgets für Hyperreality reserviert ist, kommunizieren die Festwochen nicht nach außen; Mit der Auflösung der Spartenzuständigkeiten (Schauspiel, Musiktheater) sei diese Zuteilung obsolet geworden, wie es von offizieller Seite heißt. Das macht eine Einschätzung, wie das KuratorInnenteam mit dem vorhandenen Budget wirtschaftet, unmöglich. Die Kritik, dass es mit solchen Summen ein Leichtes wäre, ein Festival von diesem Format umzusetzen, wird man sich gefallen lassen müssen, auch wenn sie nicht ganz greift. Denn auch genügend andere, gut subventionierte Festivals kümmern sich ein keinster Weise darum, unterrepräsentierten Strömungen – nicht nur in der Clubkultur, denn die gibt es ja überall – eine Plattform zu geben. Hyperreality dagegen hat es sich zur Aufgabe gemacht, globale, im Mainstream wenig beachtete Clubmusik vorzustellen, gibt Labels und Kollektiven die Möglichkeit, ihre Showcases selbst zu gestalten und ist auch auf den Austausch der KünstlerInnen untereinander bedacht. Es versucht nicht nur, die ungeschriebenen Gesetze des Nachtlebens, des Festivalzirkus zu hinterfragen, sondern auch eine Alternative anzubieten.
„Die Festwochen sind eine Chance, die man nicht verspielen darf.“ – Marlene Engel
Es ist zwar nicht das erste Mal, dass Engel auf der großen Bühne agiert, doch im Vergleich zu ihrer Arbeit bei Soundframe, Donaufestival oder Elevate – Festivals, deren Selbstverständnis von Anfang an ein radikaleres, politischeres war, muss sie nun vor einem anderen, größeren – und man muss unterstellen – weniger aufgeschlossenem (Stamm-)Publikum reüssieren. So sehr man auch geneigt ist zu denken, dass Zierhofer-Kin und Engel es sich nun im schön durchgeförderten Establishment-Olymp bequem gemacht haben, so unbequem ist oft die Arbeitsrealität. Nicht jeder innerhalb des Festwochenteams, das ja nicht komplett ausgetauscht, sondern um die neuen MitarbeiterInnen ergänzt wurde, kann sich mit der neuen Richtung identifizieren, viel der Aufklärungsarbeit, die das KuratorInnenteam, bestehend aus Engel, Nadine Jessen, Johannes Maile und nicht zuletzt Zierhofer-Kin leistet, hat erst einmal in den eigenen Reihen zu geschehen. Da hat die Öffentlichkeitsarbeit noch gar nicht begonnen. Die Kompromisse, die Engel bei ihren eigenen Veranstaltungen in der Weise nicht eingehen musste, beschäftigen sie, zehren an den Nerven, wobei sie trotzdem versucht, aus den Reibungen das Gute und Lehrreiche herauszuziehen. »Natürlich ist man manchmal wutentbrannt und muss drüber schlafen, bevor man irgendeine E-Mail tippt. Aber die Festwochen sind eine Chance, die man nicht verspielen darf. Und oft wollen sich Leute mit einem anderen Weltverständnis einbringen, weil’s ihnen halt zu radikal ist und wenn ich das zuließe, würden sie damit das Projekt schlechter machen. Aber ihre Intention ist ja keine schlechte. Sie wollen es aus ihrem Verständnis heraus richtig machen«, so Engel.
Oft im Gespräch, wenn sie Kritik äußert, sei es nun an bestimmten Bookings in Clubs oder an größeren strukturellen Mechanismen des Kulturbetriebs, schiebt sie ein »Aber ich versteh das« nach. Es wirkt nicht aufgesetzt oder bemüht diplomatisch. Engel kann im Gegensatz zu vielen, die nur so tun, andere Positionen im Diskurs nachvollziehen, sie kann zuhören. »Marlene würde sich auch stundenlang mit Leuten unterhalten, die gar nicht gehen. Aber ohne missionarischen Impetus, einfach weil sie an anderen Meinungen interessiert ist«, so Natalie Brunner, die bei FM4 unter anderem La Boum de Luxe moderiert und zum engsten Kreis von Engel zählt. Unterhält man sich mit ihren WegbegleiterInnen, neuen wie alten, wird sie durchwegs als leidenschaftliche, fachlich äußerst kompetente, arbeitssame und freundliche Person beschrieben. Das verwundert vielleicht, denn jemand, der wie Engel mit seiner Meinung nicht hinter dem Zaun hält, Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen bezieht und mit der ein oder anderen Aktion vielleicht sogar gezielt Leute vor den Kopf stoßen will – ein Plakat mit der Aufschrift „Gegen Inländer!“ wird nicht nur das Krone-Forum nicht verstehen – eckt natürlich auch mal an. Nicht nur außerhalb der Blase.
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