Kommt mit Metal-Shirt an, plaudert wirklich nett über spaßbefreites Musiktheater, Couch-Gags und das Büro als Familienersatz. Bernhard Gander dürfte für das Festival Wien Modern mehrere Grenzen zeitgenössischer Oper sprengen.
Die Story liest sich ein bisschen sehr haarsträubend, sehr fantastisch, Milchstraße 142a in Klosterneuburg, ein European Bureau for Future…
Es hat schon reale Bezüge, die Straße gibt es wirklich, vor einigen Jahren hat Josef Pröll in der ÖVP einen Think Tank eingerichtet, der auch an der Peripherie angesiedelt war.
Du sprichst auch vom "fetten Sound". Es gibt eine E-Gitarre, aber sonst wenig, das es nicht vor 100 Jahren schon gegeben hätte.
Es ist ganz klassisch, Geige, Cello, Kontrabass, Klarinette, Bariton-Sax und mehr, die sind alle verstärkt, viele tiefe Instrumente, die man wunderbar aufblasen kann.
Das klingt sehr klassisch: Du sitzt mit der Partitur da, notierst die Instrumente, Abläufe …
Also eigentlich bin ich fürchterlich traditionell. (Lachen) Ich arbeite nur ein bisschen elektronisch, aber das ist so zeitintensiv. Ich kann mit dem Soundvorrat eines klassischen Orchesters mehr anfangen. Ich habe das gut im Ohr und liebe es, mit Musikern zu arbeiten.
Wie genau weißt du, wie das klingt?
Schon genau. Ich mache nichts am Rechner, nur mit Papier und Bleistift. Ich gehe auch selten zum Keyboard, um etwas zu kontrollieren. Bei 80 Instrumenten kann ich mir das nicht zu hundert Prozent vorstellen, sondern eher global. (Lachen) Ich habe eine Vorstellung vom Sound – eher dunkel, düster oder ganz klar und komme schon mit einer großen Annäherung dahin.
Du arbeitest dann eben mit Melodien, Klangfarben, Harmonien …
Am Wichtigsten ist mir der Rhythmus.
Das sind dann wohl nicht nur 4/4, oder?
Nein, manchmal auch Walzer. (Lachen) Bei einigen Stücken habe ich zuerst nur das Rhythmusgerüst gemacht. Wobei es bei dieser Oper wirklich oft 4/4 sind, aus praktischen Überlegungen. Es gibt so oft Szenenwechsel, wenn die Musik dann noch hyperkompliziert wäre, kann dem niemand mehr folgen.
Die nächste Frage kann ich mir vermutlich selbst beantworten, ich stell sie aber trotzdem: Mir scheint einer der wichtigen Unterschiede zwischen klassischem Konzertbetrieb und Popmusik, dass das eine ein fertiges Produkt hat, während Performance und Aufführung beim anderen noch immer das Wichtigste sind. Kannst du dir vorstellen, dass es eine CD oder DVD von "Das Leben am Rande der Milchstraße" gibt?
Eher CD als DVD. Ich freue mich auf eine zweite Interpretation. Es fängt erst wirklich zu leben an, wenn es jemand interpretiert. Das ist wunderbar.
Ist das nicht auch ein ziemlicher Luxus?
Ja natürlich. Vor ein paar Tagen hat eine junge Pianistin ein älteres Stück von mir gespielt, das ist einfach ein Traum. Obwohl die Noten ganz genau da stehen, bringt sie trotzdem eine ganz andere Farbe rein. Musik lebt von der Interpretation. Ich habe eine Vorstellung von einer gewissen Ekstase, die sich bei mir in ein Musikstück kanalisiert, was schon eine Interpretation einer Emotion ist. Wenn ich das hinschreibe, ist das also schon wieder etwas Anderes, eine Interpretation.
Bei Rap, Metal, Techno ist das ja nicht so.
Das schon. Aber beim Konzert. Das ist super, wenn es live wieder anders klingt.
Trotzdem bist du das eine Stück dann gewöhnt.
Schon, aber CD und Aufnahme ist ein eigenes Medium, wie ein Konzert.
Deshalb frage ich ja. Das wäre ein richtig radikaler Schritt…
Das wollte ich eigentlich machen. Für ein Vinyl, das mit Patrick Pulsinger, wollen wir eine Mehrspuraufnahme so verändern, dass es auf Platte fantastisch klingt. Es ist natürlich eine Kostenfrage 50 Spuren zu bearbeiten. In Zukunft möchte ich aber jede CD so haben, natürlich mit dem Wissen, dass eine CD ist etwas anderes als eine Archivaufnahme ist.
Du hast ja irgendwo gesagt, diese Oper ist das Aufwendigste, das du jemals gemacht hast.
Angefangen habe ich vor drei, vier Jahren. Die aktive Phase waren 15, 16 Monate intensiver Arbeit ausschließlich daran.
Setzt du dich dann um Elf hin und komponierst?
Um Elf esse ich schon das zweite Mal. (Lachen) Ich steh um 6 auf, fange um 7 an, arbeite bis zur Mittagspause und dann von 2 bis 6 wieder. Montags bis freitags, samstags bis Mittag, sonntags nie. Das habe ich immer so gemacht. Auch wenn man einmal einen Hänger hat, es gibt viel mechanische Arbeit, oder ich improvisiere einfach am Papier, dann kommt man wieder rein.
Wie privilegiert ist man denn heute in Österreich, wenn man eine Oper per Auftrag schreiben kann?
Eigentlich schon. Es ist natürlich Geld im Spiel und die Möglichkeiten, Opern aufzuführen, sind sicher begrenzt. Wien Modern macht normalerweise ja keine Opern, jetzt zum ersten Mal. Wiener Festwochen, Salzburger Festspiele, Bregenzer Festspiele, es ist enden wollend.
Dort gibt es außerdem überschaubar zeitgenössisches Programm. Auch an der Staatsoper.
Richtig, da kommen zuerst die großen Kapazunder dran. Deshalb bin ich froh, dass ich die Möglichkeit bekommen habe.
Du hast einmal das Stück "In The Middle" geschrieben, kommt das da vor?
Ich wollte etwas auf "Malcom In The Middle" basierend schreiben. Das hätte am ehesten ein Streichquartett mit noch einem Instrument werden sollen, es gab aber nur schriftliche Skizzen. Aber das Thema Sitcom beschäftigt mich.
Hast du jetzt Lust, öfter und mehr zeitgenössische Formate aufzugreifen?
Ja.
Eine Youtube-Oper als nächstes?
Warum nicht? Ich mag Live-Musiker halt sehr. Horror, Soaps, es gibt wahnsinnig viel. Sitcom und Serien, da arbeiten mittlerweile irrsinnige Teams daran, das sind für mich die aktuellsten Formate.
"Take Death!"" von Bernhard Gander für Ensemble und DJ mit dem Ensemble Modern und Patrick Pulsinger erscheint am 8. Oktober via GodRec.
"Das Leben am Rande der Milchstraße" Staffel I+II, Folge 1-7 wird bei Wien Modern in drei Fortsetzungen am 31. Oktober sowie am 1., 7., 8. und 21. November aufgeführt.