Der Noise-Posterboy

Wolfgang Möstl ist der Strippenzieher der Wiener Noise-Szene. Ohne ihn wäre dort in den letzten Jahren nicht viel passiert und die Welt schlechter. Er ist der Pharrell Williams des Noise-Rock.

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Statt Hut trägt er aber Hemden mit tropischen Blumenprints und Strickwesten mit Norwegermuster. Oversized natürlich. Oft sind die Ensembles Teil der Show von Mile Me Deaf. Die vierköpfige Partie mit Hang zum Retrosound und einer Vorliebe für geschmackssichere 90ies-Videokulissen ist zwar nur eine von Möstls zahlreichen Bands, hat sich aber mittlerweile vom lustigen DIY-Wohnzimmergeschrammel zum Aushängeschild der Szene gemausert. Vergleichbares ist am ehesten noch von den Sex Jams bekannt, bei denen er auch mitspielt. Oder von den mittlerweile ganz fix und endgültig pensionierten Killed By 9V Batteries, deren Leader er bis zuletzt war. Also, whatever, eh alles seines.

Inspiration 90ies-Trash

So auch das neue Album »Holography« von Mile Me Deaf, das via Siluh Records erscheint. Dafür haben sie ein supertrashiges Cover gestaltet, auf dem nicht nur das Quartett selbst, sondern auch ein paar Freunde und Bekannte abgebildet sind: Hundeschönheit Lassie, Katey Sagal aka Peggy Bundy, die beiden Legenden Hunter S. Thompson und Reinhold Messner und viele mehr. Sie alle sind einem Song zugeordnet. Kann man in den Liner Notes nachlesen. Trash inspiriert. Eigenartige Serienfiguren, verhaltensauffällige Anti-Helden und Typen, die in den 90ern eine ganz spezielle Popkultur mitgeprägt haben. Alles das fließt in die Songs von Wolfgang Möstl ein. Wahnwitzige Sache. Die Musik funktioniert ähnlich. Wahnwitzig, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Dafür sind Mile Me Deaf zu gut. Sie können ihre Musik ja. 
»Holography« klingt poppiger als das 2012er Debüt »Eat Skull«. Die »Brando«-EP vergangenen Juni hatte diese Richtung bereits angedeutet. Die Melodien gehen meist schnell ins Ohr, sind ganz logisch aufgebaut. Die Vocals flanieren oft sanft und mit wenig Schnickschnack darüber, ein anderes Mal laut und voller Wehmut. Ein bisschen kalifornisches Strand-Feeling auch. Oder die Erinnerung daran. Die Gitarren dominieren letztendlich trotzdem. Das ist typisch und legitimiert auch die Bezeichnung Noise-Rock. Oder Noise-Pop-Rock. Aber Genres interessieren sowieso niemanden.»Holography« macht in erster Linie Spaß.

Quantenphysik abseits von Prosieben

Das Songwriting hat bei Wolfgang Möstl noch nie unter der präpotenten Selbstironie gelitten. Vielmehr hat sie ihn angetrieben. Selbstironie und Quantenphysik. Er könnte lange über diese Faszination plaudern und von seiner neuen Lieblingstheorie, dass das Universum bloß ein Hologramm ist, mit leuchtenden Augen und fuchtelnden Händen erzählen. Sie hat ihn auch zum Albumtitel gebracht. »The Big Bang Theory« interessiert ihn trotzdem nicht. Er war schon Fan, bevor diverse Sheldons den täglichen Prosieben-Seriennachmittag belagert haben. Das möchte er bitte gesagt haben.
Nicht auszudenken, was wäre, wenn seine Bands sich selbst immer vollkommen ernst genommen hätten. Es geht wohl kaum jemand in Österreich mit so viel Authentizität und Lässigkeit ans Musikmachen wie Wolfgang Möstl und seine Kollegen. Es wird kein Druck gemacht. Wahrscheinlich ist genau deshalb alles so dank- und fruchtbar, was er macht, um nicht zu sagen: was er aufgebaut hat.

Er fühlt sich geschmeichelt, wenn man ihn zum Mastermind der Wiener Noise-Szene erklärt, kann das auch ganz gut nachvollziehen. Sogar diese relativ eitle Einsicht wirkt bescheiden aus seinem Mund.
 Die Trends setzt er mit Surfersound, Hawaii-Hemden und schlecht blondierten Haaren – ja Maurice Ernst von Bilderbuch kann das eigentlich mindestens gleich gut –, er zieht sein Ding durch, ohne sich dabei aufpudeln zu müssen. Er kann ja auch mit Nebenrollen gut. Beispiel Sex Jams. Da haucht er hinter Energiebündel Katie Trenk allerhöchstens die Background-Vocals und spielt seine Akkorde. Er genießt es, hier einfach nur Gitarrist zu sein, meint er, braucht das Frontmann-Dasein bei Mile Me Deaf aber trotzdem und unbedingt. Schließlich sprudelt er vor Kreativität. Merkt man ja. Für die Sex Jams war er damals eine Bereicherung, als er irgendwann nach »Post Teenage Shine« dazu stieß. Dessen ist sich die Band bewusst, die ihn in einem Interview einmal als ihren Ruhepol bezeichnet hat. Passt irgendwie, weil stille Wasser und so. Der totale Posterboy.



Bild(er) © Mile Me Deaf
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