Der größte Feind ist der Zynismus – Katharina Seidler im Porträt

Katharina Seidler ist eine von Österreichs interessantesten MusikjournalistInnen. Gut möglich, dass sie in den kommenden Jahren ihre zentrale Rolle im Wiener Musikgeschehen weiter ausbaut – und es sich nie nehmen lässt, sich von guten Liedern rühren zu lassen.

Katharina Seidler © Michael Mickl

Die Bereitschaft zur Rührung

Nicht zuletzt in ihrer Arbeit als Kuratorin des heurigen Popfests Ende Juli am Wiener Karlsplatz hat sie sich gemeinsam mit Nino aus Wien auch damit beschäftigt, was Musik haben muss, um sie zu begeistern. Ihre Antwort: »Das ist ein Gefühl und schon nach drei Sekunden weiß man, ob einem das Herz aufgeht oder nicht. Das mag kitschig sein und naiv klingen, aber genau das war unser Konzept: Es geht um ein Gefühl!« Ein bewusst subjektiver Zugang, der auch immer damit zu tun hat, wie es einem selbst gerade geht: »Es gib da den auch von Fritz (Ostermayer; Anm. d. Red.) hochgehaltenen Begriff der Rührung – und das ist etwas, das auch ich mir immer bewahren will. Das kann ein schöner gemeinsamer Moment bei einem Konzert oder auf einem Dancefloor sein – ich glaube an diese transformative Kraft von Popmusik und an die spirituelle Komponente von Clubmusik.«

Soundqualität und andere Nebenerscheinungen rücken hier in den Hintergrund und oft spielt das gemeinsame Erleben eine Rolle: »Mein größter Feind ist der Zynismus und ich hoffe, dass ich mir das immer erhalten kann, die eigene Offenheit. Ein gutes Lied ist das Beste, was es gibt – und man weiß, dass man dieses Lied für immer haben wird. Das ist unkaputtbar. Etwas, das man sich auch nicht von anderen nehmen lassen muss.«

Angesprochen auf außermusikalische Einflüsse und Dinge, die sie im Zusammenhang mit Musik nicht mag, kommt sie nur auf allzu durchschaubare Inszenierungen zu sprechen: »Es gibt so große Gefühle, die mit drei Akkorden evoziert werden können, auf einer großen Bühne oder im Café Carina – und man merkt, ob die Musiker das selbst spüren. Es geht dabei nicht um Authentizität, also darum, ob jemand sein Herz auf der Bühne ausschüttet und real ist. Im Gegenteil, ich liebe die Pose und die Characters des Pop sehr. Ich finde es nur ärgerlich, wenn die »Absicht« hinter der Musik zu stark hervorkommt – man soll sich nicht manipuliert fühlen. Das große Gefühl kommt woanders her und nicht vom Wollen.«

Zwangsweise Absagen

Auf der Suche nach diesem Gefühl hat sie immer mehr Tätigkeiten angenommen und sucht sich jetzt wieder Freiräume, wie sie erzählt: »Es wurde mir in den letzten zwei Jahren etwas viel, weswegen ich etwa das Auflegen fast sein lassen habe. Bei FM4 muss ich andere Tätigkeiten zwar genehmigen lassen, das ist aber sehr offen und meistens kein Problem. Ich habe aber das Schreiben für andere Medien und Programme oder auch Workshops für jungen Journalisten reduziert.« Um das Auflegen habe es ihr etwas leid getan, aber wenn man soviel aus ist, müsse man dort nicht auch noch arbeiten, meint sie humorvoll.

Seit der Anstellung fallen bei FM4 auch klassische Dienste, wie etwa das Webseiten-Lektorat, an. Die Tätigkeit als Station Voice bereitet ihr in der Zusammenarbeit mit dem Producer Rudi Ortner große Freude. Auch wenn sie deswegen, um die Stimme zu schonen, quasi aufgehört hat zu rauchen. FM4 ist hier ganz das große Klischee: die Nicht-Trennbarkeit von Privatleben und Beruf, wie so oft, wenn man das Privileg hat, aus eigenen Interessen einen Job zu machen. »Idealisiert ausgedrückt ist FM4 natürlich mehr als ein Job und ein Lebensgefühl, man ist mit den Kollegen tatsächlich befreundet, verbringt die Freizeit gemeinsam auf Konzerten und ist sich auch in sozialen Medien nahe.« Es ist ein Luxus, sich beruflich mit Dingen zu beschäftigen, die man mag und ein Fakt, dass es so unmöglich wird, abzuschalten.

