Ein blutiges, italienisches Serienwunder

Auf den Bestseller und den preisgekrönten Spielfilm folgt zeitgemäß die dazugehörige Erfolgsshow. Warum Italiens Serienexport »Gomorrha« zu Recht in aller Munde ist.

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Vor acht Jahren bewies der italienische Autor und Journalist Roberto Saviano Mut zur Wahrheit, als er mit der Veröffentlichung des Buches »Gomorrha« die illegalen Machenschaften der süditalienischen Verbrecherorganisation Camorra, gründlich recherchiert und akribisch beschrieben, ans Licht der Öffentlichkeit brachte. Danach musste er untertauchen und lebt seither, aufgrund mehrerer Morddrohungen seitens der neapolitanischen Mafia, unter Polizeischutz. Auch wenn er mittlerweile einen Kurs zum Thema kriminelle Ökonomie an der Princeton University unterrichtet und derzeit, dank der öffentlichen Aufmerksamkeit, einen Anschlag auf sein Leben für unwahrscheinlich hält, ist ihm ein normales Leben in der Gesellschaft nicht mehr möglich. Die Offenlegung und Analyse des organisierten Verbrechens in Italien, wie auch im Rest Europas, sieht er aber noch heute als seine Berufung an.

Bereits 2008 wurde das Buch von Regisseur Matteo Garrone verfilmt und konnte neben einer Oscar-Nominierung auch den großen Preis der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes einheimsen. Nun wurde der Stoff erneut aufgegriffen und unter der Aufsicht von Saviano zu einem TV-Drama umgearbeitet. Nach dem medialen Echo der letzten Monate, sowie dem Verkauf in mehr als 50 Länder zu schließen, scheint im Laufe dieses Prozesses die erste italienische TV-Show entstanden zu sein, die sich am international boomenden Serienmarkt einen Namen machen kann.

Camorra ≠ US Mafia

Während die Handlung des Films den erzählerischen Fokus noch auf verschiedene leidtragende Figuren im Umfeld des organisierten Verbrechens legte, stehen in der Serienadaption die Camorra-Bosse und deren Handlanger selbst im Vordergrund. Diese sind als Charaktere zwar weder unglaubwürdig, noch sind ihre Handlungen, bedenkt man die jeweiligen Umstände, völlig unnachvollziehbar, sie unterscheiden sich aber doch eindeutig von herkömmlichen Antihelden amerikanischer Erfolgsserien wie etwa Walter White oder Tony Soprano.

Die Gangster, die man hier zu sehen bekommt, sind jeglichen Hollywoodglanzes beraubt und fristen ihr Dasein in der sprichwörtlichen Hölle auf Erden. Drogen- und Waffenhandel gehören im Neapel von »Gomorrha« genauso zum Alltag, wie blutige Auseinandersetzungen mit verfeindeten Clans. Als Identifikationsfiguren taugen die Protagonisten kaum, als dramatisierte Versionen von Vorbildern der echten Welt ziehen sie jedoch trotzdem in ihren Bann.

Blut, Geld, Dreck

Obwohl, laut Saviano, ein Großteil der in der Serie dargestellten Ereignisse auf Fakten basiert, folgt diese einem geradezu archetypischen Handlungsbogen. Die zwölf Episoden der ersten Staffel erzählen vom Aufstieg des 30-jährigen Ciro di Marzio, der sich als Scherge des Gangsterbosses Pietro Savastano im Kampf gegen rivalisierende Clans seine Sporen verdient und sich nach dessen plötzlicher Inhaftierung, trotz blutverwandtem Thronerben, als der fähigere Nachfolger herausstellt. Im Vergleich zum Film, der anhand mehrerer Charaktere aus unterschiedlichen Schichten einen gesellschaftlichen Querschnitt lieferte, hat man es hier mit einem relativ geradlinigen, wenn auch völlig entglorifizierten, Gangsterepos zu tun.

In Sachen Inszenierung muss sich die von Sky und Betafilm produzierte Serie nicht vor der amerikanischen Konkurrenz verstecken. Die in den beiden Camorra-Hochburgen Casal di Principe und Scampia gedrehten Aufnahmen sind zwar alles andere als einladend, verleihen der Show aber, gemeinsam mit dem dokumentarisch anmutenden Stil, eine beklemmend authentische Atmosphäre. Vor allem bei den zahlreichen blutigen Auseinandersetzungen dürfte hier selbst hartgesottenen Serienjunkies etwas flau im Magen werden. Die Dialoge zwischen den Charakteren, die sich keineswegs ausschließlich um kriminelle Machenschaften drehen, mögen nicht ganz so geschliffen und smart rüberkommen, wie man es aus anderen Serienhighlights der letzten Jahre kennt, deren Glaubwürdigkeit schadet dies jedoch nicht.

»Gomorrha« ist nicht für Jedermann. Wer seine Dramen gern mit einer auflockernden Brise Humor und Zitat-würdigen Sprüchen geniest, wird sich bei anderen Shows besser entspannen können. Wie schon das Buch und der Film zuvor, liefert aber auch die Serie über die italienische Camorra einen packenden und detailverliebten Einblick in das organisierte Verbrechen als seuchenhaften Auswuchs des heutigen Kapitalismus. Bleibt nur zu hoffen, dass Savianos aufopferndes Engagement gegen die neapolitanische Mafia in Zukunft noch mehr Früchte tragen kann, als bloß eine überdurchschnittlich gute europäische TV-Show.

Seit 10. Oktober läuft »Gomorrha« wöchentlich auf Sky Atlantic HD.

Bild(er) © Emanuela Scarpa, Betafilm
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