Eva Sangiorgi über die erste Viennale unter ihrer Leitung, ihre bisherigen Erfahrungen und die immerwährende Leidenschaft für den Film.
Groß war sie, die Überraschung, als im Jänner Eva Sangiorgi als neue Viennale-Direktorin vorgestellt wurde. Man habe jemanden mit internationaler Erfahrung gewollt, so das Viennale-Team. Die hat die gebürtige Italienerin: Seit April 2010 bis einschließlich März 2018 leitete sie das von ihr gegründete Filmfestival FICUNAM in Mexiko. Schon zuvor war sie für verschiedene Festivals in Europa und Mexiko tätig gewesen, zwei Uni-Abschlüsse in Kommunikationswissenschaften und Kunstgeschichte bringt sie ebenfalls mit. Nun Wien, nun Viennale – es ist die zweite seit dem überraschenden Tod Hans Hurchs im Jahr 2017, die erste von Eva Sangiorgi geleitete. Ein Gespräch über das Kommende (die Viennale 2018), das Vergangene (die Kulturarbeit in Mexiko) und das Bleibende (alte sowie neue Filmlieben).
Haben Sie sich in Wien schon eingelebt? Ich habe gehört, dass Sie bereits Deutsch lernen.
Ich habe mich sehr schnell eingelebt, da Wien meiner Erfahrung nach eine Stadt ist, in der das leicht möglich ist. Alle Menschen, die ich getroffen habe, waren sehr hilfsbereit. Ich hoffe, ich werde nach und nach die Stadt noch besser kennenlernen. Ich hatte viel Enthusiasmus bezüglich des Erlernens der Sprache, wobei es nun doch länger dauert, da es einfach derzeit nicht meine oberste Priorität ist. Wenn ich nach dem Festival mehr Zeit habe, werde ich bestimmt mehr lernen.
Hans Hurchs Tod kam für alle sehr überraschend. Ist es für Sie schwer, einer so spezifischen Person in deren Position nachzufolgen?
Hans Hurch war ein Mann mit einer starken Persönlichkeit und politischen Ideen. Er war ein spezieller Mann, der sehr stark mit seiner Zeit und der kulturellen wie politischen Sphäre verbunden war. Ich habe natürlich in meinem Leben andere Erfahrungen gemacht. Ich bin nicht von hier, aber ich habe Interesse daran, Beziehungen aufzubauen und involviert zu sein. Aber ich bin auch ein anderer Mensch, ich bin eine Frau, ich gehöre einer anderen Generation an. Ich versuche, nicht allzu nervös zu sein. Hans Hurch war auf jeden Fall lange ein Vorbild für mich. Nicht nur er als Person, sondern auch die Viennale. Aber ich versuche nicht, ihn zu imitieren.
Welche Herausforderungen gab es bisher?
Natürlich gab es Herausforderungen. Als mir die Stelle angeboten wurde, musste ich mich sehr schnell entscheiden. Ich konnte nicht allzu lange darüber nachdenken. Ich habe nicht zurückgeblickt und das werde ich auch nicht mehr. Als ich jedoch hier in Wien angekommen bin, habe ich sofort gemerkt, wie professionell das Team ist. Das ist auch der Grund, warum die Viennale eine Institution von internationaler Bedeutung ist.
Welchen Bezug hatten Sie davor zur Viennale und zur österreichischen Filmszene?
Ich war zuvor mehrmals bei der Viennale, sie passte immer perfekt in meinem Zeitplan und zudem sprach mich die Auswahl der Filme an. Das Festival genoss ich stets, es war sehr leicht, in die Spielstätten zu kommen und Leute zu treffen. Ich war fasziniert davon, wie sich die Viennale innerhalb der Stadt positioniert. Man kann von Kino zu Kino gehen. Ich mag das österreichische Kino und kenne einige österreichische Filmproduktionen. Als ich noch das FICUNAM Filmfestival leitete, hatten wir auch einige österreichische Filme dabei. In einem Jahr gewann etwa Jessica Hausner für »Amour Fou« einen Preis. Und über die berühmtesten österreichischen RegisseurInnen braucht man insofern nicht mehr zu sprechen, als dass sie bereits als internationale Größen gesehen werden können.
Können Sie uns ein paar Details über die diesjährige Viennale verraten?
Es wird eine große Auswahl an zeitgenössischen Filmen geben, ebenso eine Auswahl an Filmen, die bisher auf den wichtigsten Festivals in Cannes, Berlin, Venedig, Toronto und San Sebastián liefen. Ich wollte aber auch Filme von bisher weniger bekannten FilmemacherInnen zeigen, das ist ja gewissermaßen in der Tradition der Viennale. Ebenso gibt es Specials zu bestimmten SchauspielerInnen und RegisseurInnen. Ich habe Roberto Minervini eine Retrospektive gewidmet. Er ist aus Italien – wobei das keine Rolle spielen soll, das ist Zufall. Er hat nie wirklich in Italien produziert, aber dafür in den USA. Dort wird er als sehr origineller Regisseur betrachtet. Seine filmische Sprache bewegt sich zischen Dokumentar- und Spielfilm und er präsentiert intime wie alltägliche Geschichten durch seine spezielle Nutzung der Kameraperspektive. Ich glaube, dass bisher lediglich ein Film von ihm in Österreich gezeigt wurde.
Natürlich wird es auch wieder spezielle Programmschienen geben. Wir werden etwa die Kollaboration mit dem Filmmuseum aufrechterhalten und sogar ausbauen. Dieses Jahr wird das Filmmuseum für eine Retrospektive, die auf B-Movies aus den USA aus der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg fokussiert ist, verantwortlich zeichnen. Wir werden eine Auswahl an 52 Filmen zeigen, die zwischen 1935 und dem Ende der 1950er-Jahre produziert wurden. Diese Filme erforschen die Sprache des Mediums Film und stammen aus unterschiedlichen Genres wie etwa Film noir, Abenteuerfilm, Thriller, Science-Fiction. Sie sind insofern interessant, als dass sie mit sehr niedrigem Budget und geringen Produktionswerten hergestellt wurden, aber dennoch großartige Filmschaffende hervorgebracht haben. Außerdem wurden sie zur Inspiration für nachfolgende FilmemacherInnen. 2018 wird das Filmmuseum übrigens verstärkt bei der Viennale involviert sein, es wird nicht nur offizielle Spielstätte für die Filme der Retrospektive sein, sondern auch für zeitgenössische Produktionen.
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