Eine schrecklich nette Sitcom-Oper

Kommt mit Metal-Shirt an, plaudert wirklich nett über spaßbefreites Musiktheater, Couch-Gags und das Büro als Familienersatz. Bernhard Gander dürfte für das Festival Wien Modern mehrere Grenzen zeitgenössischer Oper sprengen.

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Oper? Echt jetzt? Das haben wir uns auch gefragt. Und dann auch gleich jenen freundlichen Mann, der die allererste Oper geschrieben hat, die das Festival Wien Modern überhaupt beauftragt hat. Er heißt Bernhard Gander, lacht viel, arbeitet viel und kommt zum Interview mit Decapitated-Shirt. Denn dass Opernhäuser keine Orte sind, in die man als junger, intelligenter Mensch gemeinhin an einem Donnerstag abend geht – im Unterschied zu Museen für Gegenwartskunst übrigens –, ist ja auch den Leuten in dieser Szene bekannt. Oper riecht ein bisschen komisch, aber dass sie nicht tot ist, daran glaubt er.

Viele Opern hat der Osttiroler Bernhard Gander bisher noch nicht geschrieben. Keine, um genau zu sein. Aber Vokalwerke, für Orchester, für Rapper und Beatboxer oder für Streichquartett und Tänzer. Und jetzt eine Sitcom-Oper. Der Aufbau ist klassisch. Klassisch für eine Sitcom, nicht für eine Oper. Mit Titelmelodie, Couchschmäh, Familienverstrickungen, Büro als Ersatzfamlilie und geplanten und ungeplanten Lachern. Und weil die Handlung im EBF – European Bureau of Future mit Sitz in der Milchstraße 142a spielt, kommt neben der Einfältigkeit von Menschen auch Politik am Rande vor.

Bernhard Gander im Gespräch über "Das Leben am Rande der Milchstraße".

Hast du auch ein Burzum-T-Shirt?

Nein.

Aus den einschlägigen Gründen?

Ja, und ich kenne auch die Musik nicht. Ich weiß, man muss trennen zwischen der Musik und dem, was er getan hat, aber das war mir einfach ein bisschen zu heftig und offensichtlich faschistoid.

Es wird immer wieder unterstellt, dass Metal – so wie Techno – faschistoide Tendenzen hat.

Die Meinung muss ich strikt bekämpfen. Das ist ein Vorurteil, Grindcore, Deathcore, da gibt es viele aktiv linke Bands wie z.B. Napalm Death, Cattle Decapitation. Ich glaube, es gibt im Metal einen ähnlichen Prozentsatz faschistoid denkender Menschen wie im klassischen Bereich – nur machen die Leute das dort nicht öffentlich. Da läuft das unter dem Deckmantel des Bürgerlichen. Viele Hörer wissen ja, das ist die Band, politisch ist das nicht ok, es gibt Codes und Spielregeln, die nicht 1:1 zu verstehen sind. Viel bedenklicher finde ich z.B. Gabalier und seine Fans, die sich strikt dagegen wehren "Töchter" in die Bundeshymne zu nehmen und sich auch noch darüber lustig machen. Das finde ich sozial gefährlich.

Nimmst du dir ähnliche Freiheiten mit Codes heraus?

Wenn ich etwas kritisieren möchte, müsste ich es einer Figur in den Mund legen. In dieser Oper gibt es eine Figur, die sozial ziemlich inkompetent ist, nicht frauenfeindlich, aber unbeholfen, die sagt dann etwa "Weiber". Das ist nicht meine Meinung.

Es gäbe schlimmere Ausdrücke. Bei "Eine schrecklich nette Familie" oder "Two And A Half Men" wird auch oft kritisiert, das wäre sexistisch …

Ja, aber das finde ich eben nicht.

Aber da sind doch alle Frauen immer verfügbar?

Aber noch schlimmer trifft es ja die Männer, die werden alle als total deppat und sozial inkompetent dargestellt. Ich finde das ok, man muss wissen, das ist ein bestimmtes Genre.

Wie weit bist du gegangen? Wenn man abbilden will, wie Leute alltäglich und in sozialen Netzwerken reden, kann man schon recht weit gehen.

Ich hab den Text ja nicht geschrieben. Wir haben uns entschieden, wir machen weder EU-Bashing oder totale Sozialkritik, sondern gehen es eher sanft an. Es geht um die Familie im Büro, die ihre Problemchen hat. Mich würde es aber schon interessieren, etwas wirklich Heftiges zu machen.

Ist es eher "MA 2412" oder an den schwarzen, österreichischen Kabarettfilm angelehnt?

Eher nicht. Wir hatten Angst, dass es wie "Mitten im Achten" wird oder zu österreichisch. Wir haben den Prozentsatz der Wuchteln zurückgeschraubt. Es gibt natürlich Witze, aber nicht dauernd Schenkelklopfer. Laufend musikalische Witze wären auch schlimm, es braucht einen längeren Atem, es soll subtiler gelagert sein.