Nicht nur positiv findet sie als jemand, der auf Menschen genauso offen wie auf Musik zugeht, dass jedes Gespräch beim Ausgehen zu einem Jobgespräch wird. Das gilt auch für Situationen, in denen auch – gerade während des Kuratierens des Popfests – nicht alle Bands und Promotoren professionellen Abstand wahren und berufliche Interessen und Forderungen verfolgen. Selbst hier bleibt Katharina verständnisvoll. »Es kommt schon vor, dass mich Leute in Interviews und anderen Situationen unterschätzen. Man muss halt freundlich und cool bleiben – und bei Aufgaben wie dem Popfest muss man zwangsweise auch Leuten absagen und gerät aneinander. Das muss ich auch erst lernen und ich merke, dass die Leute mitunter überrascht sind. Genauso, wie ich beim Weggehen manchmal jemandem sagen muss, dass ich nun nicht auf Anfragen antworten kann.«

Gemeinsam mit Nino Mandl kuratiert Katharina Seidler das diesjährige Popfest am Karlsplatz. © Yavus Odabas

Wer lange in Organisationen arbeitet, beginnt sich mit den Strukturen zu beschäftigen und über die inhaltliche Arbeit hinaus Verantwortung zu übernehmen. Katharina hat etwa die Teamleitung bei Festivaleinsätzen inne und ist Teil der internen Festivalkoordination, hat sich aber auch darüber hinaus mit den Strukturen bei FM4 und deren Erneuerung beschäftigt. Sie deutet an, dass sie durchaus lustvoll dafür sorgt, dass ihre Projekte inhaltlich und on air die Aufmerksamkeit bekommen, die sie ihrer Meinung nach bekommen sollen. Im Zusammenspiel all dieser Tätigkeiten und mit der ihr eigenen Art sich ihnen zu nähern, ist gut vorstellbar, dass Katharina Seidler in den nächsten Jahren weiter zu einer noch zentraleren und einflussreicheren Figur in der Wiener Musikszene wird. »Das Popfest hat dem nochmal einen großen Schubs gegeben und im Zuge dessen ist mir schon aufgefallen, wie viel Verantwortung hier zusammenkommt.« Verantwortung, die für sie auch bedeuten kann, sich zurückzunehmen. »In erster Linie muss man das als riesiges Privileg und Chance sehen. Es geht hier auch gar nie um einen selbst, sondern um Projekte und Acts, die man ein wenig pushen kann. Diese Rolle und Verantwortung muss man halt mal bissl durchschauen. Es ist aber das Beste, was passieren kann.«

Unterstützung ist selbstverständlich

Ihre wachsende Bekanntheit führt zu mehr Anfragen, wie jener eines Linzer Veranstalters, der für eine neue Eventreihe weibliche DJs aus der experimentelleren Richtung suchte. Ein Anliegen, das sie nur zu gerne unterstützt. Weder bei ihrer Berichterstattung noch bei den Bookings arbeitet sie nach Quoten – diese ergeben sich von selbst, in ihrer Radiokolumne sind es sogar weit über zwei Drittel. Die Unterstützung von Künstlerinnen spielt eine große Rolle: »Gerade die Nische, in der ich mich bewege, beweist, dass Aussagen wie jene, dass es zu wenig Frauen gibt, einfach nicht stimmen. Es ist mir wichtig, als Journalistin und Kuratorin, auch als Frau, ernst genommen zu werden, ich muss das aber nicht in den Vordergrund rücken.« Die Arbeit von etwa Marlene Engel Marlene Engel (Hyperreality, Bliss, …) oder Therese Kaiser (Business Riot) findet sie inspirierend. „Feminismus ist meiner Arbeit immanent. Ich wünschte, es wäre nicht noch so viel zu tun.“

Sich mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinanderzusetzen ist für sie in jeder Entscheidung und all ihrem Tun selbstverständlich. Politische Fragen zu FM4 oder dem ORF oder auch einem geförderten Event wie dem Popfest kommentiert sie eher zurückhaltend und wenig plakativ: »Natürlich konzentriert man sich auf die inhaltliche Arbeit«, meint sie und ergänzt dann: »Man ist sich aber seiner Rolle schon sehr bewusst und handelt auch im Sinne des Projekts. Beim Popfest haben wir totale Freiheit, aber ebenso wie in der Arbeit im Radio nützt man diese nicht aus, um eigene Vorlieben rücksichtslos auszuleben. Das wäre auch egoistisch. Und so bucht man ein Popfest natürlich nicht als Katharina-Seidler-Personale, auch wenn ich beim ›Sumpf‹ die Freiheit habe, Leute nach eigenem Ermessen vor den Vorhang zu holen. Ich interviewe aber fast genauso gerne Bands am Frequency. FM4 würde ich prinzipiell schon ein paar mehr Ecken und Kanten wünschen, ich würde daraus aber keinen ›Sumpf‹-Sender machen wollen.«

Auf die Frage nach Zielen und Möglichkeiten, die sich ergeben – nennen wir es eventuell sogar Karriere – antwortet sie vorsichtig und doch mit klaren Ansagen: So lange es einen inhaltlichen Aspekt gibt, wie beim Kuratieren, kann sie sich viel vorstellen und freut sich auch mit jedem Auftrag – wie beim Popfest etwa über das Booking-Business – mehr zu lernen: »Auch wenn ich in administrativen Dingen wohl eigentlich recht gut bin, darf der Inhalt für mich nicht zu kurz kommen. Dann würde ich den Auftrag oder den Job nicht annehmen.« Ohne Bezug zu Musik, die ihr Herz aufgehen lässt, wäre jede Aufgabe die falsche für Katharina Seidler.

Das von Katharina Seidler und Nino Mandl zusammengestellte Line-up des Popfest 2018 kann man kommendes Wochenende, von 26. bis 29. Juli, live erleben. Nähere Infos dazu gibt’s hier.

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