Kelela spielt Mikado mit R’n’B und Post-Dubstep, ganz heißkalt, vermisst den schwarzen Atlantik neu und fordert die Zukunft heraus.
Was für eine Stimme. Wie Honig und Hightech. Kelela singt dabei aber eben nicht wie die anderen, mit einer Schleife hier, einem Kräuseln da und ein bisschen Glitzer, Kelela singt ohne all die üblichen Pirouetten und die Akrobatik, ihre Stimme strömt eher wie ein warmes Gas aus verchromten Schlitzen aus. Sie hat eben keine klassische R’n’B-Stimme, sie ist schlichter, dezenter, diamantener. Für das Album, ihr Debüt, offiziell ein Mixtape, vielleicht weil es gratis ist, das macht aber keinen Unterschied, ist das klar ein Vorteil. Sie drängt sich nicht ganz in den Vordergrund, aber sie trägt das Album, gibt ihm seine Stofflichkeit. Ohne Kelelas Stimme wären es nur ein paar kühle, nebelige Tracks von beiden Seiten des Atlantiks, wie man sie nun schon seit ein oder zwei Jahren kennt. Aber Kelela bringt auf den Punkt, was andere bisher noch nicht richtig bündeln konnten mit ihren Stimmen aus digitalen Sample-Banken, die sie geschnitten, verschliffen und oft raffiniert arrangiert hatten. »Cut 4 Me« aber ist eine Klimax des High Tech Soul.
Zurück in die Zukunft
Trennung und Drama, das sind klassische Themen im R’n’B, sie sind es auch hier. Die Songs selbst mäandern, haben kaum klassische Refrains, sind wie kühle Kammern, in denen der Schmerz konserviert wird. Die Musik stottert, sie groovt nicht, wirkt oft fast schwerelos, in ihr ist – so wie in einem der großen Filme dieses Kinoherbsts, dem kunstvollen Katastrophenfilm »Gravity« – die Orientierung weitgehend verloren gegangen, Gewissheiten gelten nicht mehr und das Herz ist ein bisschen schwer geworden. Musik wird ja in ihren besten Momenten zu mehr als nur ein paar hübschen oder traurigen Songs. Auch »Cut 4 Me« richtet den Blick nach innen und spiegelt die Welt da draußen. Liebe allein ist nicht genug, Kelela weiß, sie hat die Zukunft gesehen und sie ist vorbei, das singt sie über flüchtigen Beats. Auf dem großartigen »Enemy« wummern Bässe und schnalzen synkopische Rhythmusimpulse wie zu allerbesten Grime-Zeiten. Es geht um mehr als nur ein bisschen Gefühlstotschlag: »I need someone who gives a fuck.« Es ist ein bisschen therapeutisch, was Kelela da singt.
Trans-Atlantik-Wolke
Dabei kommt das Debüt fast aus dem Nichts, nur bei Daedalus und Teengirl Fantasy war Kelela bisher kurz zu hören. Bei Letzteren sorgte sie für den besten Track am Album, über sie kam auch der Kontakt mit den verschwisterten Labels Night Slugs in England (Girl Unit, BokBok) und Fade To Mind in den USA (Fatima Al Qadiri, Nguzunguzu) zustande. Quer über den Atlantik ist dort in den letzten Jahren ein Kollektiv entstanden, das sich via Soundclouds und Dropboxes gegenseitig befruchtet, das rund um Schlüsselsounds wie zerbrochenem Glas, glänzendem Chrom und splitterndem Metall an neuen, hybriden Beats forscht, aus dem Erbe der schwarzen Diaspora heraus. Früher hätte man sie futuristisch genannt. Aber eigentlich sind sie dafür viel zu bedrohlich und zu dunkel. Derselbe Futurismus hallt auch noch im Artwork des Albums nach, das ganz unironisch aus dem Müll des jungen, digitalen Zeitalters etwas Neues macht. Zeit wird’s.
»Cut 4 Me« von Kelela ist bereits via Fade To Mind erschienen und hier gratis im Download erhältlich.