Die Fotografin Emma Braun erfährt bei einem Shooting, dass ihr Model Sophie hauptberuflich eigentlich Rauchfangkehrerin ist – und macht daraus ihren ersten Film. Der Kurzdokumentarfilm »Einblick« ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Im Interview erzählt uns die Neo-Filmemacherin, wie sie stundenlange Gespräche mit Sophie führte, was sie dabei wütend machte und ihr beim Porträtieren der jungen Frau, die einem männerdominierten Beruf nachgeht, wichtig war.
»Einblick« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streamingplattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.
In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »Einblick«?
Emma Braun: In »Einblick« geht es um eine junge Frau, die in einem männerdominierten Beruf arbeitet. Sie bewegt sich in ihrer täglichen Arbeit fast in einer Parallelwelt und ist an Orten, zu denen man als Privatperson keinen Zugang hat. Sie nimmt die Stadt Wien von oben wahr und sieht, wie unterschiedlich Menschen Wand an Wand wohnen. Als junge Rauchfangkehrerin erlebt sie spannende Momente und gleichzeitig beunruhigende Begegnungen: mit wilden Tieren in Wohnungen, unberechenbaren Situationen oder sexistischen Bemerkungen.
Wie hast du Sophie kennengelernt und wann bzw. warum hast du dich dazu entschieden, einen Film über sie zu machen?
Sophie und ich haben uns bei einem Fotoshooting kennengelernt, bei dem sie das Model war und ich die Fotografin. Als ich sie in der Pause gefragt habe, was sie neben dem Modeln mache, antwortete sie: »Ich bin Rauchfangkehrerin.« Ich bemerkte, wie viele stereotypische Bilder tief drinnen in mir verankert waren, derer ich mir überhaupt nicht bewusst war. Sophies Erzählungen über die »durchschnittlichen« Reaktionen ihrer Mitmenschen, wenn sie ihren Beruf erwähnt, schwankten irgendwo zwischen Unglauben und Bewunderung. Ich realisierte, dass ich nicht die Einzige war, die unangebracht reagiert hatte.
Das war aber noch nicht der Moment, an dem ich diesen Film machen wollte. Der kam später, als Sophie mir eines Tages erzählte, sie sei fertig mit der Ausbildung, werde alleine in Wohnungen arbeiten und mache sich jetzt schon Gedanken darüber, wie sie in gewissen (unangenehmen) Situationen reagieren werde. Die Selbstverständlichkeit und Normalität, mit der sie erläuterte, sich gewisse »Notfallstrategien« einfallen zu lassen, machte mich wütend. Es sollte schon lange nicht mehr »normal« sein, sich als Frau diese Gedanken im (Arbeits-)Alltag machen zu müssen.
In einem Filmgespräch hast du erwähnt, dass du sieben Stunden Interviewmaterial aufgenommen hast. »Einblick« dauert 20 Minuten und enthält auch sehr viele Szenen ohne Sophies Erzählungen. Was war dir wichtig bei der Auswahl der Interviewsequenzen, die wir letztlich im Film hören?
Mir war es in der Vorbereitung enorm wichtig, Sophie bei allem einzubinden. Wir waren ständig in Kontakt, sie hat mir täglich Sprachnachrichten, Fotos von Dachböden und Eindrücke aus ihrem Alltag geschickt. Auch das Interview war ein ganz organisches Gespräch. Insgesamt sind fünf Minuten Voiceover (ohne die Pausen) über die 20 Minuten Film gelegt. Es war essenziell, dass Sophie einverstanden ist mit dem, was sie sagt, und gleichzeitig habe ich während des Schnitts versucht, mich immer wieder an den Moment zu erinnern, an dem ich überzeugt war, diesen Film machen zu müssen. Die ursprüngliche Motivation für den Film war Hauptgrund, warum ich die Textstellen ausgewählt habe, die jetzt im Film zu hören sind.
Mir war es außerdem wichtig, Raum für den Zusehenden zu lassen, zwischen dem, was Sophie erzählt; Raum für eigene Interpretation, eigene Gedanken und vielleicht sogar einen Parallelfilm, der im Kopf entsteht, wenn sie gewisse Wohnräume oder Begegnungen mit Kund*innen beschreibt.
Du studierst Fotografie und bist auch als Fotografin tätig. Gibt es ein Bild oder eine Szene in »Einblick«, die deinen Blick auf die Welt am besten beschreibt?
Spontan würde ich sagen, die Straßenbahnfahrt, in der Sophie aus dem Fenster sieht. Weil ich selber viel Kreatives aus dem alltäglichen Beobachten schöpfe und das im Film verarbeitet habe. Ich bin fasziniert von den »realen« Szenen im Alltag, bei denen wir durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit dazu neigen, sie zu »übersehen«. Das Unsichtbare sichtbar zu machen, die Frage, wie das im Filmischen geht, war auch eine der großen Motivationen, warum ich diesen Film machen wollte.
Sophie spricht offen darüber, was es heißt, als Frau den sonst männlich konnotierten Beruf der Kaminfegerin auszuüben. Wie war es für sie, so offen über ihre Erfahrungen zu sprechen?
Bis es zur Tonaufnahme und dann ein Monat später zum Dreh kam, vergingen acht Monate an Vorbereitungen, Kameratests und Gesprächen zwischen Sophie und mir, bei Tee und Kaffee. Stundenlange Konversationen über die Thematik, darüber, wie ich den Film sehe und was Sophie besonders wichtig ist. An dem Zeitpunkt hatten wir dann schon eine gewisse Vertrauensbasis, ohne die der Film auch nicht möglich gewesen wäre. Ich hatte also großes Glück, dass sie bereit war, ihre Erlebnisse und persönlichen Gedanken mit mir zu teilen. Ich antworte ungern für sie, aber ich denke, der Austausch und die Stunden Brainstorming waren für uns beide sehr bereichernd.
»Einblick« ist deine erste filmische Arbeit. Sie wurde 2022 sogar ans renommierte Filmfestival IDFA in Amsterdam eingeladen und schon mehrfach ausgezeichnet: Bei der Cinema Next Tour ’23 war der Film ein Lieblingsfilm der Jury und erhielt auch den Arbeitswelten-Förderpreis der AK Salzburg. Beim Youki – International Youth Media Festival in Wels wie auch beim Linz International Short Film Festival wurde er als bester österreichischer Film ausgezeichnet. Motiviert dich das für deine zukünftigen Arbeiten oder setzen einen solche schönen Erfolge auch gleich mal ziemlich unter Druck?
Solche Anerkennungen für den Film motivieren ungemein. Für mich ist das auch ein Zeichen dafür, dass das, was wir mit dem Film erzählen wollten, rübergekommen ist und dass die Thematiken zeitaktuell und dringend sind, dass wir diese Gespräche führen müssen und einander Erlebtes kommunizieren sollen. Bezüglich Druck: Ich müsste lügen, wenn ich Nein antworten würde. Im Endeffekt mache ich mir den aber nur selber, denn solche Auszeichnungen sind wahnsinnig schön und mit ausschließlich positiven Gefühlen verbunden. Jedes Filmfestival und vor allem der Austausch nach den Screenings sind Antrieb und Energie für den nächsten Film. Ich schreibe im Moment sehr viel, arbeite an den nächsten Ideen und habe extreme Lust, bald wieder zu drehen.
Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.