Arbeitest du wie deine Figuren in einem Büro?

Ich hab in zahllosen Bürojobs gearbeitet, man wird ja nicht als freischaffender Komponist geboren – Adressieren, Marken kleben, Gastronomie. Heute ist das Büro ja eine Art Familienersatz.

Gibt es am Ende ein großes Finale oder eine Katharsis?

Ja, schon. Es gibt aber auch einen Cliffhanger am Schluss, so dass man sich wünscht, dass es weitergeht. Es bleibt offen.

Es gibt aber eben auch ein großes Finale wie in vielen Sitcoms, in denen zwei Menschen zusammenkommen sollen, das 5.000 Folgen lang nicht schaffen und am Ende aber doch?

Das gibt es auch. (Lachen) Die Aufteilung ist drei Männer, drei Frauen, es kommt zur potenziellen Paarbildungen. Eine Vatergeschichte ist da noch einmal übergeordnet. Der Agent aus Brüssel kommt ja, um das Büro zu evaluieren, und weiß, dass der Bürovorstand sein Vater ist, aber er traut es sich lange nicht zu sagen.

Am Ende dann: "Luke, ich bin dein Vater!"

Genau, ganz klar. Es werden ganz viele Filme zitiert, "Rambo", "Der Pate", auch Opern, Wagner, Monteverdi, manches davon verwoben.

Ein langer C-Dur-Akkord?

Eine Folge ist auf dem Tristan-Akkord aufgebaut.

Ist denn zeitgenössisches Musiktheater zu spaßbefreit?

(Zögern) Ja. (Lachen) Definitiv. Ich hoffe, wir können mit unserer Oper dagegenhalten. Leichte Muse will ich jetzt nicht sagen. Oder schon. Ich glaube, es ist das Schwierigste, eine gelungene Komödie zu machen.

Das sagt man doch auch über Mozart, wie schwierig das ist, eine richtig gute komische Oper zu schreiben.

Auch im Film sind gute Komödien sehr schwierig. Ich mag halt Mozart gar nicht, deshalb kann ich da nichts dazu sagen. Wahrscheinlich haben viele Angst, etwas Komisches zu schreiben, weil sie glauben, nicht mehr als ernsthafte Musiker wahrgenommen zu werden.

Kannst du dir das leisten, weil du Metal hörst?

(Lachen) Das ist mir eigentlich relativ egal. Ich könnte mir aber nicht vorstellen, einen griechischen Tragödien-Stoff zu bearbeiten.

Haben denn die Leute in Bregenz bei der Uraufführung von drei der insgesamt sieben Teile gelacht?

Ja, lustigerweise bei beiden Aufführungen an unterschiedlichen Stellen. Bei der zweiten mehr, weil wir uns auch mehr getraut haben.

An denen, wo ihr gedacht habt, dass gelacht wird?

Eher an anderen, wo ich mir nie gedacht hätte, dass die Leute lachen. Wenn man zwei Jahre mit einem Text beschäftigt ist, wird man ja betriebsblind. Ich war wirklich überrascht über manche Stellen, wo das passiert ist. Die Stimmung überträgt sich sofort auf die Akteure, die dann aufgedreht haben.

Gibt es eine Titelmelodie?

Ja. (Lachen) Eine Signation für alle sieben Folgen, die immer dieselbe ist.

Gibt es einen Couchschmäh wie bei den Simpsons?

Ja. Leicht variiert. Es gibt eine Halloween-Folge. Und das Sofa spielt eine sehr wichtige Rolle, wie ja generell in der Sitcom, es gibt sogar eine eigene Couch-Episode.

Ihr sagt, dass Oper heute relevant ist. Man könnte fragen: Warum?

Musik und Theater sind für sich relevant, also muss beides zusammen relevant sein. Etwas Neues in Bewegung setzen, sei es einfach nur um der Musik willen. Sogar wenn ich nichts total Sozialkritisches machen will, sondern etwas Lustiges, Spaß ist genauso wichtig wie der Ernst, damit werden Bedürfnisse abgedeckt.

Wie sehr hast du auch versucht, Gepflogenheiten des zeitgenössischen Musiktheaters hinter dir zu lassen?

Ich finde Rezitative bescheuert. Mich stört, wenn man meistens kein Wort versteht. Wir haben sogar bei den gesungenen Teilen hohe Textverständlichkeit. Es gibt Arien, normale Texte werden einfach gesprochen. Manche Leute haben mir hinterher gesagt, sie trauen sich sonst gar nicht in die Oper, weil sie ohnehin nichts verstehen. Das war da anders.

Es geht angeblich auch um sozialen Realismus, aber mehr um eine Abbildung, weniger um Offenlegung von Missständen …

Doch, auch. Einer explodiert hin und wieder und greift auch Karrieristen und Brüsseler Bürokratie an, das wird immer wieder eingestreut. Oder auch Seitenhiebe zu Neuer Musik, ich verarsche mich sogar selber. Es wird eine Melodie zitiert, da sagt eine Figur dann "Oh mein Gott".

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