Schwarzarbeit am Frequency Festival: Darf sich der Veranstalter aus der Verantwortung stehlen, wenn nicht er selbst, sondern bloß eine Zulieferfirma Obdachlose aus Wiener Parks zum Zusammenräumen auf das Festivalgelände nach Sankt Pölten gekarrt hat?
Die Argumentation klingt altbekannt. Wir hören sie von Nike, Nokia oder Apple, wenn einer der großen Konzerne sich wieder einmal für Kinderarbeit, Ausbeutung und untragbare soziale Bedingungen an den Produktionsstätten seiner Gummischuhe oder Mikrochips rechtfertigen muss. Wir doch nicht!, lautet sie sinngemäß, halb empört und selbst betroffen: Das sind bloß unsere Zulieferbetriebe. Irgendwelche Fabriken am anderen Ende der Welt, die wir aus unserer Zentrale gar nicht im Griff haben können. Dafür sind wir nicht verantwortlich. Aber weil wir nicht so sind, kümmern wir uns jetzt mal um diesen Ein-zel-fall. Damit lassen wir uns meist abspeisen. Wir haben uns schließlich alle mit den Verhältnissen arrangiert. Zwar bleibt ein ungutes Gefühl, doch fast allen ist klar, dass die Drecksarbeit für die Leistbarkeit unseres Lebensstils ja auch irgendwer machen muss, irgendwo da draußen, am Ende der Welt.
Into The Wild
Und dann plötzlich St. Pölten. Während Deichkind, Seeed und die Dropkick Murphys die Gegend beschallen, tut Mitte August auch die Finanzpolizei ihre Arbeit auf dem FM4-Frequency Festival. 70 Schwarzarbeiter werden bei der Razzia registriert, die eine Hälfte davon in der Gastronomie, die andere bei der Müllentsorgung. Den Veranstalter direkt treffe keine Schuld, so Harald Waiglein, der Sprecher des zuständigen Ministeriums. Vielmehr hätte eine Zulieferfirma selbst wieder Zulieferfirmen beauftragt. Gegen diese wird nun ermittelt, weil sie »Bulgaren, Rumänen und Serben ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, sowie Unterstandslose aus Wiener Parks zur Arbeit nach St. Pölten gebracht hat.« Den Veranstalter des Musikfestivals mag keine direkte Schuld treffen. »Alle unsere Auftragnehmer haben sich selbstverständlich an geltende österreichische Gesetze zu halten. Um Schwarzarbeit auf dem Festivalgelände komplett auszuschließen, müsste ich in alle meiner 100 oder 300 Zulieferfirmen Spione einschleusen«, scherzt Frequency-Veranstalter Harry Jenner. »Das ist nicht machbar.«
Und dennoch: Ausbeutung, Abhängigkeitsverhältnisse und ein System der Rechtlosigkeit, wie wir es aus den Fabriken des 19. Jahrhunderts kennen, mitten in Sankt Pölten. Das darf weder uns als Konzertkonsumenten egal sein. Noch darf das ein Festivalveranstalter auf sich sitzen lassen, der sein »Green Stage«-Konzept samt Maßnahmen zur »ökologischen und sozialen Sinnhaftigkeit« als mehr erachtet als bloß eine nett vermarktbare Möglichkeit, um an öffentliche Fördergelder zu gelangen. Bierdosen einzusammeln ist nicht nachhaltig, wenn diese Arbeit von Entrechteten verrichtet wird. Ebensowenig, wie jene Freiland-Preiselbeeren nachhaltig »produziert« werden, die rumänische und bulgarische Tagelöhner gerade in schwedischen Wäldern pflücken und die für Unterkunft und Verpflegung während der Erntearbeit mehr bezahlen, als sie unterm Strich verdienen. Auch in Schweden sind es naturgemäß »Zulieferfirmen«, die den Erntehelfern sicherheitshalber die Pässe abgenommen haben, bevor man sie in die Wälder geschickt hat. Das alles mag in der Branche schon länger so praktiziert worden sein. Erntehelfer sind in vielen Teilen der Welt entrechtet, die Gastronomie bekanntermaßen anfällig für Geschäfte im Abseits. Eines bleibt all das nichtsdestotrotz: inakzeptabel.
A Decent Festival
Für einen Global Player ist es vermutlich wirklich ein schweres Unterfangen, soziale Standards in Fabriken im asiatischen Hinterland zu überschauen, wenn dort das kulturelle Bewusstsein dafür fehlt. Glaubhaft und durchaus unterhaltsam gezeigt hat das die Filmdoku »A Decent Factory« (2004), die Nokia auf Konsumentendruck in Auftrag gegeben hatte, um Arbeitsbedingungen in seinen Zulieferfirmen zu erkunden – und selbst guten Willen zu zeigen. Doch anders als in den entlegenen Winkeln des Fernen Ostens sollten sich fundamentale Verfehlungen im nahen Nieder-österreich aber sehr wohl aus der Welt schaffen lassen. Es braucht dazu vor allem eines: guten Willen und ein Vorgehen, das ähnlich durchdacht ist wie eine Systematik, die es letztlich allen Beteiligten erlaubt, sich abzuputzen und alles auf den »Einzelfall« zu schieben. Dies ist deshalb als wohlwollende Aufforderung zu verstehen, die Konsequenzen aus dem Jahr 2011 zu ziehen und die Angelegenheit für den Festivalsommer 2012 zu regeln. Möglichst nachhaltig.
Thomas Weber, Herausgeber
weber@thegap.at